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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Millionär“ war inzwischen ein bettelarmer Mann geworden, indem er all’ seine Häuser, Paläste, Schlösser, Güter und sonstige Liegenschaften an seine Frau abgetreten hatte.

Seitdem kamen die „Schöpfungen“ des großen „Doctors“ sehr in Verruf. Seine Eisenbahnen waren von wahrhaft frevelhafter Beschaffenheit, konnten entweder gar nicht in Betrieb gesetzt werden oder verursachten doch bald mancherlei Unglücksfälle. Die meisten seiner Eisenbahnen werden in diesem Jahrhundert keine Dividende mehr abwerfen; die Unmasse der von ihm fabricirten Actien ist zum größten Theile Maculatur. Wie viel blutige Thränen sind von den eingefangenen Gimpeln, die rasch reich zu werden gedachten, über den Mann geweint worden, wie viel Flüche und Verwünschungen haben sich auf sein Haupt ergossen, wie viel Jammer, Elend und Verzweiflung hat er zu verantworten!! Die unter dem Nimbus seiner hochadligen Genossen, mit allen Mitteln vertriebenen „Rumänier“ wurden zu einer wahren Landseuche, die Tausende von Existenzen geknickt hat. Gar mancher Besitzer von „Rumäniern“ legte Hand an sich, gar mancher wanderte in’s Armen- oder in’s Irrenhaus.

Und diesen Mann nannte ein großer Theil der Presse und das von ihm geleitete Publicum einen „Wohlthäter der Menschheit“, einen „Cultur-Heros“! – Und in gewissem Sinne war er wirklich ein Heros, nämlich eine Art von Hercules. Hercules, der Hellene, reinigte bekanntlich die Ställe des Königs Augias; Strousberg, der Semite, aber füllte und hinterließ uns einen solchen Stall, einen Augias-Stall von Unrath und Verderbniß. Er corrumpirte die Presse; er corrumpirte die Beamtenwelt und den Adel; er umging und höhnte die Gesetze; er schlug der Moral öffentlich ins Gesicht!! – – Und gegen diesen unseligen Menschen und sein verbrecherisches Treiben erhob sich keine Stimme, auch in unsern Parlamenten nicht. – Alles blieb stumm und still. Erst im Februar 1873, als Strousberg längst abgethan war, enthüllte und verdammte Herr Lasker das „System Strousberg“. Und hier war ihm sogar die Presse zuvorgekommen. Nach dem Sturze Strousberg’s ermannte sich auch die Presse, und wie mit einem Schlag fiel sie über den „Wunderdoctor“ her. Dieselben Zeitungen, die früher vor ihm gekrochen, traten ihn nun mit Füßen. Dasselbe Localblatt, welches ihn einst unter dem Titel „Der Mann, der Alles kauft“ verherrlicht hatte, erklärte jetzt feierlich, wie es sich nie mit Strousberg befaßt, sondern ihn stets weit von sich gewiesen habe. –

Strousberg hat eine Schule hinterlassen, eine sehr zahlreiche Schule – und um dessen willen haben wir uns so lange mit ihm aufgehalten. Manche seiner Jünger und Trabanten werden wir unter den Gründern der großen Schwindelperiode finden und sie haben sich ihres Meisters durchaus würdig bewiesen. Andererseits war wieder Strousberg nicht recht möglich ohne unsere moderne Volkswirthschaft, ohne die Fraction der Freihändler oder das sogenannte Manchesterthum. Dieses, welches noch immer fast die ganze Presse hinter sich hat, auf den volkswirthschaftlichen Congressen vorherrscht und auch unsere Juristen wie Verwaltungsbeamte beeinflußt – kennt und lehrt als ersten und letzten Grundsatz die freie Concurrenz, wonach der Staat sich in Handel und Industrie nicht einmischen, sondern die Dinge ruhig und ungestört ihren Gang gehen lassen solle. Namentlich verbieten die Manchesterleute dem Staat den Bau von Eisenbahnen, welcher allein der Privatconcurrenz überlassen bleiben solle. Dieser Lehre verdankt denn auch Herr Strousberg seine Carrière. Er concurrirte um eine Eisenbahn nach der andern, und er schlug bald alle Mitconcurrenten aus dem Felde. Graf Itzenplitz, der damalige preußische Handelsminister, übrigens ein ehrlicher, wohlmeinender, aber nicht entfernt scharfsinniger Mann, verhandelte sogar am liebsten mit Strousberg, der ihm Alles so bequem zurechtzulegen verstand, und ließ sich von dem „System Strousberg“ dermaßen berücken, daß er mehr und mehr von Staatsbanken absah und die einträglichsten Linien an Privatunternehmer vergab, allerdings unter dem Einfluß hoher und höchster Personen auch wohl vergeben mußte.

Aber Strousberg, wie wenig er sich auch um Recht und Gesetz kümmerte, sah sich doch von gewissen Schranken umgeben, die selbst ihm unübersteiglich blieben. Da thaten sich die Manchesterleute zusammen und lösten der „freien Concurrenz“ auch die letzte Fessel. Am 20. Mai 1870, während die Tage des Reichstags gezählt waren und er deswegen mit verdoppelter Dampfkraft arbeitete, berieth man das Gesetz, welches die Actiengesellschaften fortan von jeder Genehmigung und Aufsicht des Staats befreien sollte. Hei, wie gingen die Herren ins Zeug; mit einem Eifer, der wirklich einer besseren Sache werth war! Herr Miquel vergaß sich sogar etwas stark, indem er dem Aufsichtsrathe respective Vorstande einer Actiengesellschaft gewisse Täuschungen und „Verschleierungen“ freigeben wollte, worauf er sich von Herrn Lasker zur Besinnung gerufen sah. Nun, das Gesetz war in vier Tagen fix und fertig; daß es aber ein übereiltes, höchst mangelhaftes ist, daß es den jüngsten großen Schwindel entschieden mitverschuldet hat und dringend einer Revision bedarf, haben hinterher auch diejenigen zugestehen müssen, die da selber es gemacht haben. Am 27. Juni ward das neue Actiengesetz publicirt, und nun konnte der Hexensabbath losgehen, aber plötzlich brach der Krieg aus, und so mußte man sich schon noch etwas gedulden.




Der letzte Sonnensohn.
Nachdruck untersagt.
Eine Historie von Johannes Scherr.


(Fortsetzung.)


Auf den Anfängen der Völkergeschichten liegt der Nebel des Mythus, vom Strale der religiösen Idee mehr oder weniger hell besonnt. Die Menschen wußten es sich nicht zu erklären, wie es gekommen, daß sie sich nach und nach entbestialisirt hätten, daß sie allmälig so klug, so anstellig, so civilisirt geworden wären. Da mußte ihnen denn eine „höhere Macht“ das Thierfell geschoren haben, so zu sagen. Auch die Peruaner hatten demnach ihren Culturmythus, das heißt auch sie führten den Ursprung ihrer Vermenschlichung auf „überirdische Mächte“ zurück, wie solche zu glauben, zu fürchten und zu verehren den naturwüchsigen Menschen das Gefühl seiner Ohnmacht und Hilfebedürftigkeit allzeit und überall zwang und zwingt. Man muß übrigens gestehen, die heilige Sage der Peruaner und ihre organisch daraus entwickelte Religion waren verhältnißmäßig gar nicht übel, ja gewissermaßen rationell. Knüpften sie sich doch an die große Lebensspenderin und Lebenserhalterin, an die Sonne. Diese sicht- und fühlbare, unerschöpfliche Wohlthäterin nannten die Peruaner die „Mutter der Menschheit“, und sie verehrten sie dankbar als ihre höchste Gottheit. Im Beginne der Zeiten hatte die große Mutter ihre zwei Kinder, den Manko Kapak und die Mama Oello, auf die Erde herabgesandt, um die Menschen zu entwildern, zu bilden und in ein geordnetes Staats- und Gesellschaftswesen herüberzuführen, die Landwirthschaft, die Gewerbefertigkeiten, alle Künste des Friedens zu lehren. Manko und Mama waren Bruder und Schwester, zugleich aber auch Mann und Weib und von ihnen stammte die Dynastie der Herrscher von Peru, das Geschlecht der „Inka“, welches Wort Herr, Fürst, König bedeutet.

Die berechtigte Frage, ob schon vor den Inka in Peru eine ältere Kultur vorhanden gewesen, mag hier billig unerörtert bleiben. Gewiß ist, daß mit dem Aufkommen der Inka der peruanische Staat zu existiren anhob. Ebenso, daß dieser Staat und mit demselben alles, was wir unter peruanischer Civilisation zu verstehen pflegen, allem nach nicht sehr weit in unser Mittelalter zurückreicht, indem das Auftreten des zweifelsohne geschichtlichen und nachmals von seiten der dankbaren Peruaner vergötterten Kulturhelden Manko Kapak kaum höher als in den Anfang des 12. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung hinaufzurücken ist. Die Nachfolger des Begründers der Inka-Dynastie handhabten Krieg und Eroberung, welche ja in der Geschichte viel häufiger, als die Unwissenheit meint, an der menschlichen Kultur sehr kräftig mitarbeiten, ohne Frage als Civilisatoren. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts erweiterte der Inka Topa Yupanqui die Gränzen des Staates im Süden bis weit nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_790.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)