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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Zu glücklich.*[1]


Unsere Dichter und Schriftsteller wollten am 25., 26. und 27. September dieses Jahres in Weimar einen „Deutschen Dichtertag“ abhalten und dem Realismus und Materialismus der Gegenwart gegenüber die Fahne der Ideale neu erheben. Die Absicht blieb unausgeführt. Warum? Vielleicht weil sie „Absicht“ war und keine gereifte innere Nothwendigkeit.

Auch ich gehörte zu denen, welche den deutschen Dichtertag äußerlich froh begrüßten, innerlich aber nur ein wehmüthig-skeptisches Achselzucken für ihn hatten. Und gerade für mich sollten sich jene Tage zu den drei fürchterlichsten Leidenstagen gestalten, die ein Menschenleben aufzuweisen im Stande ist. Was ich hier erzählen will, schmerzlich Erlebtes und Erlittenes, wird es in anderen Gemüthern einen Nachhall finden? Sicher nicht bei denen, welche die heilige Weihe des Schmerzes noch nicht empfangen haben; nicht bei der fröhlichen, schäumenden Jugend, aber gewiß bei Allen, welche das Leben gerüttelt und geschüttelt hat, die aber der Welt nicht zeigen können, nicht zeigen dürfen, was sie, wie tief sie empfinden. Das ist das schöne Vorrecht unseres Standes, daß wir mit der Außenwelt eine andere Sprache, als die rein conventionelle reden, der Sprache wenigstens einen idealen Stempel aufdrücken dürfen. –

Ich bin dreiundfunfzig Jahre alt. Hinter mir liegt ein Leben, wie es an Mannigfaltigkeit wohl selten einem Sterblichen zu Theil geworden sein dürfte. Was die Welt Großes und Schönes bietet, ich habe es genossen. Stürme aller Art haben mich umtobt. Nur eins ist mir stets fremd geblieben: die bittere Nahrungssorge. Meine zahlreichen Enttäuschungen waren geistiger und gemüthlicher Art; Trümmer auf Trümmer von Illusionen, die ich mir über Welt und Menschen innerlich machte, während ich äußerlich über sie spottete. Andere jagen nach dem Glück; ich jagte seit achtzehn Jahren nach dem Frieden und fand stets nur den Kampf mit dem Leben.

Das Schlimmste, das mir passirte, war, daß ich – eine reiche Frau heirathete.

Ohne Furcht, meine verehrten Leser und Leserinnen! Ich habe den Verstand noch nicht verloren. Eine reiche Frau ist gewiß kein Unglück, wenn sie uns versteht, wenn die Geister und Gemüther, ohne über einen Leisten geschlagen zu sein, mit einander harmoniren, oder meinetwegen, wenn der männliche Theil hinreichend Mangel an Stolz besitzt, die Ehe nur als eine Sinecure des materiellen Lebens zu betrachten. Beides war bei mir nicht der Fall. Mein Leben gestaltete sich ruhelos in meiner Ehe – zu einer Dissonanz des Gemüths, welche achtzehn lange Jahre klang.

Die Beschreibung einer unglücklichen Ehe ist gewiß eine „sehr pikante“ Lectüre. Sie gehört jedoch nicht hierher, denn es ist weder ritterlich, anzuklagen, noch sich zu entschuldigen, und zwar um so weniger, als in meinem Falle nichts vorlag, als die totale Disharmonie der Organisation der Charaktere.

Endlich sahen wir auf beiden Seiten ein, was wir im ersten Jahre hätten einsehen müssen: – daß unsere Ehe unhaltbar sei. Wir wurden gerichtlich geschieden.

Ich verheirathete mich zum zweiten Male.

Die Beschreibung einer glücklichen Ehe ist gewiß auch eine „sehr pikante“ Lectüre. Sie gehört eben so wenig hierher. Es genügt zu wissen, daß meine Helene weder reich, noch jung, noch eine „Schönheit“ war. Wir kannten uns mehr aus einem literarischen Briefwechsel als durch das Leben, und lange Jahre waren wir Hunderte von Meilen von einander getrennt.

Wie durch einen Zauberschlag aber kehrte mit dieser meiner zweiten Ehe der Friede in meiner Seele ein. Ich hatte eine Frau, welche, ohne alle meine Ansichten und Meinungen ganz zu theilen, mich verstand, meine guten Eigenschaften zu heben, meine schlechten zu sänftigen wußte. Nicht die leiseste Dissonanz störte unser Leben. Wir waren so glücklich, ohne im Rausche des Glückes zu sein, daß wir Beide uns oft des Aberglaubens nicht zu erwehren vermochten, „ein solches Glück könne nicht von Dauer sein“.

Wir lebten in einer großen, geräuschvollen Stadt, welche mir in der Seele zuwider war. Acht Monate nach unserer Verheirathung wurde mir eine ehrenvolle Stellung in der freundlichen Residenzstadt Weimar angetragen, eine Stellung, welche auch den äußeren Frieden mit der Welt in sich schloß und ein sicherer Hafen nach den zahllosen Stürmen meines Lebens werden mußte, so weit man nach menschlicher Berechnung ein solches Prognostikon stellen kann. Ich eilte voraus, um „das Nest einzurichten“. Mein braves Weib blieb unterdessen auf dem Gute unserer Verwandten in Mecklenburg, um ihre Niederkunft zu erwarten, und während ich in Weimar Alles einrichtete, eine reizende Wohnung in schönster Lage erwarb, ging eine von Humor und Witz sprudelnde Correspondenz zwischen uns ihren Gang. Denn, obgleich absolut frei von aller Sentimentalität, freute es mich doch, einen „Dauphin“ zu bekommen, dem ich meinen Namen und meine Ersparnisse hinterlassen konnte. Mein Gemüth war heiter und lachend, wie ein schöner, schöner Sommerabend. Mein Leben lag klar und hell vor mir, wie ein schöner, stiller Gebirgssee. Mein geistiges Leben – – einer unserer ersten Dichter war mein Freund und Dutzbruder geworden. Meine musikalische Tendenzrichtung (Richard Wagner) fand an dem Orte, wo ich lebte, die reichste Nahrung. Die garstige Politik, die mein Leben so oft verbittert hatte und mich so oft „irrlichteriren“ ließ, war wie ein wüster Traum vergessen. Junge, strebsame Kunsttalente zu unterstützen, war mein Beruf, der aufgeblasenen Arroganz entgegenzutreten, meine Kampfesmission geworden; denn ohne allen Kampf geht es ja nun einmal nicht im Leben.

Ich fragte mich mitunter, ob dieses gegenwärtige und das noch zu erwartende Glück nicht ein Traum sei. Ich war an ein ruhiges Schaffen ja so wenig gewöhnt gewesen und sah erstaunt, daß ich die besten Erfolge damit erzielte. Mit keinem Krösus, mit keinem Kaiser und König hätte ich getauscht. Ich fühlte mich vollkommen glücklich. –

Wer aber in der Welt kann die Behauptung wagen, daß er zehn Monate lang in seinem Leben „vollkommen glücklich“ gewesen? –

„Aber auch aus entwölkter Höhe
Kann der zündende Donner schlagen.“

Du sitzst in deinem Zimmer, blickst hinaus in den heitersten blauen Himmel, in den hellen Sonnenschein und siehst die Wolke nicht, welche sich auf der andern Seite Deines Hauses geballt hat. Plötzlich – ein gellend klingender Ton, ein krachender Schlag und ein Wetterstrahl, der Dir die Augen blendet und Dich von Deinem Ruhesitze wie eine Feder in die Höhe schnellt. – – – Dann Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag, Sturm und Regen und nach dem Gewitter ein düster umschleierter nächtiger Nebelhimmel. –

Ich saß an meinem Schreibtische. Ein Brief an einen Freund in G., in welchem ich mit meinem Glücke prahlte, war halb vollendet. Ich bat darin den Freund zum „Gevatter“ bei meinem „Dauphin“ in spe und ließ meiner Laune nach Behagen den Zügel schießen.

Die Klingel an meiner Wohnung wurde heftig gezogen. Ich öffnete. Ein Telegramm. – Was war denn das? Ich glaube gar, der Athem stockte mir, als ich meinen Namen unter die Empfangsbescheinigung schrieb.

„Helene soeben durch zwei Aerzte entbunden. – Kind todt. – Helene sehr, sehr schwach.“ –

Es war der „gellend klingende Ton“ des Wetterstrahls aus heiterm Himmel. Das Telegramm kam von dem Gute meines Schwagers in Mecklenburg, datirte vom Dienstag, 22. September, Morgens neun Uhr. Die energievolle Frau meines verstorbenen Vaters, bei welcher ich interimistisch Quartier genommen, hatte alle Mühe mich zu hindern, daß ich nicht in demselben Augenblicke abreiste und dadurch gerade das störte, was meiner Frau vor Allem Bedürfniß sein mußte: Ruhe. Mein herrlicher Freund, der erwähnte Dichter, schleppte mich in seine Wohnung. Ich mußte dort zu Mittag essen, und er und seine Frau, selbst Eltern von sieben Kindern, beruhigten mich einigermaßen und „bewiesen“ mir, daß das Telegramm nichts enthielt, was auf

  1. * Wie düster auch die Farben des obigen Stimmungsbildes wirken mögen, so wird in ihm doch nur in treuen Zügen die Schmerzenszeit eines auch unseren Lesern bekannten Schriftstellers geschildert, dessen Leid sicher in vielen Herzen nachklingen wird.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_758.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)