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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Man kann getrost sagen, daß der Regen in der Libyschen Wüste eine so seltene und locale Erscheinung sei, wie der Nachtfrost in Deutschland zur Sommerzeit. Im Januar und Februar kann in diesen Wüsten bei Nacht das Thermometer einige Grade unter den Gefrierpunkt fallen; die mittlere Tageswärme dieser Monate bleibt weit hinter dem von Ländern derselben Breite zurück. Die Hitze der übrigen Monate ist groß. Nie eine regenspendende Wolke, nur die Nacht wirft alsdann ihre kühlenden Schatten über die stets durstende Erde, und sehnsüchtig harren die Pflanzen des wiederkehrenden Thaus, den ihnen der Nordwind bringt.

In ihren tiefen Gruben und Löchern genießen die Thiere des Vorzugs einer mittleren Jahrestemperatur; im Winter sind ihre Behausungen warm, im Sommer zur Tageszeit weit kühler als die äußere Luft. Das nächtliche Umherstreifen beschränkt ihren Wasserbedarf auf das niedrigste Maß. Es erklärt sich aus dem Angeführten von selbst, daß alles Thierleben in der Wüste mehr oder minder einen nächtlichen Charakter annehmen muß.

In der absoluten Wüste äußert sich indeß das thierische Dasein überall als ein exceptioneller Nothstand; die Thiere fristen daselbst, wie die Pflanzen, eine eigentlich nur der Erhaltung des Individuums, nicht der Vermehrung gewidmete Existenz. Wie nun die Pflanzen gewisser Vegetationsmittelpunkte bedürfen, um die Wüste selbst immer wieder mit frischen Keimen zu versehen, die sich bald hier, bald dort die Bedingungen zu ihrer Existenz zu suchen haben, wie wir das Wüstenkameel alljährlich auf den fetten Kleeweiden des Nilthals einer Stärkungscur unterzogen sehen, so schöpft auch das ephemere Thierleben der eigentlichen Wüste aus deren Vorrathskammern, den Oasen, stets neue Lebenskraft. Es ist anzunehmen, daß ohne eine solche Schadloshaltung die Art in den meisten Fällen allmählich auf jeden weiteren Fortbestand zu verzichten hätte.

Solche Stützpunkte des Thier- und Pflanzenlebens sind die Oasen, welche gleich einsamen, kleinen Eilanden hin und wider, meist aber in ungeheuren Abständen von einander, aus den öden Flächen des steinernen Meeres hervorstechen. Strabo vergleicht die Wüste mit ihren Oasen einem gefleckten Leopardenfelle, aber ein derartiges Bild würde, auf die Libysche angewandt, zu den übertriebensten Vorstellungen Veranlassung geben, denn diese Flecken sind winzig klein, sehr zerstreut und unregelmäßig vertheilt. Die Oasen sind nicht Flecken, sondern Löcher in der steinernen Decke, welche der organischen Schöpfung die Basis eines quellreichen und Pflanzenwachsthum ermöglichenden Bodens entzogen hat. Tief unter dem über tausend Fuß hohen Kalksteinplateau, das die Libysche Wüste darstellt, bewegen sich räthselhafte Wasserzüge von erstaunlicher Fülle. Da, wo nun dieses Plateau Lücken darbietet, die durch Einflüsse noch völlig unbekannter Natur entstanden, konnte sich das Wasser aus der Tiefe Bahn an die Oberfläche brechen. Der Mensch siedelte sich an den Quellen an, und indem er der Natur nachhalf, indem er durch künstliche Brunnenschachten einen immer reicher werdenden Wasservorrath erschloß, vermehrte er den Umfang dieser Zufluchtsstätten auch für die Pflanzen und Thiere. Manche Oasen wurden dergestalt zu kleinen, wohlbevölkerten Culturdistricten; später, als die Hülfe des Menschen nachließ, als Hunderte von Brunnen verschüttet waren, nahm auch die Wüste wieder von dem ihr abgetrotzten Boden Besitz; die wandelnden Sandhügel bedeckten das gewonnene Ackerland und nur wenig erhielt sich von der ehemaligen Cultur. In dieser Lage befindet sich zu unserer Zeit die Große Oase, welche man einige Tagereisen im Westen von Theben erreicht, und die deshalb auch den Namen der Oase von Theben führt.

Das Vorhandensein eines Restes von Culturland, welches selbst heute noch immerhin seine fünf- bis sechstausend Menschen ernährt, mußte natürlich daselbst die Bildung der oben erwähnten Verbreitungsmittelpunkte gewisser Thierarten begünstigen, welche wir in weitem Umkreise um die Große Oase, gleichsam strahlenförmig in die völlige Einöde der Wüste hinaus ihren Einfluß ausüben sehen. Zunächst erblicken wir am Rande der Wüste den Boden von zahllosen Löchern kleiner Nagethiere durchfurcht, von denen, bei der überraschend großen Anzahl der in der Großen Oase vorhandenen Raubthiere, angenommen werden kann, daß sie einer fast unbegrenzten Vermehrung fähig seien. Es sind Springmäuse und Wüstenmäuse, welche hier ihr Wesen treiben, schwelgend im Ueberfluß aufgehäufter Lebensmittel, während ihre Artgenossen im Innern der Wüste von den wenigen dort vorhandenen Wurzeln, vom Miste der Zugvögel und dergleichen ihr Dasein fristen müssen und vielleicht nie einen Tropfen flüssigen Wassers zu kosten bekommen. Die großen Haine der Dattelpalme aber, welche den Hauptgegenstand der Oasencultur ausmacht, wimmeln von großen Ratten der Alexandriner Art. Auf die Häufigkeit dieser Nager stützt sich vornehmlich die Existenz der in der Großen Oase und ihrer Umgebung angesiedelten Räuber größerer und kleinerer Art. Es sind ihrer daselbst fünf Arten, und da ihre Individuenmenge zu den bemerkenswerthesten Eigenthümlichkeiten dieses abgeschiedenen Erdenwinkels gehört, so lenkten sie vor Allem meine Aufmerksamkeit während[WS 1] eines dreimonatlichen Besuches im vergangenen Winter auf sich. Das größte von den fünf Raubthieren der Oase – denn die Hyäne fehlt daselbst des geringen Viehstandes und der mangelnden Kameele wegen – ist der nordafrikanische Wolf, den die Araber „Dib“ nennen. Alsdann folgen der Größe nach der libysche Luchs, der Nilfuchs, der Schakal und zuletzt der kleinste Repräsentant der wilden Hundefamilie, der dem Edelmarder an Größe gleichkommende Wüstenfuchs oder „Fennek“, der Gegenstand des beigegebenen Holzschnittes.

Lange kann ein Reisender Aegyptens Wüsten durchwandert haben, bevor ihm von den räuberischen Vierfüßlern, die sie bewohnen, durch Zufall einmal mehr zu Gesicht gekommen wäre, als die Fußspur, welche sie hinterlassen. Große Geduld auf nächtlichem Anstande hat er zu bewahren, will er des Einen oder Anderen derselben irgendwo habhaft werden. Das sicherste Mittel zu diesem Zwecke gewähren ihm unsere Fallen und Fangeisen, denn diese zwar im Uebrigen so schlauen Naturkinder fallen ihnen in Folge ihres ungewitzigten Gemüths gar leicht zum Opfer.

Am besten hatten sich während meines letzten Besuchs in der Oase die größeren Fuchseisen oder Schwanenhälse bewährt, denn mit Ausnahme des verschlagenen Dib gingen alle die genannten Räuber unbedenklich in die Falle, selbst wenn der Apparat blos offen auf den Sand gelegt worden war. Nur durfte seine Anwendung in einer und derselben Gegend nicht mehrere Tage hintereinander fortgesetzt werden; ungeachtet der sorgfältigsten Reinigung mieden alsdann alle Thiere das verrätherische Eisen, als wäre die Kunde von einer Seitens der Arglist des Fremden drohenden Gefahr schnell unter ihnen von Munde zu Munde gegangen. Wer aber nie, selbst wenn sie auf’s Sorgfältigste im Sande vergraben worden, in die Falle ging, war der von den Oasenbewohnern hinsichtlich seiner Gescheitheit dem Affen zur Seite gestellte Dib, der Wolf der Wüste. Stets umschleicht dieser voll Mißtrauen den freiliegenden Köder, scharrt und tastet, sondirt wohl auch die Stelle von unten her, bis das tückische Eisen seinen Blicken freiliegt; man vermag ihm eben nur mit Hülfe der Kugel beizukommen.

Unmittelbar nach Sonnenuntergang beginnen die Dibs ihre Streifzüge, kehren aber bei völliger Dunkelheit wieder zu ihren Schlupfwinkeln zurück, denn ihr schwaches Gesichtsvermögen flößt ihnen alsdann ein Gefühl von Unsicherheit und Zaghaftigkeit ein. Dies ist auch der Grund, weshalb sie bei ihren Unternehmungen einer mondklaren Nacht den Vorzug zu geben und ihre Hauptcoups für das erste Morgengrauen zu reserviren pflegen. Allabendlich bei vorgeschrittener Dämmerung hallte die ganze Oase wieder vom abscheulichen Geheule der Dibs, welche sich am Rande des Culturlandes zusammenrotten, um den daselbst besonders häufigen Wüstenmäusen, in Ermangelung einer besseren Beute, mit vielem Eifer nachzugraben. Andere wagen sich frech bis in die Gärten und Dattelhaine, wo sie sich mit den Hunden der Bewohner umherbalgen. Wenn die Dibs zu heulen beginnen, so geschieht es in der Regel a tempo und so unerwartet und plötzlich, daß der Reisende erst nach geraumer Zeit sich des täuschenden Eindrucks zu entschlagen vermag, als wären es wehklagende Kinderstimmen, die er vernimmt. Oft bin ich in solchem Falle erschrocken in’s Freie geeilt, um die Ursache des Geschreies zu erfahren; das bald darauf einfallende Hundegebell mußte mich immer wieder von Neuem meines Irrthums belehren. In langgezogenen herzzereißenden Tönen erscholl da ihr von Hunger und Brodneid eingegebenes Jammergeschrei; dazu gesellte sich noch der nächtliche Ruf des Käuzchens, welches überall im alten Gemäuer zu Hause ist, der Stimme eines alten Weibes nicht unähnlich. Die übrigen Räuber verriethen durch keinen Laut

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wähernd
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_032.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)