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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Schilderung der mit ihm verlebten Stunden zu erneuern? Hat er nicht selbst sie so unverwelklich frisch gemalt, stehen sie nicht so verlockend vor uns in seinem großen Alpenwerke, daß ich mich schämen müßte, des todten Meisters Bild hier copiren zu wollen? Benutzen wir also seine Schilderungen, indem wir die eigenen Zugaben nur bescheiden anfügen.

Wir waren mehrere Stunden auf der Hauptstraße, die mit der Salzach an den Pinzgausümpfen dahin läuft, rüstig geschritten, da öffnete sich plötzlich links ein weites, großes Thal. An der Thalecke, wo die Straße auf einem Damme durch Schilf führt, theilt sich dieselbe; östlich thalabwärts zeigt der doppelarmige Wegweiser nach Bruck und Taxenbach, nördlich in die große Seitenbucht nach Zell, und dahin lenkten wir unsere Schritte. Bald erreichten wir das plätschernde Gestade des Zeller Sees und den Marktflecken Zell am See. Die ganze Thalbucht zieht sich nordwärts, der Markt liegt am westlichen Gestade auf einer Halbinsel, die der Schmittenbach geschaffen hat, die er aber auch wieder zu verschlingen droht. Einmal schwebte der Markt in Gefahr, an einem Tage durch Feuer und Wasser zugleich vernichtet zu werden; über die Hälfte der Häuser ging zu Grunde. Unsere Abbildung zeigt uns den Marktflecken mit seiner uralten Kirche, die dem heiligen Hippolytus geweiht ist, sowie ein altes Schloß, jenes Gebäude mit hohem Giebel und an den vier Ecken bethürmt, Sitz des Bezirksgerichts. Seinen Ursprung verdankt der Ort, wie schon sein Name sagt, einem Kloster.

Der Zeller See ist der Ueberrest jenes größeren Sees, welcher einst die ganze Thalweitung ausfüllte; denn daß der See nicht durch Versumpfung, wie die sumpfigen Wasserflächen des Salzachthales, entstand, beweist seine noch immer beträchtliche Tiefe, nach Leopold von Buch sechshundert Fuß betragend. Seine im Norden (Prielauer Moos) und im Süden (Zeller Moos) in Sumpf übergehenden Ufer sind durch Ausfüllungen und Anschwemmungen entstanden.

Dieser großen Gebirgslücke, die sich in ansehnlicher Verbreiterung bis nach Saalfelden hinauf zieht, hat die hiesige Gegend ihre Reize zu danken, sowie auch dem Umstande, daß sich gerade im Süden eine der höchsten Gebirgsgruppen der Centralkette, im Norden eine der höchsten Kalkalpengruppen zum Himmel aufbaut, während die tiefe Mitte mit einem Seespiegel ausgegossen ist, dessen östliche und westliche Thalwand dem grünen Uebergangsgebirge angehört. Da die meisten Reisenden gewöhnlich nur die Pinzgauer Hauptstraße zwischen Taxenbach und Mittersill verfolgen, so kommen sie zu nahe an der Centralkette hin, durchschneiden nur die südlichen versumpften Gestade des Sees und erblicken über das hohe Schilf hin die Kalkalpen; auf diese Weise achten sie kaum dieses Seebeckens, das so reichen Genuß gewähren kann. Dazu kommt noch, daß hier allerdings häufig Regenwetter herrscht.

Wir hatten einen heiteren Abend, und so unternahmen wir vor Allem eine Spazierfahrt auf dem See, der von Norden nach Süden eine Stunde lang und eine halbe Stunde breit ist. Wir nahmen die Richtung nach Thumersbach, Zell fast gerade gegenüber im Osten. Auf der Mitte hielten wir und überschauten die merkwürdige Gegend. Gerade im Norden erhebt sich in einer Entfernung von vier Stunden die Kalkalpenwelt in äußerst schroffen Formen; es ist der Südabsturz der Berchtesgadner Gruppe; oben auf diesen senkrechten, nackten, wildzerrissenen Wänden breitet sich eine weite, öde Fläche aus, das „steinerne Meer“, dessen erstarrte Wogen hinab nach Berchtesgaden fluthen. Weißröthlich erscheinen die Schroffen, deren Steilheit keinen Schnee duldet; nur hier und da in tiefen schattigen Rissen verräth ein Schneestreifen die Höhe der Berge; blauduftige Schlagschatten auf den von unten bis oben nackten Wänden zaubern einen Feenpalast hin; wie vor einem Altare Gottes steigen Wolkensäulen aus tiefen Schneeschluchten himmelwärts. Der Unerfahrene wird kaum ahnen, daß bis an den Fuß jener Berge, wo das Schloß Lichtenberg die Lage von Saalfelden bezeichnet, fünf Stunden sind.

Jetzt wendeten wir den Blick südwärts und eine völlig andere Welt lag vor unseren Augen: es ist die Urgebirgswelt in ihrer ganzen majestätischen, aber ruhigen Größe, wie unser Künstler in unserer Illustration sie dargestellt hat. Fast erscheint sie nicht so hoch, wie die trotzigen Zacken des Kalkes, wegen der sanfteren Umrisse; doch bald wird der Beobachter ihre Größe würdigen. Gerade im Süden erhebt sich als stolze Pyramide das Inbachhorn oder Einbachhorn, siebentausendachthundertzwölf Fuß hoch, also so hoch, wie die nördlichen Kalkwände, aber das vierkantige Felsengerüst ist noch bis zur Spitze vom Grün der Matten überschimmert; nur oben treten die braunen Urfelskanten schärfer hervor. Ueber ihm erhebt sich der tiefbeschneite Gipfel des Hohen Tenn (zehntausendzweiunddreißig Fuß hoch), Eisgefilde und beschneite Felsenrücken nach beiden Seiten herabsendend. Er verbirgt das elftausenddreihundertachtzehn Fuß hohe Vischbachhorn; links von dieser Gruppe fällt der Blick in das Fuscherthal bis zu seinem Tauern, den der im Hintergrunde aufragende Brennkogl bezeichnet.

Großartiger zeigt sich rechts die Eiswelt des Kaprunerthales, dessen westlicher Eckpfeiler, das schon dick beeiste Kitzsteinhorn (zehntausendeinhundertsieben Fuß) mit der Eiskammer, stolz sein Haupt in die Lüfte hebt. Ueber die Gletscher des Hintergrundes steigen zwei gewaltige Schneeberge aus der Nachbarschaft des Glockners, der Johannsberg und Bärenkopf, auf.

Schön ist es, wenn am späten Nachmittag der Schmelz der Matten durchglüht wird von der sich neigenden Sonne und violette Schatten den Faltenwurf des Gebirgs verrathen; wenn die silberweißen Firnen über dem Grün und Grau der Vorberge erglänzen in dem Dunkelblau des Himmels. Aber schöner, oder erhabener vielmehr, ist der Eindruck, wenn der Abglanz der Sonne an den Kalkriesen verblichen, wenn von den grünbematteten Urbergen das lebendige Grün gewichen ist, wenn sie als dunkle Riesen im grauen Flor der Dämmerung erscheinen, wenn dann noch allein die Eiszinnen stolz im glühenden Feuer der untergehenden Sonne, oder ihrer Nachhut, des Abendrothes, ihr Haupt erheben und sich als Herrscher dieser Welt verkünden; Dunkel deckt dann das Thal, tieferes Dunkel den jetzt schwarzen Seespiegel, aber tief hinein in den fast nächtlichen Spiegel tauchen die glühenden Eisgipfel, als ob sie der Abkühlung bedürften.

Und so, wie Schaubach’s alpenselige Feder dies hier geschildert, so war der Abend und das Naturbild, die uns in diesem herrlichen Erdenwinkel das ganze Herz mit unverwischbarem Entzücken erfüllten. Leider trieb mich schon am andern Morgen die Nothwendigkeit der Heimreise wieder weiter. Schaubach hatte sein Standquartier in Zell aufgeschlagen, denn dieser Markt liegt so günstig in einem Straßenmittelpunkte, daß von ihm Fahr- und Fußwege allerwärts hinaus führen.

Von den Bewohnern von Zell muß noch erwähnt werden, daß sie von dem Erzbischofe Matth. Lang den Beinamen „die getreuen Knechte St. Ruprecht’s“ erhielten, weil sie dem allgemeinen Aufstande des Pinzgaues 1626 nicht beitraten. Sie durften jährlich eine Wahlfahrt nach Salzburg anstellen, dort im Dome ihr deutsches Kirchenlied anstimmen und rings um den Hochaltar ziehen; Abends wurden sie im Hofkeller bewirthet. Gegenwärtig beherbergt Zell gegen achthundert Bewohner, die schwerlich etwas dagegen hätten, wenn der Reisestrom der Alpenluftschnapper auch bei ihnen einen Theil seines überflüssigen Mammons ablagerte.

H. v. C.




Blätter und Blüthen.


Eine neue Schwindelei. Aus Schaffhausen empfangen wir folgende Mittheilung: Seit dem Monat Mai dieses Jahres publicirte ein E. Firmin in verschiedenen deutschen Zeitungen, wie zum Beispiel im „Schwäbischen Mercur“, in der „Augsburger Abendzeitung“, im „Schwarzwälder Boten“, im „Ravensburger Anzeiger“, in den „Neuesten Nachrichten“ etc., daß er Jedem, der ihm einen Thaler baar oder in beliebigen Postmarken einsende, einen wöchentlichen Nebenverdienst von acht bis zwölf Gulden verschaffen werde. Diese Publication ging unter Anderm von Schaffhausen aus. Im Laufe des Monats Juli dieses Jahres wurde ein E. François, Rentier aus Toulouse, wegen Betrugs hierorts gerichtlich eingeklagt, und in Folge angestellter Recherchen stellte es sich heraus, daß dieser Rentier François mit jenem E. Firmin identisch ist. Firmin bewohnte Schaffhausen nie, sondern er hielt sich nur vorübergehend und zwar zehn Tage lang dort auf. Nach erfolgter gefänglicher Einziehung dieses „Rentier“ ergab es sich, daß die Untersuchungsbehörde es mit einem Edmond François Jean Jules Marie Fénié aus Montberton (Frankreich)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_749.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)