Seite:Die Gartenlaube (1875) 049.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Falle erhielt man einen Einblick in das Getreibe einer Gaunergenossenschaft, von denen nur der Hauptvertreter zur Anklage gezogen wurde, aber wegen Mangels eines Beweises freigesprochen werden mußte. In diese Wespennester mit gewaffneter Hand einzugreifen, nützt in der Regel Nichts; an der einen Stelle zerstört man sie, an einer andern versteckteren kommen sie wieder zum Vorschein. Aber ein wesentliches Organ fehlt unserer Criminalpolizei, das Organ der Vigilanz, oder mit anderen Worten: es fehlt an solchen Beamten, welche ein Gewerbe daraus machen, verdächtigen Personen auf Schritt und Tritt zu folgen und wenn nicht die Ausführung eines Verbrechens zu verhindern – was keineswegs immer im Interesse der öffentlichen Sicherheit liegt – so doch den Verbrecher auf der That zu ertappen und den Braten „noch warm“ an die Criminalbehörde abzuliefern.

Ich sagte oben: es bestände eine Theorie von der Epidemie bestimmter Verbrechen. Leider hat diese Theorie eine sehr praktische Seite. In einer großen Stadt, wie Berlin, wo die moralische Ansteckung mindestens ebenso große Verheerungen in den Gemüthern anrichtet, wie die physische in den Körpern, wo außerdem Mangel und Noth, in unmittelbarer Berührung mit Ausschweifung und Luxus, in Tausenden von menschlichen Gehirnen jene phosphorescirende Intelligenz erzeugen, welche nur nach den Grundsätzen des Egoismus und der Habsucht verfährt, ist es unausbleiblich, daß eine gewisse Kategorie halb verbrecherischer, halb ehrlicher Nahrungszweige jene problematischen Existenzen an sich zieht, die, von einer unwiderstehlichen Sucht, schnell reich zu werden, getrieben, mit einem weiten Gewissen einige Schlauheit und sehr viel pöbelhafte Frechheit verbinden. Zu dieser Sorte „eleganter Verbrecher“ gehörte vor Zeiten der Erfinder des „Kümmelblättchens“, auch Bauernfänger genannt, obgleich er weniger unter unsern braven Landsleuten, als unter Russen und Brasilianern seine ersprießlichsten Bekehrungsversuche bethätigte. Gegenwärtig ist die Glanzperiode des Kümmelblättchens und seiner Anhänger wohl vorüber. Die Helden der drei Räthselkarten sind entweder unter die kleinen Gründer gegangen oder haben ein anderes Gewerbe ergriffen, das seinen Mann nährt.

Als ein solches hatte vor Jahr und Tag der sogenannte Stellenvermittelungsschwindel ein gewisses Renommée erlangt. Es gehören zwei oder drei gute Freunde zu dieser bekannten Industrie-Branche,[1] welche viel Aehnlichkeit mit dem Bauernfang hat, vor diesem aber durch geringere Gefährlichkeit und größere Ergiebigkeit den Vorzug verdient. Es miethet Jemand in einer möglichst frequenten Stadtgegend ein trauliches Hinterstübchen, welches er mit einem Stehpult aus Fichtenholz und einigen birkenen Stühlen möblirt und das er „Bureau für Stellenvermittelungen“ oder auch „bureau de placement“ benennt. Der Betreffende ist selbstverständlich im Besitze einer ordentlichen polizeilichen Concession und überhaupt ein Mann, dessen äußere Erscheinung eine entschieden Vertrauen erweckende Wirkung hervorbringt. Eine künstliche Körperrundung, eine große Stahl- oder Hornbrille, eine nicht übertrieben altväterische Kleidung und eine schwere, wenn auch nicht immer echte Uhrkette vervollständigen sein solides Aeußere.

Dieser Mann besucht zu einer bestimmten Tageszeit, meistens kurz nach dem Erscheinen der Abendzeitungen, irgend ein seinem Bureau benachbartes Bierlocal oder eine nahe Conditorei, wo er sich auf das Angelegentlichste mit dem Studium der „Tante Voß“ und des „Intelligenzblattes“ beschäftigt. Als Resultat dieser Beschäftigung bringt er einen Zettel mit nach Hause, auf den er die in den beiden Blättern annoncirten Stellenvacanzen notirt hat. Den Zettel übergiebt er einem schäbig gekleideten Schreiber, der an dem fichtenen Stehpulte des Vormittags über Federn zugeschnitten hat und der sich jetzt mit Lust und Eifer darüber hermacht, die „Aufträge“ seines Principals in ein ungeheuer großes Buch mit kalligraphischer Ausführlichkeit zu übertragen.

Durch verführerische, aber vorsichtig abgefaßte Annoncen angelockt, erscheint nun das Heer der stellensuchenden Provinzialen, welche nach Berlin gekommen sind, um dort ihr Glück zu machen. Diese Leute sind meistens von einer wahrhaft polizeiwidrigen Unkenntniß der Dinge. Hätten sie nur eine entfernte Ahnung von den Schwierigkeiten, welche gegenwärtig mit der Erlangung einer auskömmlichen Stellung in der deutschen Metropole verbunden sind, so würden sie die Idee, daß Jemand ihnen für zwei Thaler „Einschreibegebühren“ eine vortreffliche Versorgung zu verschaffen im Stande sein soll, von vornherein auf den Kehrichthaufen der Illusionen werfen. Aber von Illusionen lebt ja bekanntlich der Mensch und der Stellenvermittler erst recht. Er schickt den heißhungrigen Provinzialen überall dorthin, wo vor zwei oder drei Tagen ein Hausdiener oder „ein zuverlässiger Mann, der zweihundert Thaler Caution bestellen kann“ oder ein dito Lagerverwalter gesucht wurde. Besonders die letztgedachte, vielbedeutende Stellung gehört zu den beliebtesten Lockspeisen. Die Vacanzen sind nun entweder inzwischen schon besetzt, oder Demjenigen, der die Stelle zu vergeben hat, paßt der neue Ankömmling schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil der Unglückliche als einzige Reverenz den Namen des übelberüchtigten Stellenvermittlers nennt. Ist der „Freier“ genug abgehetzt und fängt er an, ungeduldig zu werden, so wird ihm nunmehr die eigentliche Tarnkappe des Allewerdens über die Ohren gezogen.

Der Principal hat nämlich einen oder zwei gute Freunde, Besitzer sehr einträglicher Geschäfte in den besten Stadttheilen, welche zu jeder Zeit Jemand gebrauchen können, der als Einlage in das Geschäft einige hundert Thaler bezahlt und dafür die ausschweifendsten Rechte eines stillen Compagnons erlangt. Es wird also ein anderer Contract entworfen, in welchem einer der guten Freunde als der eine und der Sohn der Provinz als der andere Contrahent fungirt. Jeder der Contrahenten erhält ein Exemplar dieses Schriftstücks; die Baarschaft des rotwangigen Kindes der Unschuld wandert in die Taschen der beiden Biedermänner, welche natürlich auf gemeinsame Rechnung arbeiten, und, wenn die „Illusion“ auch vielleicht noch einige Tage anhält, die Wahrheit ist in der Regel so nüchtern und grob, daß sie sich auch dem unverbesserlichsten „Illusionär“ fühlbar macht. Im besten Falle ist zwar in einer Winkelgasse der City ein kleiner schmutziger Laden gemiethet, in welchem von dem Biedermann Nr. 2 ein kümmerlicher Kleinhandel mit Cigarren und Tabak betrieben wird. Aber selbst die mit vergoldender Tinctur reich begabte Phantasie unseres Neu-Engagirten vermag die betrübende Thatsache, daß sämmtliche Vorgänger seines Principals in dem Laden Bankerott gemacht haben, und daß die Leitung des Geschäfts wesentlich im Aufrauchen des geringen Cigarrenvorraths besteht, in keinem andern Lichte zu erblicken als dem der absolutesten Hoffnungslosigkeit. Da der Principal nie zu Hause ist – er hat vorläufig genug zu thun, um die Einlage seines jungen Mannes mit guten Freunden zu verjubeln – so tritt eines schönen Tages die Furie der Rache in das verlassene Local und treibt den betrogenen Jüngling auf das nächste Polizeibureau.

(Schluß folgt.)




Wie sichern wir unsere Briefe?

Im letzten Sommer besuchte ich auf einer Wanderung durch das herrliche Thüringen einen meiner älteren Freunde, der einige Jahre zuvor sich mit seiner Familie in dieser Gegend niedergelassen hatte. Man empfing mich freundlich, war aber bemüht, eine gewisse Gedrücktheit der Stimmung nicht aufkommen zu lassen, die namentlich dann merkbar hervortrat, wenn die Unterhaltung der jüngsten Vergangenheit sich zuwandte. Gleichzeitig auch fiel mir das gegen sonst veränderte stillere Wesen und oftmals umflorte Auge der ältesten Tochter meines Freundes auf. Diese Beobachtungen veranlaßten mich endlich, die Stunde nach dem Mittagessen, die ich allein mit Freund B. bei Kaffee und Cigarre unter der Veranda des Hauses zubrachte, zu einer directen Frage nach der Ursache dieser Veränderung zu benutzen.

Als ob es ihm eine Erleichterung gewährte, sich einmal offen aussprechen und dem gepreßten Herzen Luft machen zu können, theilte mir B. nun Folgendes mit. „Vor fast einem Jahre,“ erzählte er, „hielt sich hier ein junger Beamter auf; er wurde bei uns ein oft und gern gesehener Gast und gewann das Herz meiner Tochter Anna. Nach kurzer Zeit wurde er nach Berlin

versetzt. Kaum war er indessen vierzehn Tage fort, als Anna

  1. Vorlage: „Industie-Branche“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_049.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)