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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 49.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Meteor.


Von E. Werber.*[1]


Mein Leben ist einsam und fruchtlos wie die Haide, auf der ich geboren ward. Ich will auch nicht von mir, sondern von einem Meteore erzählen, welches leuchtend vom Horizonte meiner Haide aufstieg und zu meinen Füßen erlosch.

Ich hatte etwa zehn Jahre als Maler in B. gelebt, als ein Buch im Druck erschien, welches große Bewunderung und großen Verdruß hervorrief. Dieses Buch führte den Titel „Alltagslichter und Meteore“. Der Verfasser dieses originellen und geistreichen Werkes hatte sich nicht genannt, und es war meinen allerdings beschränkten Forschungen nicht gelungen, seinen Namen aufzufinden.

Um dieselbe Zeit riefen mich Familienverhältnisse nach W. Dort erfuhr ich den Namen des Verfassers und zugleich Näheres über ihn selbst. Er war Ordensherr eines kirchlichen Stifts und Collegiums in Dalmatien. Ich will jenes Stift in meiner Erzählung „Constantin“ und den Verfasser des Buches „Bodiwil“ nennen.

Man wußte nur wenig vom Stift. Es waren wohl von Zeit zu Zeit in den Kirchenberichten kleine zerstreute Bemerkungen darüber erschienen, welche von einer Malerschule sprachen, die einer der Stiftsherren zu Constantin gegründet habe; allein das Stift lag einsam und gänzlich abgeschnitten von der Kunstwelt, und der Begriff von klösterlicher Tendenz, welcher sich bei Nennung des Stiftes unwillkürlich aufdrängte, hatte keine Sympathie in den Künstlerkreisen erweckt und ein lebhaftes und allgemeines Interesse für die obscure Malerschule zu Constantin nicht aufkommen lassen. Man hielt es nicht der Mühe werth, sich von der Sache zu überzeugen; man dachte, eine Schule von künstlerischer Bedeutung würde suchen, sich öffentlich zur Geltung zu bringen, während die Schule des Stiftes Constantin niemals einen Schritt aus ihrer klösterlichen Zelle gethan. Die Künstler insbesondere betrachteten die Malerei zu Constantin, wenn sie wirklich existirte, als eine dilettantische Stümperei, durchaus nicht der Beachtung und höchstens eines Lächelns werth.

Das Buch „Alltagslichter und Meteore“ aber hatte, da der Verleger desselben den Namen des Verfassers verrieth, mit einem Schlage die Neugier erweckt, und als kurze Zeit darauf – noch während meines Aufenthaltes in W. – der kunstsinnige Fürst Ap. von einer Reise in Dalmatien zwei Gemälde des Stifts nach W. brachte und für seine Bekannten und die Künstler in der Gemäldegalerie seines Palais ausstellte, da merkten die Künstler wohl, daß die Malerei zu Constantin etwas sehr Ernsthaftes, etwas sehr Neues und Bedeutendes sei. Die Bilder stammten von Bodiwil, dem Haupte der Schule, und als ich sie zum ersten Male sah, empfand ich etwas wie einen elektrischen Stoß.

Das eine stellte Satan in der gewitterhaften Schönheit des grollenden Engels dar. Er stand im schwarzen Strahl seiner Fittige. Das zweite hatte zum Gegenstande: Fingal, welcher den Geist Loda’s mit seinem Speere durchbohrt, eine Episode aus dem Ossian’schen Gedichte Carrik-Thura. Es war ein Bild, in die Nacht hinein gemalt. Aus schwarzbrauner Wolke beugte sich die ungeheure, neblichte Gestalt Loda’s, von dem hinter ihr stehenden blutigen Monde durchschimmert. Dasselbe Licht, aber stark und voll, fiel auf Fingal’s Angesicht, seinen rechten Arm und den emporgehobenen Speer. Alles Uebrige war Nacht.

Da standen wir und staunten, wir kleinen Maler, und fühlten den Wurm im Herzen, den Wurm der Geistesarmuth. Ja, wir waren nur malende Alltagsmenschen, Alltagslichter, der Stiftsherr Bodiwil aber war der malende Poet – das Meteor.

Ich faßte eine wahre Leidenschaft für Bodiwil’s Genie und empfand den brennenden Wunsch, ihn kennen zu lernen. Das Gerücht, Bodiwil habe eine Einladung des Fürsten Ap. angenommen und werde binnen Kurzem in W. eintreffen, wurde mir vom Fürsten Ap. selbst bestätigt. Indessen verzögerte sich Bodiwil’s Ankunft, und mein Urlaub war zu Ende. Ich mußte nach B. zurück, wo ich die Fresken für ein neues städtisches Gebäude übernommen und bereits angefangen hatte.

In B. vernahm ich nach einigen Wochen die Ankunft Bodiwil’s in W. Ich hoffte stets, mich für einige Tage von B. entfernen zu können, allein die Einweihung des neuen Gebäudes war auf einen festgesetzten Zeitpunkt bestimmt, die Arbeit sehr umfangreich, kurz, es war an ein Fortgehen von B. nicht zu denken.

Fünf Monate vergingen. Ich hörte, daß Bodiwil W. längst verlassen habe und nach Constantin zurückgekehrt sei. Nach fünf weiteren Monaten war meine Arbeit beendet. Ich hatte mich übermüdet und bedurfte der Erholung. Eine Reise nach Dalmatien lag mir im Sinn; ohne aber mich dafür entschieden zu haben, ging ich nach W., wo ich vorerst Näheres über Bodiwil zu erfahren hoffte.

Die Urtheile und Meinungen meiner Bekannten in W. – meistens Künstler – waren verschieden; allein eigentliche Sympathie hatte Bodiwil in Keinem derselben erweckt, Einige hielten ihn für überaus stolz und jede nähere Berührung abwehrend. Andere glaubten, es liege diesem Stolze Menschenscheu und überreizte

  1. * Verfasser von „Eine Leidenschaft“.     Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_783.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2019)