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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Eine Rose bricht vom Strauche
Schüchtern sie mit zagem Sinn,
Drückt an’s Herz sie – Klagehauche
Seufzt im Kuß sie drüber hin,
Und den Gartenpfad hernieder
Wallet mit den Schwestern wieder
Meine holde Büßerin.

Bild der Jugend ist die Rose –
Ich verstehe ganz Dein Leid:
Jugendfrisch, Du Jugendlose,
Trauerst Du in Einsamkeit;
Daß Dich Gottes Schleier schmücke,
Bliebst Du fern dem Erdenglücke –
Doch Dein Herz – wie sehnsuchtsweit! –

Halle, halle, leis’ Geläute!
Stille, fromme Schwestern ihr,
Wallt vorüber, Himmelsbräute,
Daß ich einsam bete hier!
Du auch bete, bleiche Nonne,
Daß die heilige Madonne
Frieden schenke Dir – und mir!

 Ernst Ziel.




Epische Briefe.


Von Wilhelm Jordan.
IV.


Die Haupthelden des indischen, iranischen, griechischen und germanischen Epos, Karna, Rustem und Isfendiar, Achilles und unser Sigfrid, treffen darin überein, daß sie von den Göttern herstammen, übermenschliche Stärke, göttliche Waffen besitzen und unverwundbar sind mit Ausnahme einer Stelle ihres Körpers.

Im letzteren Punkte freilich scheint Firdusi’s Rustem eine Ausnahme zu machen, da von ihm die Eigenschaft solcher Unverwundbarkeit im Schahnameh nirgend ausdrücklich erwähnt wird.

Indeß dasselbe gilt vom homerischen Achilles. Nur aus anderweiten späteren Mittheilungen kennen wir die vorhomerische Sage von der Eintauchung in die Styx und der dadurch über den ganzen Körper mit Ausnahme des Fersenknöchels erlangten Unverletzlichkeit. Eine Hauptaufgabe des Poeten ist es, für seinen Helden Furcht und Hoffnung, Mitleid und Bewunderung zu wecken. Ein unversehrbarer Mann ist dazu nicht zu gebrauchen; denn wo die Gefahr fortfällt, kann auch von Muth und Tapferkeit nicht die Rede sein. Derselbe Grund also, der nach dem Beispiele der Ilias auch für die Kunstgestalt der Sigfridsage geboten hat, die angeborene Undurchdringlichkeit des Körpers fallen zu lassen, wird unzweifelhaft auch Firdusi bestimmt haben, in diesem Punkte von der iranischen Sage abzuweichen. Uebrigens kann auch sein Rustem nur durch eine mit Speeren gefüllte Grube getödtet werden; auch besitzt er ein Aequivalent der gefeiten Haut in der Ueberkraft, welche er für gewöhnlich ruhen läßt, da er sonst Felsen wie dünnes Eis durchtreten würde, aber unter besonderen Umständen augenblicklich anlegen kann, wie der altgermanische Gott des Ackerbaues und Gewitters, Thôrr oder Donar, seinen Megingiardr, den Stärkegürtel.

Der indische, iranische, griechische und germanische Hauptheld steht ferner in allen vier Epen in der Dienstbarkeit eines Fürsten von geringeren Eigenschaften. Diesem erwirbt er durch schwere Leistungen oder unter Lebensgefahr eine Geliebte oder verliert an ihn die eigene, und hieraus entspringt verderbliche Entzweiung. In allen vier Epenkreisen schürzt sich auf diese Weise der Schicksalsknoten, mit tiefster Tragik im germanischen, wo der Held eine wirklich todeswürdige Schuld auf sich ladet, indem er seine erste Verlobte für den Preis einer anderen Braut dem König betrüglich erkämpft.

Noch viel auffälliger zeigt sich die Uebereinstimmung, wenn wir die Heldengestalten je zwei dieser Völker vergleichen, z. B. den indischen Karna und den germanischen Sigfrid, wie das theilweise schon H. Leo und A. Holtzmann ausgeführt haben.

Karna’s Mutter setzt das neugeborene Kind in einem wohlverschlossenen Kästchen in’s Wasser. Die Wellen tragen es in ein fernes Land, wo es gefunden und erzogen wird. Gerade so kommt, nach einem uralten Zuge, den uns die sogenannte Wilkinasage aufbewahrt hat, der neugeborene Sigfrid in glasbedeckter Kiste den Rhein herabgeschwommen. Gerade so ergeht es in einem noch jetzt im Volksmunde lebendigen Miniatur-Nachbilde der Sigfridsage, dem bekannten, auch in der Grimm’schen Sammlung mitgetheilten Märchen, dem Kinde mit der Glückshaut (eine Metamorphose der Tarnkappe), das in solchem Kasten einen Mühlbach hinuntertreibt, vom Müller am Wehre aufgefangen und erzogen wird und dann erwachsen, um eine Königstochter zur Frau zu gewinnen, drei Haare vom Teufel aus der Hölle holen muß; ein Zug, in welchem die Kämpfe zur Gewinnung der Brunhild oder Krimhild anklingen. Karna wie Sigfrid sind also beide zunächst Fündlinge. Aber der indische Dichter weiß, daß Karna’s Vater kein geringerer ist, als der Sonnengott. Sigfrid’s Vater heißt nach der Edda und dem Nibelungenliede Sigmund. Um wahrscheinlich zu machen, daß auch dieser Name ursprünglich den Sonnengott bedeutet habe, erinnert Holtzmann an einen Gott der Sequaner, Namens Segemon. Allein es bedarf gar nicht dieses weithergeholten Beweisversuches. In dem Eddaliede Skirnisför, das ist die Fahrt Skirnir’s, welches wie ein Mittelglied den Uebergang von der Götter- zur Heldensage bezeichnet und schon die Grundzüge der letzteren enthält, besteht Skirnir als Busenfreund und zweites Ich des Sonnengottes Freyr eben die Abenteuer, welche nachher dem Sigfrid zugeschrieben werden. Dieser selbst hat ursprünglich die Bedeutung eines die nordische Erde vom Winterschlaf erweckenden Frühlingsgottes. Aus der zur Jungfrau personificirten frostgelähmten Vegetationskraft der Erde, welche dieser Frühlingsgott mit dem Schwerte seines Vaters, dem Sonnenstrahl, freisprengt vom umkrustenden Eise, ist dann die in Zauberschlaf versenkte Heldenjungfrau Brunhild geworden, welche Sigfrid erweckt und durch Berührung mit dem Schwerte Balmung aus angeschmiedetem Panzer herausschält.

Auf die Abstammung vom Sonnengotte deuten auch Sigfrid’s Augen, die so leuchtend sind, daß ihren Glanz Niemand ertragen kann, und welche dann seine Tochter Schwanhild von ihm ererbt; denn diese vermag durch ihren Blick sogar Pferde scheu zu machen. Von einer Hornhaut Sigfrid’s wird zwar in den uns erhaltenen ältesten Sagenresten nichts erwähnt. Aber schon beim Frühlingsgotte Balder ist die Lichtnatur verbunden mit Unverletzlichkeit unter einer Ausnahme; denn nur durch einen Pfeil vom Zweige der Mistel kann er getödtet werden. Der Volksgesang suchte dann diese Eigenschaft zu erklären durch das hörnende Drachenblut, ihre Ausnahme durch das Lindenblatt, das ihm dabei „zwischen die Herten“ gefallen sei. Indeß kann auch die Hornhaut trotz ihrer späten Erwähnung immerhin uralt sein. Denn ganz entsprechend ist Karna mit einem „Krebs“, einem natürlichen Panzer, zur Welt gekommen. – Wie Sigfrid für Gunther, so erwirbt Karna für den König Durjozana eine Gemahlin und besteht für ihn die Gefahren der Brautwerbung, wie Sigfrid die Kämpfe mit Brunhild. Wie Sigfrid den Drachen Fafner, so erlegt Karna den Dscharasanz, ein übermenschliches Wesen, den Schrecken Indiens, und erbeutet von ihm, wie Sigfrid den Hort der Nibelunge und den Helm Hildegrim, große Schätze und den Streitwagen des Himmels- und Donnergottes Indra. Beide endlich fallen durch einen hinterlistigen Schuß, der sie vom Rücken her durchbohrt.

Noch viele andere gemeinsame Züge der Sage haben sich erhalten, sind aber von der Person des Haupthelden auf andere Gestalten übertragen worden.

So ist der Drachenkampf zwar dem Karna, Rustem und Sigfrid gemeinschaftlich, in der griechischen Sage aber nicht auf Achill, sondern auf mehrere andere Gestalten übertragen worden. So zunächst auf den Sonnengott selbst, auf Apollo, den Erleger des pythischen Drachen. Dem entspricht es in der germanischen Mythe, daß in jenem Eddaliede von der Fahrt Skirnir’s der Sonnengott Freyr als der Tödter eines Sturmriesen Namens Beli bezeichnet wird. Auch dem Hermeias ferner wird die Besiegung eines drachenartigen Ungethüms, des hundertäugigen Argos, zugeschrieben. Von den drachentödtenden griechischen Helden ist besonders Perseus merkwürdig durch seine auffällige Uebereinstimmung mit Sigfrid. Er ist ein Sohn des Himmelsgottes Zeus. Wie Sigfrid in den Rhein wird er als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_740.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)