Seite:Die Gartenlaube (1874) 768.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

‚Ich werde tapfer mitrudern,‘ sagte Mathis, indem er den Mann zur Eile trieb.

‚Sei’s denn!‘ meinte dieser nach längerem Widerstreben.

Wir stiegen also in das Boot, hüllten uns zum Schutze gegen die kalte Luft auf dem Flusse so gut wie möglich in unsere Tücher und Mäntel ein und – der Schiffer stieß das leichte Fahrzeug vom Ufer mit den Worten ab: ‚in Gottes Namen sei’s gewagt!‘

Ich athmete wieder auf, denn ich betrachtete mich schon als gerettet. Unsere Abfahrt war ja erfolgt, ohne daß wir gesehen worden. Auch entfernten wir uns ziemlich schnell mehr und mehr vom Ufer. Wir vernahmen nichts als das Rauschen des Flusses und das leise Geräusch der Ruder. Leichte Nebel schwammen über dem Wasser, und ich segnete sie, denn sie verhüllten unser Boot vor den Feinden, wenn diese uns verfolgen wollten. Noch hatten wir die Mitte des Flusses nicht erreicht, als wir in die Nähe einer der Inseln gelangten, deren es in jener Gegend im Rheine mehrere giebt. Der Schiffer begann kräftiger und rascher zu rudern, und das Boot glitt schnell dahin. Mit jedem Ruderschlage kamen wir der Insel näher; bald befanden wir uns ihr gegenüber und fuhren einige Augenblicke an derselben hin. Der Schiffer ruderte mit verstärkter Macht. Fast hatten wir die Insel bereits hinter uns gelassen, als plötzlich Stimmen von derselben her in gebieterischem Tone uns ‚Halt!‘ zuriefen und ein Boot an der Spitze der Insel, von der andern Seite derselben her, auf uns zukam. Die Strömung war indeß hier so stark, daß das jedenfalls feindliche Boot, welches gegen dieselbe fahren mußte, sich uns nur langsam nähern konnte.

‚Halt!‘ rief man uns immer auf’s Neue und immer heftiger und drohender zu.

‚Jetzt gilt’s,‘ flüsterte der Schiffer und er strengte seine Kräfte auf das Aeußerste an.

‚Halt!‘ hörten wir noch einmal, und gleich darauf knallten zwei oder drei Schüsse. Die Kugeln, die uns galten, pfiffen über uns hin, ohne uns zu treffen. Der Schiffer keuchte vor Anstrengung, und auch Mathis führte das Ruder mit Aufbietung all seiner Kraft. Gott war uns gnädig. Das feindliche Boot verschwand im Nebel, während bald darauf, schon ziemlich deutlich zu erkennen, das rettende – das deutsche – Ufer vor uns lag. Auch ein Haus schien da zu stehen, denn wir bemerkten ein Licht. Nicht lange mehr, und wir hatten deutsches Land erreicht. Der Schiffer sprang an das Ufer, befestigte das Boot, und wir konnten wohlbehalten aussteigen. Mit welchen Gefühlen betrat ich das Land, das nicht Frankreich war! Der Schiffer, unser Retter, begleitete uns zu einem ihm wohlbekannten Hause in der Nähe und empfahl uns den Bewohnern desselben, die uns freundlich aufnahmen.

‚Mathis,‘ sagte ich, ‚lohne dem Braven, der uns gerettet, reichlich diese muthige That!‘ – und der treue Diener that, wie ich befohlen.

Der Schiffer erschöpfte sich in Danksagungen und wünschte mir eine baldige glückliche Rückkehr in besserer Zeit. Dann erbot sich Mathis, da wir in dem kleinen Hause nicht wohl die Nacht verbringen konnten, in die ihm wohlbekannte sehr nahe kleine Stadt zu gehen und einen Wagen zu bestellen, der mich und die Meinigen so bald wie möglich dahin abhole.

Es war fast Mitternacht, als wir in einem Gasthause jener Stadt ankamen, wo wir nach dem ereignißreichen Tage endlich Ruhe fanden. Wir verweilten dort beinahe eine Woche lang, um uns ganz zu erholen, bevor wir die Reise weiter fortsetzten, deren nächstes Ziel Freiburg sein sollte, wo ich Nachricht von der Jugendfreundin erhalten zu können hoffte, da die Besitzung ihrer Eltern, wie ich mich wohl erinnerte, in der Nähe jener Stadt gelegen war und die Freundin selbst mit dem Sohne des Nachbars hatte verheirathet werden sollen. Freiburg, wo ich während meiner hoffentlich nur kurzen Abwesenheit aus dem Vaterlande zu verweilen gedachte, war damals eine fast französische Stadt geworden, in welcher sich namentlich viele geflüchtete französische Geistliche, auch solche aus Klöstern, aufhielten. Häufig begegnete man ihnen in ihren verschiedenen Ordenstrachten in den Straßen.

Es gelang mir bald, eine wenn auch bescheidene Wohnung dort zu finden, die nach der einen Seite hin den Blick auf den rebenbepflanzten Schloßberg, nach der andern auf den zierlichen Thurm des herrlichen gothischen Münsters gestattete. Den Namen meines Mannes, den ich bis dahin hatte führen müssen, legte ich nun ab, um mich auch in dieser Weise ganz von ihm loszusagen und durch den Namen nicht fortwährend an ihn erinnert zu werden. Ich nannte mich nach den Disteln in dem Wappen meines Vaters Madame Chardon und untersagte meinen Leuten streng, mich jemals anders als mit diesem einfachen, unbekannten Namen zu bezeichnen. Ich fühlte mich nun gesichert, auch ziemlich beruhigt und gewöhnte mich bald an das stille Leben, das mir um so mehr wohlthat, als die Nachrichten aus Frankreich und namentlich aus dem Elsaß täglich grauenerregender lauteten. Von andern Sorgen war ich frei. Mein Kind gedieh sichtbar, und durch Mathis hatte ich in Frankfurt einen Theil der dort hingelegten Gelder erheben lassen.

Eines Tages, als ich aus dem Münster kam, in welchem ich regelmäßig meine Andacht verrichtete, stieg aus einem Wagen, der an dem Haupteingange hielt, eine stattliche, schwarz gekleidete Dame. Meine Blicke fielen zufällig auf sie, und kaum konnte ich einen freudigen Ausruf zurückhalten, denn ich erkannte in ihr, wie sehr sie sich auch verändert hatte, die Mutter meiner Klosterfreundin, die ich stets verehrt und geliebt hatte. Sie dagegen schien mich nicht zu erkennen. Ich hatte freilich seit dem Aufenthalt im Kloster zu Straßburg ein ganz anderes Aussehen erhalten. Dennoch trat ich ihr freudig entgegen und rief ihr den Namen jenes Klosters zu. Sie blieb verwundert stehen und sah mich forschend an. Da nannte ich ihr meinen Mädchennamen. Sofort traten ihr die Thränen in die Augen, und sie ergriff meine beiden Hände. Ich berichtete ihr flüchtig, daß ich aus meinem unglücklichen Vaterlande geflohen sei und seit einigen Tagen hier in Freiburg wohne. Dann fragte ich nach ihrer Tochter, meiner Freundin, und erzählte, daß ich derselben eigentlich zürne, weil sie mir keine Antwort auf meine Briefe gegeben.

‚Ein Geschäft,‘ entgegnete die Dame darauf, ‚hat mich heute nach Freiburg geführt, und ich kann die Stadt nie verlassen, ohne im Münster zu beten. Geben Sie mir Ihre Wohnung an! Ich komme zu Ihnen, um mit Ihnen von meiner Tochter zu sprechen.‘

Ich that, wie sie gewünscht hatte, und wir schieden. Die Dame trat in den Dom, ich aber eilte nach Hause. Eine halbe Stunde später klingelte es an meiner Thür, und die Mutter meiner Freundin trat bei mir ein. Sie erzählte unter Thränen, daß sie keine Ruhe mehr finde, seit ihre unglückliche Tochter im Grabe ruhe, denn sie klage sich täglich an, daß sie die Schuld an dem Tode derselben trage.

‚Seit dem Tage,‘ begann die unglückliche Frau, ‚an welchem sie den ihr bestimmten Bräutigam gesehen, verfiel meine arme Tochter in tiefe Trauer. Unter Thränen erklärte mein beklagenswerthes Kind, daß es den Mann, mit dem es verbunden werden sollte, nie werde lieben lernen. Das ganze Wesen desselben war dem zarten Mädchen in tiefster Seele verhaßt, denn nur zu bald wurde es klar, daß er alle üblen Eigenschaften der Franzosen, ihre Laster und ihre gleißenden Formen, ohne eine Spur von deutschem Gemüthe besitze. Dennoch stellte ich meiner Tochter in unseliger Verblendung vor, daß sie durch Voreingenommenheit sicherlich sich täuschen lasse, und, wie sie immer sanft und gehorsam gewesen, willigte sie auch diesmal, um ihre Eltern nicht zu betrüben, nach kurzem Widerstreben ein, die Frau des jungen Grafen zu werden. Sie hoffe, sagte sie, ihn wenigstens achten zu lernen, wenn es ihr auch nicht möglich sein werde, ihn zu lieben. Die Trauung erfolgte, und meine Tochter bezog mit ihrem Manne eine Besitzung in der Nähe, die ihm sein Vater überließ – aber achten und lieben lernte sie ihn nicht. Nach kurzer Zeit fanden sich mehrere seiner Pariser Freunde und leider auch seiner Freundinnen ein, und es begann ein Leben so toll und frech, daß ich es zu schildern gar nicht versuchen will. Meine Tochter verbrachte ihre Tage in Trauer und Einsamkeit, weil sie sich weigerte an den Festen und Lustbarkeiten Theil zu nehmen, die alle Tage stattfanden und die sie verletzten. Gott verzeihe mir, daß ich es ausspreche – es war ihr Glück, daß sie im Kindbette starb. Ihr Mann, der junge Graf, hatte sich durch seine Lebensweise in maßlose Schulden gestürzt; seine Besitzung wurde verkauft, die andern Schulden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_768.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)