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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

daher mit unbewaffnetem Auge schwer zu entdecken. Seine Farbe ist gelb. Da immer eine große Zahl von Rebläusen dicht zusammengedrängt sitzt, so sind die dadurch gebildeten gelben Flecken deutliche Merkmale des Vorhandenseins, das dann unter der Loupe leicht zu constatiren ist. Die Vermehrung dieser Insecten geschieht in verschiedener Weise, am meisten durch geschlechtslose, besser vererbte Zeugung. Wie bei den Blattläusen überhaupt, entwickeln sich die Männchen erst kurz vor Winter, als vollkommene Insecten;

Fig. 1.

die Weibchen werden befruchtet und legen dreißig bis vierzig Eier, welchen im Frühjahre nur weibliche, oder geschlechtslose Individuen, sogenannte Ammen, entschlüpfen, die in verschiedenen Generationen, deren man bis zwölf im Laufe eines Sommers annehmen will, fort und fort Eier legen, bis die Befruchtungskeime erschöpft sind. Alsdann verwandeln sich die Ammen in sogenannte Nymphen, und diese in das vollkommene, geflügelte Insect. In welcher ungeheueren Progression die Vermehrung dieser winzigen Verderber vor sich geht, lehrt ein einfaches Rechenexempel. Gesetzten Falles, die Ammen legten jedesmal dreißig Eier, und diese kämen sämmtlich ungefährdet zur Entwickelung, so würde sich in der zwölften Generation die Nachkommenschaft eines Insects auf die ganz unermeßliche Zahl von 17,714,700,000,000,000 Individuen belaufen. Daraus geht aber auch die Gefährlichkeit dieser kaum sichtbaren Wesen hervor. Uebrigens sollen neuere Forschungen dargethan haben, daß auch ungeflügelte Männchen der Phylloxeren auftreten, sowie, daß die Weibchen zu gewisser Zeit ein besonders großes Ei legen, aus welchem dann die fruchtbare Stammmutter einer ganzen Generationsreihe erwächst. Es kann aber keineswegs unsere Aufgabe sein, hier die verschiedenen Ansichten und Beobachtungen der Gelehrten in dieser Sache abzuwägen, oder des Tieferen in die Physiologie des Insectes einzudringen.


Fig. 2.

Die junge, dem Ei entkrochene Phylloxera läuft emsig hin und her, bis sie einen Platz gefunden hat, um sich festzubohren. Sie thut dies zunächst an den zarten Thauwurzeln, hier bohrt sie an geeigneter Stelle mit ihrem Rüssel durch das Zellengewebe und senkt dann ihre vier Saugeröhren ein, um den Saft zu saugen. Von nun an bleiben die Thierchen unbeweglich sitzen, dicht aneinander gedrängt, gleich einem Schuppenpanzer. Die verwundeten Stellen der Wurzeln aber bilden Wülste oder Verdickungen von hellerer Farbe; an ihnen ist das Dasein der Wurzelläuse zunächst mit Bestimmtheit zu erkennen; allmählich gehen sie in Fäulniß über, und das Absterben des Weinstockes beginnt. Diesem selber sieht man im ersten Jahre nicht an, daß zahllose winzige Verderber an seinem Marke zehren. Erst im zweiten oder dritten, je nach dem Grade der Befallung, beginnt er von oben nach unten zu vergilben; die Trauben gelangen nicht zur vollkommenen Ausbildung; die Reben werden dürr, und zuletzt verdorrt der ganze Stock. Bemerkenswerth ist, daß einzelne Rebensorten den Wurzelläusen besser widerstehen, als andere, namentlich die amerikanischen. Denn aus Amerika, wo es schon im Anfange der fünfziger Jahre genau beschrieben worden, ist das Insect, wahrscheinlich mit Wurzelreben der Vitis cordifolia oder Labrusca nach Europa gelangt.

Fig. 3.

Doch hat auch die Ansicht volle Berechtigung, daß es längst einheimisch gewesen, früher aber niemals so massenhaft aufgetreten oder aus Mangel an genügenden Hülfsmitteln nicht entdeckt worden sei. Die Phylloxera verbreitet sich entweder durch die Pfade der Risse und Spalten in festem Erdreiche – im rinnenden Sandboden tritt sie nicht auf oder bleibt unschädlich – oder sie wandelt an der Erdoberfläche von einem Stocke zum andern, endlich als geflügeltes Insect, sei es mittelst eigener oder der Kraft des Windes. Natürlich ist das letztere sprunghafte Wandern, welches allein die sonst räthselhafte Erscheinung von neuen Infectionshorsten inmitten gesunder Weingärten erklärt, das gefährlichste, und müssen in Zukunft die Hauptvorkehrungen gegen die Flügelinsecten gerichtet werden.

Fig. 4.

Freilich ist man trotz aller erdenklichen Anstrengungen, und obgleich sich bedeutende Größen der Wissenschaft die Köpfe gemartert haben, heute noch immer in den Anfängen der Bekämpfung des heimtückischen Feindes. Alle Mittel haben bisher wenig oder nichts geholfen, von den ungereimtesten Abenteuerlichkeiten bis zu den feinst ausspintisirten Theoremen. Hat man doch Weihwasser und das heilige Wasser der Quelle von Lourdes als unfehlbare Gegengifte vorgeschlagen, ebenso wie fast jeden Stoff, der in irgend einer Pharmakopöe enthalten ist. In den zu diesem Zwecke eigens ausersehenen Versuchsweinbergen zu Sorres im Departement Herault hat man allein ein Vierteltausend „ganz sicherer“ Verfahren probirt, sämmtlich ohne den gewünschten Erfolg. Die französische Regierung hat schon im Jahre 1869 einen Preis von 20,000 im Jahre 1874 einen solchen von 300,000 Franken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_081.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)