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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

war, irgend einem Feinde zu imponiren, so hat man einen Begriff von der damaligen „Residenz“ des Kurfürsten von Brandenburg. Aber allmählich machten sich auch hier die Fortschritte der Cultur geltend. Handel und Verkehr nahmen größere Dimensionen an; der Wohlstand wuchs, und die Ansprüche auf die Bequemlichkeit der Wohnstätten erhöhten sich.

Auch das Grundstück in der „stumpfen Ecke“, auf welchem nach Aussage der Chronik ein gewisser Hans Zehender, auf Grund eines ihm vom Magistrat verliehenen Privilegiums, im Jahre 1488 eine Apotheke errichtet hatte, sah einer besseren Zeit entgegen. Ein angesehener Berliner Bürger, der Apotheker Tonnenbinder, in dessen Besitz das Grundstück zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts überging, ließ die einzelnen Gebäude niederreißen und an ihrer Stelle ein Eckhaus aufführen, welches den Raum des jetzigen Balconbaues umfaßte.

Tonnenbinder’s Familie gerieth später in’s Elend. Sein Sohn und Erbe hatte den Erweiterungsbau des Hauses zu weit in das in der Poststraße angrenzende, ihm nicht angehörige Grundstück hineingeführt. In einen Proceß verwickelt, mußte er das nachbarliche Terrain für fünfunddreißigtausend Thaler erstehen. Zu diesem schweren Verluste kam, um sein Unglück zu beschleunigen, der Zusammensturz des schon bis zum Dache vollendeten Gebäudes.

Es war im März 1761, als der berühmte und berüchtigte Hofjuwelier und Münz-Entrepreneur Friedrich’s des Großen, Veitel Heine Ephraim, vom König zum Ankauf eines zweiten Hauses und zum Etablissement seiner Kinder mit der Freiheit eines christlichen Bankiers bei rechtlichen Angelegenheiten vor und außer Gericht „begnadigt“, von dem Apotheker Johann Faber das Grundstück erwarb. Ephraim hatte im Jahr 1754 seine berüchtigte Thätigkeit begonnen, nachdem Friedrich der Große einen Vertrag zur Prägung der Landesmünzen mit ihm abgeschlossen hatte, und stand trotz aller ihn compromittirenden Vorgänge sieben Jahre später noch immer in königlicher Gunst. So soll er jene acht, den Balkon unseres Hauses tragenden Säulen, welche von dem gräflich Brühl’schen Schlosse herrühren, das im siebenjährigen Kriege der Zerstörung preisgegeben wurde, von Friedrich dem Großen zum Geschenk erhalten haben.

Ephraim ließ nun nach Entfernung der Buden am Mühlendamm das Haus in Anschluß an das ältere Gebäude vollständig ausbauen und nach Dietrich’s Angaben in derjenigen Gestalt aufführen, in der es sich noch gegenwärtig präsentirt.

Von dem gewaltigen Reichthum der Ephraim’schen Familie und der Stellung, welche sie einnahm, mag eine Episode Zeugniß geben, welche wir dem mit der Geschichte des alten Berlin so vertrauten Ferdinand Meyer nachzuerzählen uns gestatten. Ephraim’s Vater besaß das Haus Nr. 30 in der Spandauer-Straße, welches nach seinem Tode auf den Sohn überging. Es lag dem Rathhause gegenüber und war das stattlichste unter den dreißig Häusern, welche die Juden bis zum Jahre 1763 überhaupt nur in Berlin besitzen durften. In diesem Hause wurde am 7. Januar 1740 auf besonderen Befehl der Braunschweig-Wolfenbüttel’schen Herrschaft, wie auch der königlichen Familie, auf Ephraim’s und seiner Söhne Kosten eine Eheverbindung zwischen zwei von ihnen erzogenen Waisen, Namens David Zacharias und Irie Wolff vollzogen. Die Judenschaft mußte zur Kurzweil des Hofes derartig aufgedrungene Ehrenbezeigungen über sich ergehen lassen, wußte aber durch den Schacher bei solchen Gelegenheiten sich dafür zu entschädigen. Die Façaden des Hauses waren mit prachtvollen Tapeten behangen. In einem Zimmer rechter Hand erblickte man ausgelegte Galanteriewaaren, zur Linken ein Gemach mit reichen französischen Stoffen, während Ephraim selbst in einem besonderen Zimmer seine Juwelen ausgestellt hatte und verschiedene jüdische Kaufleute kostbare Brabanter Spitzen nebst anderen Weißwaaren feilboten. Außerdem waren noch zwei Gemächer, das eine mit reichgestickten Gewändern, das andere mit feinen italienischen und holländischen Gemälden ausstaffirt. Den Fußboden des Hofes bedeckten Brabanter Tapeten; Tannenzweige nebst Hunderten von Lampen und Lichtern an den Außenwänden erhöhten den Glanz der Festlichkeit.

Gegen halb vier Uhr erschien der Hof mit zahlreichem Gefolge und wurde zunächst nach dem Seitenflügel rechter Hand geleitet, woselbst drei kostbar neumöblirte Zimmer zu seiner Aufwartung hergerichtet waren. – Demnächst fand eine Besichtigung der ausgelegten Waaren statt, verschiedene Einkäufe wurden befohlen und sodann die Trauung nach jüdischem Ceremoniell auf freiem Hofe unter einem Traghimmel vollzogen. Noch ein Tanz der jungen Leute, dem die fürstliche Gesellschaft beiwohnte, und zurück begab sich dieselbe nach Hofe.

Ephraim ließ sich nun eine glanzvolle Ausstattung des neu erworbenen Gebäudes angelegen sein. Bemerkenswerth ist das noch erhaltene „chinesische Zimmer“ im zweiten Stockwerk und das schöne und hohe, mit kunstvoll gearbeitetem Geländer versehene Treppenhaus, das in sanfter Rundung hinansteigt und den Blick bis hoch oben an die Decke schweifen läßt.

Der König hatte ein persönliches Interesse an diesem Gebäude, in welchem er als Kronprinz eine Zeit lang geweilt und jenes bekannte Zusammentreffen mit seiner Braut, der Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig, gehabt hatte. Er soll später geäußert haben, daß das Gebäude nichts zu wünschen übrig lasse, als – einen Galgen, denn er (Ephraim) habe ihn ganz abscheulich betrogen.

Im Jahre 1843 fiel das Haus, nachdem es zwanzig Jahre früher aus den Händen der Nachkommen Ephraim’s, welche auf dem anfangs bis zur Spree sich ausdehnenden Terrain eine Tabaksmühle erbaut hatten, in den Besitz des Kaufmanns Ulrici übergegangen war, dem Fiscus zu, wurde später aber wieder Privateigenthum. Seit jener Zeit ist die heilige Hermandad in den Vorderräumen des Gebäudes heimisch, in welchen für verschiedene Abtheilungen des Polizeipräsidiums die erforderlichen Bureaus eingerichtet sind.

Als sollte dieses ehrwürdige Bauwerk aus dem alten Berlin gleichsam das Recht haben, auch eine lebendige Originalität aus der „guten alten Zeit“ in sich zu bergen, haust in demselben als „Castellan“ ein wunderliches Männlein, das im altmodischen langen Rocke, mit den schlurrenden Pantoffeln an den Füßen, der langen Pfeife im Munde und dem abgenutzten Käppchen auf dem spärlichen Haare den Eindruck einer leibhaftigen Antiquität macht, welche das moderne Berlin aus dem vorigen Jahrhunderte überkommen hat. Auf unser mit rührender Devotion entgegengenommenes Ersuchen um einige, auf das Gebäude bezügliche Mittheilungen erzählte das Hausväterchen, daß es früher einmal in einem Zeitungsblatte gar Vieles und Schönes über das Haus, in dem es seit zwanzig Jahren dem Posten des Castellans vorstehe, gelesen habe. Auf unsere Frage, wann dies geschehen sein mochte, meinte der Alte nach einigem Sinnen: „Meine Frau ist in den Sechszigern gestorben und vorher ist es gewesen,“ und mit ungläubigem Kopfschütteln nahm er unsere Versicherung, diese ganz neue Art der Zeitrechnung als ein Curiosum aus der stumpfen Ecke an der Poststraße und dem Mühlendamme der „Gartenlaube“ verrathen zu wollen, entgegen.

Und nun zu jener zweiten „stumpfen Ecke“ Berlins, an welcher die große Friedrichsstraße mit der Behrenstraße sich kreuzt. Welch’ ein anderes Bild entfaltet sich vor den Augen des Beschauers, wenn er seine Blicke auf den glanzvollen Bau der Passage richtet! Welch’ ein Unterschied in den auf beiden Bildern vom Künstler mit frappirenden Zügen fixirten Physiognomien des öffentlichen Verkehrs! Dort an dem Mühlendamme das bunte Treiben des geschäftigen Lebens. Man sehe nur den Omnibus dort, welcher schwerbeladen dahinrasselt, sehe die ihren Fahrgast erwartende Droschke, deren Klepper einen drastischen Contrast bildet zu den prächtigen Rossen, wie man sie auf dem andern Bilde erblickt! Man betrachte nur jenen „Mühlendammer“, welcher für einen Rock von etwas zweifelhafter Verfassung den „Rechten“ gefunden hat, der nicht ohne Zögern in die Tasche greift, um den geforderten Preis zu erlegen; jenen Herrn, der ohne Zweifel die eiligen Schritte zur Börse lenkt, daneben den rastlosen Laufburschen, der, wie von der Tarantel gestochen, um die Wette mit einem maulkorblosen Köter davonläuft; weiterhin den bebrillten, zugeknöpften Bureaukraten, dem der Actenstaub noch vom vorigen Tage auf den Kleidern sitzt; die zierliche kleine Putzmacherin, welche auf dem Wege in’s „Geschäft“ ist, und vorn zur Rechten den biederen Blousenmann, mit dem Wächter des Gesetzes in eifriger Debatte über die Affaire Arnim begriffen.

Und nun vor der „Passage“, welch’ anderes Leben und Treiben, welch’ Bild des Wohllebens, welcher Zusammenstrom eleganter Erscheinungen, welche Fülle großstädtischen Luxus! Und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_780.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)