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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Haben Sie dessen so viel, daß Sie einen Ueberschuß an uns abgeben können?“

Der Doctor lachte.

„Da haben Sie Ihre Strafe, Landeck,“ sagte er. „Aber in welch’ hitzige Debatte sind die Herrschaften gekommen durch meine bescheidene Bitte, einmal unsere gnädige Frau singen zu hören!“

„Es ist das freilich Ihre Schuld nicht, Doctor,“ rief die gnädige Frau aus; „Herr Landeck versteht es einmal, stets das Umgekehrte der Biene zu thun, die aus jeder Blume Honig saugt. Er weiß in jede Conversation ein wenig Gift zu gießen.“

„Ach?“ fiel lächelnd Landeck ein, „das geschieht nur, um Ihnen zu gefallen. Alles, was Sie umgiebt und je umgeben hat, bringt Ihnen so viel Blumen, so viel Honig, hat so viel Süßigkeit für Sie, daß ich mir einbilde, ein wenig Gift muß Ihnen ein wahres Labsal sein.“

Sie machte mit einem leichten Aufzucken der Lippen eine abwehrende Handbewegung gegen ihn, während sie, zum Doctor gewendet, fortfuhr:

„Und daß ich Ihnen Ihre Bitte abschlage, darf Sie nicht kränken – wenn Sie mich nie singen hörten, so trösten Sie sich mit all den andern Herren, die mich auch nie singen hörten!“

„Ich denke doch,“ sagte Landeck betroffen, „Sie hätten mir in Athen sehr oft dieses Glück gegönnt.“

„Und ich meine doch auch,“ sagte Herr von Maiwand aufblickend, „Sie hätten mir von Zeit zu Zeit die Gunst erwiesen, wenigstens in Ihrem Gesange nicht aufzuhören, wenn ich Sie dabei traf.“

Sie unterbrach ihn mit derselben abwehrenden Handbewegung.

„Bilden Sie sich nicht ein, Sie hätten mich singen hören! Ich konnte das immer nur allein, ganz allein für mich, oder vor dem ganzen großen Publicum, vor der ganzen Welt oder doch einem Stücke von ihr auf den erregenden Brettern, in einer ergreifenden Rolle – nicht aber vor dem Einzelnen, nicht vor einem von Ihnen. Da singe nicht ich; da singt etwas Anderes, das eine gute Schule und eine große Routine hat, aus mir heraus, und dieses wohlerzogene brave Etwas, das so genügend seine Pflicht thut, beklatschten Sie, weil Sie glaubten, Sie hätten eine berühmte Sängerin gehört.“

Landeck hatte sie aufmerksam angesehen, während sie so sprach. Er nickte jetzt und sagte:

„Das ist Etwas, das ich von Ihrem Stolze vollständig begreife. Von Ihrer Großmuth, sollte ich sagen, die eine so unwiderstehliche Waffe nicht schwingen mag.“

„Waffe? Sehen Sie denn einen Kampf?“

„Nur einen Angriff freilich, einen Ausfall, eine herbe Demüthigung. Es ist eben Niemand unter uns, der in Ihnen das Verlangen weckt, ihm etwas von den idealen Dingen zu sagen, die Ihre Stimme, wenn Sie allein sind, mit leidenschaftlicher Gluth und hinreißender Macht aussprechen wird. Sie geben unser Einem dafür – Schule und Routine. Das ist denn freilich bitter für uns, und ich bedaure nur, daß ich je Ihre Stimme in meinem einfältigen Glauben, ich hörte Sie singen, bewundert habe. Wie lächerlich muß Ihnen das erschienen sein!“

„Es freut mich, daß Sie mich einmal verstehen, Herr Landeck; ich denke, es ist so, wie Sie sagen,“ versetzte die Baronin wie gereizt.

„Und ich,“ fragte der Doctor, „muß dann wohl für immer darauf verzichten, Sie zu hören, gnädige Frau? Das ist so niederschlagend, daß Sie mir nicht übel nehmen können, wenn ich mich beurlaube, um meinem Kummer darüber in der Einsamkeit nachzuhängen.“

„Das heißt, Sie wollen die Runde bei Ihren Kranken fortsetzen?“

„Ein wenig auch das,“ entgegnete der Doctor und erhob sich. Die Baronin reichte ihm die Hand; er ging dann, sich ebenfalls mit einer flüchtigen Handberührung von dem Thee machenden und bis jetzt schweigsam gebliebenen Fräulein, das bei dieser Berührung leicht erröthete, zu verabschieden, verbeugte sich gegen die zwei Herren, und wollte sich entfernen, als Landeck aufsprang und ihm sagte:

„Ich gehe mit Ihnen, Doctor; es wäre zu gefährlich, Sie Ihrem schweren Kummer in der Einsamkeit allein zu überlassen. Kommen Sie!“

Er verbeugte sich, ohne die freundschaftlichen Händedrücke zu erhalten, womit der Doctor verabschiedet worden war.

Als Beide durch die Eichenallee schritten, die vom Gute parallel mit dem links liegenden Waldsaume zum Flusse hinabführte, sagte der Doctor:

„Sie haben wohl eine große Furcht, Landeck? Man könnte glauben, Sie seien am Ende unserer reizenden Baronin von Athen bis hierher, tief in’s Phäakenland, nachgefolgt.“

„Und worin sollte sich diese Furcht zeigen, Doctor?“

„Nun, in der Art, wie Sie mit ihr verkehren. Sie sind nichts weniger als verbindlich gegen sie, und wer Ihnen nachsagte, Sie machten ihr den Hof, thäte Ihnen Unrecht.“

Herr Landeck lächelte. „Es freut mich, daß Sie das erkennen,“ sagte er. „Je näher eine solche falsche Auslegung dessen, was mich hierher führte, liegt, desto mehr muß es mir angenehm sein zu sehen, daß man sie meinem Erscheinen hier nicht giebt. In der That können Sie versichert sein, daß ich nichts weniger erwartete, als hier dieselbe Frau von Haldenwang wiederzufinden, welche vor einem Jahre einen so belebten und anregenden Kreis deutscher Landsleute in Athen um sich versammelt hatte.“

„Sie waren dort, um archäologische Forschungen zu betreiben?“ fragte der Doctor.

„Aus diesem Grunde war ich zwei Jahre dort,“ antwortete Landeck; „mit einem Aufenthalte auf der trojanischen Ebene habe ich dann meine morgenländischen Studien beschlossen.“

„Und kommen hierher, in unsere ländliche Stille, um hier, wirklich ganz vom Zufall geführt, die Frau wieder zu sehen, die Sie jetzt doch trotz ihrer ewigen kleinen Scharmützel so zu fesseln scheint?“ sagte der Doctor ein wenig ungläubig lächelnd.

„So ist es, wenn ich auch etwas wie ein ironisches Lächeln um Ihren Mund zucken sehe. Die weitest auseinander liegenden Lebenspfade der Menschen haben zuweilen eine wunderliche Caprice, sich zu kreuzen. So der meine und der dieser gnädigen Dame, um dann freilich nach Süd und Nord wieder auseinander zu laufen. Denn außer dem Zufall, der sie eben sich zweimal kreuzen ließ, haben sie nichts miteinander gemein. Ich bin ein armer Teufel von Philologe, den sein Drang in die Welt hinaus und seine Schwärmerei für hellenische Schönheit und die Ueberreste der classischen Welt nicht rasten ließ, bis er vom Ministerium ein Reisestipendium zu archäologischen Forschungen in Athen erhalten hatte. Die dazu auf zwei Jahre bewilligten Mittel sind mit den zwei Jahren zu Ende gegangen; ich bin zurückgekehrt und habe nun sehen müssen, daß ich unterdeß aus meiner eigentlichen Laufbahn herausgeworfen worden. Bis ich eine Anstellung finde, wie sie mir zusagt, habe ich deshalb eine Hauslehrerstelle, auf die ich auch ganz zufällig durch die Zeitung aufmerksam gemacht wurde, angenommen – und so sehen Sie, Doctor, daß durchaus kein Grund zu einer boshaften Voraussetzung vorliegt.“

Der Doctor nickte.

(Fortsetzung folgt.)




Tristan und Isolde im alten und neuen Liede.


Wem hätte das Herz nicht höher geschlagen, wenn er Tristan und Isolde, diese beiden vom bestrickenden Zauber mittelalterlicher Dichtung umflossenen Heldengestalten, neu belebt vom Doppelstrahle der dramatisch-musikalischen Kunst, über die moderne Bühne schreiten sah? Dasselbe Gefühl ästhetischen Wohlbehagens, welches uns heute Richard Wagner's vielbesprochene Oper einflößt, bemächtigte sich einst auch unserer Altvordern derjenigen Dichtung gegenüber, welcher Wagner die Anregung zu seinem berühmten Tonwerte verdankt. Und doch – den Tristan und die Isolde der alten Dichtung, wer kennt sie noch heute? Nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_004.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)