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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

da wir uns zunächst für keinen zu entscheiden vermochten, wurde die Abreise von Tage zu Tage immer wieder verschoben.

Die Entscheidung brachte endlich das Entsetzlichste, was die Revolution unternehmen konnte: die blutbefleckten Mörder scheuten sich nicht, das geweihete Haupt des Königs auf dem Schaffote fallen zu lassen. Dies steigerte meinen Unwillen und Zorn gegen das Land, in welchem eine solche entsetzliche Schandthat möglich war, auf das Höchste, so daß ich nun, selbst mit Gefahr meines Lebens und mit Verlust meines Vermögens, zu fliehen beschloß. Das Band, das mich mit meinem Manne vereinigt hatte, sah ich dadurch für vollständig gelöst an, daß er sich den Königsmördern angeschlossen und für den Tod des Königs, seines Wohlthäters, gestimmt hatte. Mein Kind durfte von nun an seinen Vater, den Mann nicht wiedersehen, den es als Mörder verabscheuen mußte.

Ich hatte eine ansehnliche Summe Geldes zusammengebracht, damit ich im Auslande meinem Stande gemäß so lange leben konnte, bis es mir möglich sein würde, nach Frankreich zurückzukehren. Ich hoffte, daß dies bald ausführbar sein werde, da die Fürsten Europas sich ja entschlossen hatten, den Königsmord zu rächen und zu züchtigen, und auch bereits mit ihren Heeren den Grenzen meines unglücklichen Vaterlandes sich näherten. Jene Geldsumme, sowie meine werthvollsten Schmucksachen hatte ich durch Mathis bereits an einen zuverlässigen Mann nach Deutschland bringen lassen und auch alle anderen Vorbereitungen zu unserer Abreise waren fast beendigt, als uns die Nachricht erschreckte, ein ehemaliger Geistlicher aus Straßburg, ein Deutscher, Eulogius Schneider mit Namen, ein fast wahnsinniger Fanatiker der Revolution und eines der furchtbarsten Ungeheuer, welche jene Zeit des Schreckens hervorbrachte, ziehe mit der Guillotine im Elsaß umher, vergieße unter geistlichem Gaukelspiel Ströme von Blut und feiere zugleich mit fanatisirten Bauern und entmenschten Weibern die schändlichsten Orgien. Man tanze, hieß es, die Carmagnole um das Blutgerüst, und der Rasende habe sogar allen Nachtwächtern des Landes befohlen, bei dem Abrufen der Stunden der Nacht nicht mehr zu singen: ‚Lobet Gott, den Herrn‘! sondern: ‚Lobet Gott, den Bürger‘! Mit seinen Teufelsschaaren, wurde uns weiter berichtet, nähere sich der Unmensch bereits unserer Gegend, ja, man versicherte sogar, mein Mann selbst sei aus Paris angekommen und habe sich jenen blutgierigen Wahnsinnigen angeschlossen, um, wie er sich ausgedrückt haben sollte, das Seinige mit beizutragen, das arme Elsaß von ‚der Pest der Aristokratie und der Pfaffen‘ zu reinigen. Unter solchen schrecklichen Verhältnissen durften wir keinen Augenblick länger zögern, unseren Entschluß zur Ausführung zu bringen, so lange es überhaupt noch möglich war.

Ich entschied mich auch sofort, packen und durch meinen Kutscher am nächsten Morgen meinen Wagen anspannen zu lassen. Wohin ich fahren wolle, sollte er erst später erfahren, damit Niemand vorher wisse, wohin ich mich zu wenden gedenke. Mathis erbot sich zwar, selbst das Amt des Kutschers zu übernehmen, weil er kein rechtes Vertrauen zu dem meinigen habe, seit er gehört, daß er auch revolutionäre Reden zu führen anfange. Ich lehnte indeß das Anerbieten des Getreuen ab, weil ich fürchtete, gerade dann Verdacht zu erregen, wenn ich eine Reise mit meinem Kinde und der Wärterin desselben antrete und den Wagen nicht von meinem gewöhnlichen Kutscher lenken lasse.

So sehr ich mich freute, endlich das blutgetränkte Frankreich zu verlassen, nahm ich doch im Stillen mit Thränen Abschied von dem Vaterhause, in dem ich geboren worden war wie meine Tochter, und in welchem ich die ersten zwei Jahre meiner Ehe glücklich verlebt hatte. Wer konnte mit Gewißheit sagen, ob und wann ich dasselbe wiedersehen werde? Endlich stiegen wir, zwischen Trauer und Freude schwankend, in den Wagen, in dem sich die werthvollen Gegenstände befanden, die ich noch mit mir zu nehmen wünschte; auch eine Summe Geldes führte ich bei mir. Mathis, dem ich vorsorglich ebenfalls Geld anvertraut hatte, und der später mit seinem Sohne auf dem Sitze hinter dem Wagen Platz nehmen sollte, war ganz im Stillen schon mehrere Stunden vor unserer Abfahrt vorausgegangen, um an einer genau bezeichneten Stelle unseres Weges aufgenommen zu werden. Es sollte durch diese Vorsicht verhütet werden, daß meine Leute sofort erfuhren, daß Mathis und selbst der kleine Sohn desselben uns begleite. Gegen Abend hofften wir den Rhein an einem Punkte zu erreichen, wo durch Mathis vorher schon ein Boot gemiethet worden war, das uns still über den Fluß bringen sollte. Die Fahrt im Wagen ging anfänglich verhältnißmäßig gut von Statten; wenigstens stießen wir auf kein Hinderniß, das uns aufhielt. Wir holten auch Mathis mit dem Knaben ein und konnten Beide, wie verabredet worden war, aufnehmen. Freilich theilte der treue und auf Alles achtende Diener mit einer gewissen Besorgniß mir mit, es sei, als der Wagen gehalten, um ihn aufzunehmen, von dem hintern Sitze desselben ein Mann herabgesprungen und habe sich eilig nach dem nächsten Dorfe zu, auf einem Seitenwege, entfernt. In der Schnelligkeit sei es ihm zwar nicht möglich gewesen, den Mann genau zu beobachten, er wolle aber beschwören, setzte er hinzu, daß es Einer meiner Leute gewesen und daß er eine Freiheitsmütze getragen. Er, Mathis, könne sich deshalb des Verdachtes nicht erwehren, der Mann sei ein Spion gewesen, der den Auftrag gehabt, mir zu folgen, um zu ermitteln, ob ich zu fliehen beabsichtige und wohin ich mich zunächst wende. Um, für den Fall, daß Mathis recht gemuthmaßt, die Pläne der Feinde zu vereiteln, befahl ich dem Kutscher, so rasch wie möglich weiter zu fahren. Die Wege waren aber so schlecht, stellenweise so spurlos, daß wir wir sehr langsam weiter kamen.

In dem Wirthshause des nahen Dorfes, das wir bald erreichten, schien es sehr lebhaft zuzugehen. Man sang und schrie darin. Jedenfalls waren wilde Revolutionäre dort versammelt, und ich fürchtete, nicht ohne Belästigung vorüberzukommen. An der Thür und an den Fenstern zeigten sich in der That verschiedene verdächtige Gestalten, doch konnten wir glücklich, das heißt unangefochten vorüberfahren; wir gelangten unangetastet durch das ganze Dorf und hinter demselben in einen dort beginnenden ziemlich tiefen Hohlweg. Der Kutscher klatschte an dieser Stelle auffallend oft und stark mit seiner Peitsche, was ich, ich gestehe es, in meiner leicht erregten Besorgniß anfänglich für ein Zeichen hielt, das er dadurch Leuten gebe, mit denen irgend eine Verabredung getroffen worden sei, doch bat ich ihm bald in Gedanken mein Mißtrauen gegen ihn ab, da sich nichts Verdächtiges zeigte und er ja auch durch solches häufige Klatschen einen uns etwa entgegenkommenden Wagen aufmerksam machen konnte auf unser Herannahen, damit er an einer Stelle halte, wo ein Ausweichen zweier Wagen in dem engen Hohlwege etwa möglich sei. Unser Wagen schlich eine lange Zeit hindurch langsam weiter, ohne daß wir einem andern begegneten, bis sich der Hohlweg allmählich mehr und mehr zu verflachen anfing. Dann ging es auf ebenem Wege fort bis an ein Wäldchen. Der Wagen fuhr langsam in dasselbe hinein, und kaum waren wir eine kurze Strecke vorwärts gekommen, als uns plötzlich rauhe Stimmen gebieterisch zuriefen, Halt zu machen. Die Pferde wurden von Bewaffneten angehalten und an dem Wagenschlage, zu beiden Seiten, zeigten sich Gewehrläufe, während uns mehrere Stimmen aufforderten, auszusteigen.


(Fortsetzung folgt.)




Von den „rothen Teufeln“.


Die neuesten Nachrichten aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika melden, daß wieder einmal ein Indianerkrieg beendet sei. Die Zeiten, wo man Cooper’sche Romane las und wenigstens einen Theil der wundervollen Schilderungen indianischen Edelmuthes für noch fortbestehende Wirklichkeit hielt, sind längst vorüber, und selbst manches, was noch vor zehn oder zwanzig Jahren zu Gunsten der Indianer gesagt und geschrieben wurde, stimmt jetzt nicht mehr mit der Wirklichkeit überein. Unaufhaltsam rücken die Indianer Amerikas dem Untergange näher. Die Versuche, sie zu civilisiren, sind bis jetzt im großen Ganzen nicht geglückt, wobei freilich zweifelhaft bleibt, auf wessen Seite die Schuld lag. Jedenfalls haben die sogenannten Indianerdolmetscher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_754.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)