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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 47.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Nach fünfzig Jahren.


Aus den Papieren eines Wohlbekannten.


(Fortsetzung.)


„Nachdem wir etwa vier Wochen lang in dem kleinen alten Schlosse der Tante verbracht hatten, machte sie mir die höchst erfreuliche Mittheilung, daß sie mit mir nach Paris reisen werde. Von dieser Wunderstadt hatte ich mir stets eine wahrhaft märchenhafte Vorstellung gemacht, und doch übertraf sie, als ich sie sah, weit alle meine Erwartungen. Es war mir, als sei ich in ein Zauberland versetzt worden, denn Alles, was ich sah, war mir fremd, neu und wunderbar. Ich schwamm in einem Meere von Entzücken und sagte mir täglich mehrmals, wie sehr ich Recht gehabt, wenn ich im Kloster zu Straßburg geglaubt und erwartet habe, in der Welt draußen sei Alles schön und groß zu finden. Die Tante hatte viele Freunde und Freundinnen in den aristokratischen Kreisen der Hauptstadt, und zu meiner Begeisterung über Paris trug es sicherlich nicht wenig bei, daß viele ältere und jüngere Herren sich beeiferten, mir ihre Huldigungen darzubringen, und mich mit Galanterien überhäuften. Die Tante war freilich auch eifrig bemüht gewesen, wie ich später erfuhr, in ihren Kreisen bekannt werden zu lassen, daß ich eine reiche Erbin sei. Am meisten überrascht von dieser Eröffnung war ich selbst, da mir bisher sorgsamst und vollständig verheimlicht worden war, daß ich ein nicht unbedeutendes Vermögen besitze. Als ich die Tante fragte, warum man mich über meine Vermögensverhältnisse so ganz in Unkenntniß erhalten habe, erhielt ich die Antwort, es sei dies wohlweislich geschehen, um zu verhindern, daß ich stolz und eitel werde, wozu ich, nach der Aussage der Superiorin des Klosters, eine stark ausgeprägte Anlage von der Natur erhalten habe.

Ich wurde dann nach und nach mit den schönsten und kostbarsten Toiletten in der neuesten Mode und mit Schmucksachen aller Art reichlich ausgestattet; die letzteren erhielten für mich zum Theil dadurch einen doppelten Werth, weil sie von meiner Mutter herrühren sollten. Ein kostbares Perlenhalsband, das sie getragen, habe ich oftmals unter Thränen des Schmerzes und der Freude mit Küssen bedeckt.

Nach mehreren Wochen waren endlich alle Vorbereitungen getroffen, und der große Tag erschien, an welchem ich am Hofe eingeführt, dem Könige und der Königin vorgestellt werden sollte. Jede meiner Bewegungen, die ich bei diesem hochwichtigen Ereignisse zu machen, jede Miene, die ich anzunehmen, jeder Schritt, den ich zu thun haben sollte, war lange vorher einstudirt und wiederholt eingeübt worden. Bei aller Freude aber, die ich empfand, konnte ich doch auch ein Gefühl beängstigender Bangigkeit nicht überwinden, das mich jedesmal bei dem Gedanken ergriff: ich soll vor dem Könige von Frankreich erscheinen, zu dessen Größe und Hoheit ich stets nur mit der ehrerbietigsten Verehrung emporgesehen hatte. Mit der gespanntesten Erwartung also und in äußerster Schüchternheit fuhr ich endlich an dem lange voraus bestimmten Tage mit der Tante, die mir nochmals alle ihre Lehren und Empfehlungen wiederholte, in das Königsschloß der Tuilerien. Mit größter Anstrengung nur gelang es mir, das Zittern aller meiner Glieder zu beherrschen, als sich vor uns die Flügelthüren des Saales öffneten, in welchem ich die irdische Majestät sehen sollte. Es war bereits eine zahlreiche und glänzende Gesellschaft vornehmer Herren und Damen dort versammelt, und Aller Blicke richteten sich neugierig und prüfend auf mich. Eine Andere wäre dadurch vielleicht in Verlegenheit gebracht worden, mir dagegen gab dieses Mustern, dem ich ausgesetzt war, mein Selbstgefühl vollkommen wieder. Ich sagte mir, daß alle Anwesenden nur meines Gleichen wären, deshalb hielt ich und benahm ich mich ganz zur Zufriedenheit der Tante, die mir sogar einen anerkennend-ermunternden, stolz-freundlichen Blick zuwarf.

Nach ziemlich langem Warten erschien der König Ludwig der Sechszehnte mit der Königin Antoinette, deren Schönheit ich staunend bewunderte und von der ich meine Blicke auch deshalb kaum abwenden konnte, weil mir sofort ihre täuschende Aehnlichkeit mit meiner Klosterfreundin auffiel. Die Milde und Güte, die aus den Zügen des Königs zu mir sprachen, entzückten mich. Ich hätte vor den Majestäten auf die Kniee sinken mögen, wie ich oftmals vor dem Bilde der heiligen Jungfrau in dem Kloster betend gekniet hatte.

Die Reihe traf endlich auch mich, den Majestäten vorgestellt zu werden, und ich machte die tiefe huldigende Verbeugung – die Hauptsache bei dieser Gelegenheit, wie mir die Tante oftmals versichert hatte – so tadellos, daß ein leises bewunderndes Beifalls-Gemurmel durch den Saal ging und die Tante später mich hoch erfreut dafür küßte. Der König, der meinen Vater persönlich sehr wohl gekannt hatte und ihn hoch in Ehren zu halten schien, sprach zu mir sehr freundlich von ihm.

‚Ich werde mir angelegen sein lassen,‘ sagte er, ‚der Tochter des Hochverdienten einen passenden Gemahl zu suchen. Das junge Herz ist doch noch frei?‘ setzte er mit Lächeln fragend hinzu.

Ich fühlte, daß meine Wangen glühten, und verbeugte mich statt aller Antwort tief und schweigend. Dem Könige irgendwie zu widersprechen hätte ich unter keiner Bedingung gewagt, auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_751.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)