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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Haldenwang umgab, dem Edelhof näherte und der Treppe zuschritt, die aus diesen Anlagen auf die Veranda führte, sah er dort oben zwei Männer in, wie es schien, sehr eifrigem Gespräche mit einander. Der eine saß hinter dem runden Tische aus Gußeisen; der andere stand mit über der Brust verschlungenen Armen in einer wie drohenden Haltung vor ihm. Sie sprachen laut und heftig; laut und heftig zu reden war sonst Herrn von Maiwand’s Art und Weise nicht – denn diesen erkannte Landeck bald in dem Sitzenden. Der Andere war ihm fremd, bis er näher kommend dessen Stimme erkannte – es war die des Mannes, dessen Zwiegespräch mit Fräulein Elisabeth er angehört hatte, Rudolph, der Neffe des Herrn Escher also, der „Vetter Rudolph“, von dem ihm sein Zögling Karl erzählt hatte. Mit einer gewissen Spannung faßte er das Aeußere dieses jungen Mannes in’s Auge. Er machte ihm den vortheilhaftesten Eindruck durch seine Erscheinung, die viel mehr männlich Gereiftes zeigte, als Landeck erwartet hatte, wenn ihm auch Karl von dem großen Vollbart erzählte, den er verabscheute. Rudolph hatte eine feste Gestalt, offene, sehr gebräunte Züge und lockiges, dunkles Haar; er war jedoch ziemlich nachlässig gekleidet, durchaus nicht salonfähig, und schien einen Besuch bei Frau von Haldenwang, bei der ihn Landeck ja auch nie getroffen hatte, nicht beabsichtigt zu haben. Vielleicht halte er mit Maiwand nur in einer Geschäftsangelegenheit zu reden, als Werkmeister seiner Fabrik; es war ja Landeck überhaupt aufgefallen, wie die Mitglieder dieser Familie Escher sich so fern von einander hielten; oder hatte Fräulein Elisabeth mit ihrer Eifersucht Recht gehabt, und durfte sich Rudolph erlauben, in solch bequemer grauer Joppe, mit einem so nachlässig umgeschlungenen Halstuche zu seiner schönen und vornehmen Cousine zu kommen?

Landeck wandte sich, als er in den Gehörkreis der beiden Sprechenden gekommen war, ohne von ihnen bemerkt zu werden, wieder zurück und schritt auf einem der sich schlängelnden Kieswege der andern Seite des Gebäudes zu. Er wollte die Verhandlung der Männer nicht unterbrechen; es schien auch nach der Lebhaftigkeit, womit sie dieselbe führten, daß sie einen Dritten wohl sehr störend gefunden hätten.

Und dem war freilich so. Die Unterhaltung zwischen dem Werkmeister Rudolph Escher und dem Herrn von Maiwand bewegte sich um einen Gegenstand, bei dem sie einen Dritten höchstens hätten brauchen können, um den Ausbruch eines Kampfes zwischen den zornig erhitzten Gemüthern zu verhindern.

„Wenn Sie einen Funken von Ehrlichkeit in sich haben, Herr von Maiwand,“ hatte Rudolph eben ausgerufen, „so müssen Sie sofort mit mir zu meinem Vater gehen und ihm erklären, wohin das Vermögen Malwinens gekommen, in wessen Hände es gefallen ist, und wenn Sie einen Funken menschlicher Theilnahme in sich fühlen, so müssen Sie mit mir zu meinem Onkel Gottfried Escher gehen und ihm erklären, daß nicht ich, wahrhaftig nicht ich der Schuldige war, daß er, wenn er die Hand seiner Tochter in die meinige legt, sie wahrhaftig nicht in die eines – Cassendiebes legt.“

„Lächerliche Zumuthung das!“ hatte Maiwand darauf geantwortet, seine Cigarre am Tischrande abstoßend und wie in großer Gemüthsruhe das linke Bein auf das rechte hinaufziehend, „höchst lächerlich! Ich begreife gar nicht, wie Sie auf diese alten längst abgethanen Geschichten zurückkommen können. Was geht mich diese Sache jetzt noch an – bin ich etwa der Cassendieb gewesen? Das waren am Ende …“

Er stockte, wie noch zögernd, den Satz auszusprechen, aber Rudolph ergänzte ihn.

„Das war ich – ich war es, nicht wahr, das wollten Sie sagen? Nein, nicht ich bin es gewesen, mein Herr von Maiwand, sondern Sie, Sie waren es, der mich überrumpelte und täuschte und verführte, meine Stellung so zu mißbrauchen, das Vertrauen, welches mir mein Chef gezeigt hatte, so erbärmlich zu hintergehen. Und nun fordere ich Sie auf, wie ein ehrlicher Mann zu handeln und Ihre Schuld zu gestehen – oder bei Gott! ich breche meinen Schwur, Sie nicht zu verrathen und sage Malwinen Alles, Alles. Ich weiß, daß ich Sie damit vernichten kann. Denn glauben Sie nicht, daß es mir entgangen ist, wie Sie im Stillen – nicht offen; das würde Malwinen scheu machen – nein, im Stillen, allmählich, durch die Macht der Gewohnheit, durch das Gefühl der Unentbehrlichkeit Ihrer Dienste meine Cousine zu umgarnen und endlich zur Ihrigen zu machen suchen. Und das Alles, dieser ganze fein eingefädelte Plan, alle Ihre bisherigen Anstrengungen sind zu Nichte gemacht, sobald ich rede, sobald ich Malwinen sage, welch ein Mensch Sie sind. Sie wird Sie verachten.“

Maiwand erblaßte ein wenig; er führte seine Cigarre, ohne zu bemerken, daß er das Feuer derselben längst ausgestoßen hatte, immer wieder zum Munde, und dann sagte er gezwungen lächelnd:

„Wenn Sie meineidig werden wollen, kann ich Sie nicht hindern. Aber einen Vortheil davon werden Sie nicht haben. Ich würde einfach erklären, daß Sie lügen. Und glaubt Malwine Ihnen dennoch – nun wohl, was verschlägt mir’s? Ich bin, Gottlob! nicht in der Lage, mich vor der ‚Verachtung‘ Malwinens sehr fürchten zu müssen. Was thut’s? In der Ehe kommt es öfter vor, daß die Weiber ihre Männer ein wenig verachten.“

„Ah – Sie wollen nicht sagen …“

„Daß Malwine mein Weib sei? Nein, das nicht. Nur, daß sehr gewichtige Gründe für sie da sind, es zu werden.“

Rudolph sah ihn höchst überrascht an.

„Und wenn Sie überhaupt,“ fuhr Maiwand fort, „der Ansicht sind, daß man Dem, was Sie sagen und erzählen, auch dann, wenn ich Ihnen widersprechen sollte, Glauben beimessen wird, wohlan, so erzählen Sie doch selber Alles Ihrem Vater und Ihrem trefflichen Oheim Escher, von dem Sie behaupten, daß er eines ungerechten Verdachtes wegen sich weigert, Ihnen seine Tochter zu geben. Weshalb reden Sie dann nicht selber?“

„Deshalb, weil Beide mißtrauische, durch das Leben, in dessen Mitte sie stehen, argwöhnisch gemachte Menschen sind, weil sie mir vorhalten würden: ‚Weshalb sprichst Du erst jetzt …‘“

„Worin sie dann auch Recht hätten.“

„Recht? Ich habe Ihnen ja gesagt, wie ich erst am gestrigen Abend von meinem Vater vernommen habe, welch einen unseligen bösen Verdacht er wider seinen Bruder hegt; wie dieser Bruder aber den Verdacht lieber auf sich duldet als meinen Vater aufzuklären, und wie er nur so handeln kann, weil er meinen Vater zu schonen sucht, indem er ihm etwas vorenthält, was, wie er offenbar glaubt, eine schlechte Handlung von mir ist. Ich habe Ihnen gesagt, wie dies Alles mir erst gestern klar geworden, wie mir jetzt erst klar geworden, weshalb der Onkel mir Elisabeth’s Hand verweigert, und wie dies mich zwingt, zu Ihnen zu kommen und Sie aufzufordern, als Mann Ihre Pflicht zu thun … das fordere ich von Ihnen, das fordere ich augenblicklich, und wenn Sie sich weigern, so werde ich Erde und Hölle in Bewegung setzen, um Sie zu zwingen …“

„Was ich für Pflicht halte, darüber habe ich selber ganz allein zu entscheiden, mein bester Herr Escher, und wenn Sie sich einbilden, mich zwingen zu können, so muß ich Ihnen gestehen, daß ich das einfach für kindisch halte. Damit, mein’ ich, könnten wir diese Unterredung enden.“

„Enden? Sie glauben wirklich, wir wären damit zu Ende, ich ließe mich beschwichtigen, ehe ich Ihnen gesagt habe, daß ich Sie für einen ehrlosen Buben halte, daß ich, wenn Sie mein Verlangen nicht erfüllen, Sie laut und überall dafür erklären werde?“

„Mensch!“ rief Maiwand aufspringend, und ihm ein Paar Schritte entgegentretend.

Rudolph erwartete ihn hochaufgerichtet und trotzig.

„Was wollen Sie? Glauben Sie, ich nähme das Wort zurück? Niemals! Und nun fordern Sie mich! Ich stehe zu Dienst.“

„Ich Sie fordern?“ rief in grenzenloser Wuth, aber sich zum Lachen zwingend, Maiwand aus, „ich Sie? Sie vergessen denn doch gar zu sehr, was Sie sind, und was ich bin. Als ob ein Edelmann und Officier sich mit – einem Arbeiter schlüge!“

Rudolph schien dieses Wort so zu empören daß er, dicht an Maiwand herantretend, den Arm mit der sich ballenden Faust erhob. Maiwand griff, wie nach einer Waffe, nach dem auf dem Tische liegenden Papiermesser, aber Rudolph’s Arm wurde, bevor er einen Schlag führen konnte, von einem festen Griff um den Knöchel gefaßt und eisern niedergedrückt: Landeck stand neben ihm und zwischen den beiden zornigen Männern.

Landeck hatte, um die Zeit hinzubringen, langsam wandelnd

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_075.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)