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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

aber zu bezahlen, verweigerte sein Vater; er selbst ging nach Coblenz und trat in das Heer der französischen Prinzen und Emigranten.‘

Ich weinte mit der armen Mutter und versprach ihr, einige Tage zu ihr zu kommen, ehe ich aber mein Versprechen ausführen konnte, sah ich mich durch die täglich sich wiederholender Gerüchte von dem nahe bevorstehenden Erscheinen der Sansculotten in Deutschland veranlaßt, das zu dicht an der Grenze Frankreichs liegende Freiburg zu verlassen und einen anderen, sicherern Zufluchtsort aufzusuchen. Ich fand keinen mir ganz zusagenden, und wir zogen deshalb unstät von Stadt zu Stadt: wir hielten uns in Mannheim und Frankfurt und eine längere Zeit in Weimar auf, wo die verwittwete Herzogin Amalie mich sehr freundlich aufnahm. Ich hätte hier ruhig und unbelästigt leben können, aber – es waren nun seit meiner Flucht Jahre vergangen, und die Gelder, die ich nach Deutschland mitgebracht hatte, fingen allmählich an, zu Ende zu gehen; ich hatte mich sogar bereits genöthigt gesehen, einige meiner Juwelen zu verkaufen, so daß ich nicht mehr ohne Besorgniß in die Zukunft sehen konnte, zumal an eine baldige Rückkehr nach Frankreich für mich noch nicht zu denken war. Geld aus Frankreich zu erhalten, war ganz und gar unmöglich. Die Nachrichten aus der Heimath lauteten zwar beruhigend, mir widerstrebten aber die Zustände dort noch immer, und ich blieb fest entschlossen, meinen Fuß auf den Boden des blutgetränkten Frankreichs nicht zu setzen, so lange man die königliche Familie nicht zurückberufe und die Republik bestehen lasse. Nach meinem Manne mich zu erkundigen, unterließ ich aus fortdauernd ungeschwächtem Hasse gegen denselben, aber man meldete mir unaufgefordert, daß die Folgen meiner Flucht traurig genug gewesen.

Meine Besitzung mit dem merkwürdig alterthümlichen Schlosse, von dem aus ich geflohen, war von der revolutionären Regierung eingezogen worden, wie die Güter aller Emigrirten. Die Besitzung hatte auch verkauft werden sollen, mein Mann aber hatte es durchzusetzen gewußt, daß sie ihm als Belohnung für seine der Revolution geleisteten Dienste eigenthümlich überlassen wurde. Man meldete mir auch, daß ich durch ihn von Spionen umgeben, daß die Räuber, durch die ich auf meiner Flucht überfallen worden von ihm gedungen gewesen wären und den Auftrag erhalten hätten, mir nur das Geld abzunehmen, das ich im Wagen bei mir haben dürfte, mich selbst aber reisen zu lassen. Das Kind freilich sollte mir auch geraubt werden, aber nicht, so lange ich mich auf französischem Boden befände, weil man mit Recht erwartete, ich werde mich von ihm nicht trennen lassen. Aus diesem Grunde sollte das Boot, das uns über den Rhein brachte, mit Gewalt angehalten, das Kind hier mir entrissen, zu seinem Vater zurückgebracht, ich aber verhindert werden, demselben zu folgen. Deshalb hatte man uns auf dem Rheine anzuhalten versucht, deshalb sogar auf uns bei der Ueberfahrt geschossen, und nur der ungewöhnlichen Anstrengung des braven Schiffers war es zu danken gewesen, daß der schändliche Plan mißrieth. Für seine gute That war dann aber leider der Schiffer gleich nach seiner Rückkunft in die Heimath festgenommen worden, weil er mir, einer Aristokratin, zur Flucht verholfen. Er war als das erste Opfer des Ungeheuers Eulogius Schneider gefallen, als dieser mit der Guillotine in jener Gegend erschienen war.

Alle diese Nachrichten erschütterten und erzürnten mich heftig. Dazu kam mein täglich wachsender Haß gegen den neuen Helden der Revolution, gegen Bonaparte, von dem ich im Anfange gehofft hatte, er werde die Familie des ermordeten Königs zurückführen und dem Ungeheuer ‚Revolution‘ das Haupt zertreten, der aber, wie sich bald deutlich zeigte, die Herrschaft derselben weiter, selbst über die benachbarten Länder ausbreitete und vielleicht gar für sich und seine eigenen ehrgeizigen Pläne thätig war.“




Hier endeten die Aufzeichnungen, und der junge Förster, welcher mit Spannung gelesen hatte, rief unbefriedigt aus:

„Nun bin ich so klug wie vorher und weiß nicht, warum Ihr in Deutschland geblieben seid und warum wir uns gerade hier befinden.“

„Das werde ich Dir erzählen,“ entgegnete sein Vater, „und zwar sogleich, da wir gerade jetzt ganz ungestört sind. Höre mich also aufmerksam an! Was Du gelesen hast, ist Alles noch vor Ablauf des vorigen Jahrhunderts geschehen. Ich und Marie, die Tochter der Schreiberin, waren noch sehr jung, ich erinnere mich aber noch lebhaft unseres Aufenthaltes in Weimar, von dem in den Aufzeichnungen zuletzt gesprochen wird, und ich sehe noch immer die gnädige Frau, wie sie damals aussah, vor mir. Mein Vater, der der beste Schütze seiner Zeit war, gefiel bei einer großen Jagd, die der Herzog von Weimar veranstaltete, einem der anwesenden fremden Herren so sehr, daß er von demselben aufgefordert wurde, in seine Dienste zu treten. Dieser Herr war der Vater unseres jetzigen Guts-Oberherrn. So angenehm meinem Vater der Antrag war, der seinen Neigungen und Kenntnissen vollständig entsprach, und so gern er ihn gewiß angenommen hätte, schlug er ihn doch aus, weil er sich nicht entschließen konnte, seine Herrin zu verlassen. Er sprach dies gegen den fremden Herrn unverholen aus und gewann dadurch die Achtung desselben in dem Maße, daß er aufgefordert wurde, zu bleiben wo er sei, zugleich aber auch die Versicherung erhielt, daß er ihm zu jeder Zeit willkommen sein werde.

Bald nach jenen Jagdtagen erkrankte unsere liebe Herrin aus Verdruß über eine neue Nachricht aus Frankreich. Vielleicht war es die Nachricht gewesen, daß ihr Gemahl, den sie so sehr haßte, daß sein Name vor ihr nie genannt werden durfte, in der Armee Bonaparte’s diene, den sie nie anders als den Usurpator und den größten der Revolutionäre nannte. Ihre Krankheit verschlimmerte sich von Tag zu Tag, und die gute Frau selbst fing an zu glauben, daß sie bald werde sterben müssen.

Eines Tages ließ sie uns Alle an ihr Bett bescheiden, um Abschied von uns zu nehmen. Sie verfügte über ihr Vermögen, das nur noch klein war, bestimmte eine Summe für ihr Begräbniß, eine andere für die Pflegerin ihres Kindes, der sie zugleich empfahl, sobald wie möglich in ihre Heimath zurückzukehren; denn sie wußte, daß die Frau große Sehnsucht nach Frankreich empfand. Meinem Vater übergab sie den ihr gebliebenen Rest von Schmucksachen mit dem Auftrage, dieselben nach und nach zu verkaufen und für ihre Tochter zu verwenden. ‚Nimm die Dir angebotene Jägerstelle an,‘ fuhr sie fort, ‚aber führe mein Kind mit Dir und laß’ es gemeinsam mit Deinem Knaben erziehen! Der Gedanke, meine Tochter könne einmal ihrem Vater wieder übergeben werden, läßt mich nicht ruhig sterben. Schwöre mir, treuer Diener, jenem Manne, der mich so unglücklich gemacht hat, den Aufenthalt seiner und meiner Tochter stets zu verheimlichen! Nenne Niemandem den wahren Namen und Geburtsort des Kindes! Laß’ meine Tochter in Unkenntniß über ihren Stand und ihr Herkommen! Erziehe sie einfach, wie ich es bisher gethan, in der Furcht Gottes und in der Liebe zu ihrem Fürsten!‘

Dann nahm die Kranke ein goldenes Medaillon, auf dem man außen das Bild eines alterthümlichen seltsamen Schlosses in sehr schöner Prägung und Ciselirung sah und in dem sich ein neues Portrait ihres Vaters befand, vom Halse. Sie übergab es meinem Vater mit den Worten: ‚Dies soll meine Tochter anlegen und niemals von sich thun, wie ich es nie abgelegt habe. Meine Mutter, die es als Brautgeschenk von meinem Vater erhielt, hat es ebenfalls stets getragen.‘ Mein Vater schwor mit Thränen in den Augen, getreulich Alles zu erfüllen, wenn, was er nicht fürchten möge, der Tod sie uns entreiße.

Sie lebte darauf nur noch einige wenige Tage. Die Kammerfrau machte sehr bald Gebrauch von der erhaltenen Erlaubniß, nach Frankreich zurückkehren zu dürfen, und verabschiedete sich eilig, sowie ohne großen Schmerz von uns und dem Kinde ihrer Wohlthäterin, das sie über Alles zu lieben vorgegeben hatte. Aber auch das Kind sah sie ohne Trauer ziehen. Mein Vater, der nun mit zwei Kindern, einem eigenen und einem fremden, im Auslande sich befand, konnte sich dennoch nicht entschließen, in sein Vaterland zurückzukehren; er schrieb vielmehr an den Herrn, der ihn hatte in seinen Dienst nehmen wollen, meldete demselben, daß er jetzt bereit sei zu kommen, und erhielt bald darauf die Weisung, sobald wie möglich einzutreffen.

Er verließ alsbald Weimar mit mir und Marie; wir zogen hierher, und die neue stille Wohnung am Walde wurde uns allmählich eine wirkliche liebe Heimath. Wir lernten die guten Leute im Dorfe kennen und spielten wohl auch gelegentlich mit den Kindern. Ich erinnere mich, daß Marie von den anderen Mädchen ihres Alters im Dorfe durch ihre lieblichere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_769.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)