Seite:Die Gartenlaube (1875) 088.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Am ausführlichsten und eingehendsten behandelt Johnen die beiden mehr sinnenfälligen Erscheinungen des Wunders: das Bluten und die Ekstase. Auf diesem Gebiete, auf welchem der Mediciner Schritt um Schritt mit unerbittlichen Sätzen der Wissenschaft dem Wunder zu Leibe geht, können wir ihm hier nicht folgen; man muß die ganze Kette der Beweisgründe gegen die Behauptung, daß die stigmatische Blutung nur durch ein Wunder zu erklären sei, vor Augen haben, um sich des Resultats auch gründlich mit zu erfreuen; das Herausheben einzelner Glieder hilft uns nichts, und darum verweisen wir in dieser Beziehung unsere Leser auf das Schriftchen selbst. Am Schlusse desselben faßt Johnen das Ergebniß seiner Beleuchtung zusammen und stellt als unbestreitbar folgende vier Sätze auf:

1. Louise Lateau war und ist noch heute eine kranke Person.

2. Für die Behauptung, daß Louise Lateau keine Nahrung seit mehreren Jahren zu sich nehme, ist kein einziger wissenschaftlicher Beweis erbracht worden.

3. Die Berichte haben nicht den wissenschaftlichen Beweis geliefert, daß die stigmatischen Blutungen nicht auf natürlichen Ursachen beruhen.

4. Louise Lateau leidet an Hysterie und die Ekstase ist ein Zeichen dieser Krankheit.

Soweit Dr. Johnen. Diesem klaren und wahren ärztlichen Bekämpfer unwürdigen Spiels mit Religion und Glauben kommt nun auch die Naturwissenschaft zu Hülfe. Ein Bericht aus Zürich verkündet folgende merkwürdige Entdeckung der Chemie:

„In der letzten (December-) Sitzung der ‚Naturforschenden Gesellschaft in Zürich‘ machte Professor Weith Mittheilungen über ein Verfahren, die Erscheinungen der sogenannten Stigmatisirung, wie sie z. B. Louise Lateau von Bois d’Haine zeigt, welche jeden Freitag an bestimmten Stellen des Körpers Blut schwitzt, auf chemischem Wege künstlich hervorzubringen. Reibt man die Haut mit einer Lösung von Eisenchlorid oder besser noch von schwefelsaurem Eisenoxyd ein, welche Operation durchaus keine sichtbaren Spuren hinterläßt, und besprengt man dann die betreffenden Stellen mit der sehr verdünnten wässerigen Lösung des Rhodankaliums, so tritt in auffallendster Weise eine höchst intensive, scheinbare Blutung ein. Der Vorgang beruht auf der bekannten Umsetzung des Rhodankaliums mit der Eisenverbindung; es entsteht lösliches Eisenrhodanid, welches sich durch seine intensive, rein blutrothe Farbe auszeichnet. Durch Vorführung eines vorher mit Eisenchlorid präparirten Individuums, welches dann mit der völlig farblosen Lösung von Rhodankalium besprengt wurde, konnten sich die Mitglieder der Gesellschaft von dem überraschenden Effect dieser chemischen Reaction überzeugen.“

Sollte mit dieser Eisenchloridlösung auch das große Räthsel der Stigmatisation gelöst sein, dann hätte, wie schon so oft, ein kühner Trumpf der Finsterlinge zu einem neuen Triumph der Wissenschaft geführt. Dies Eine steht wenigstens fest: Die Stigmatisation kann künftig mit obigem Mittel Jedermann zu seinem Vergnügen treiben.

Fr. Hfm.




Blätter und Blüthen.


Ein Märchenerzähler. (Mit Abbildung, S. 77.) Es ist ein classischer, sagenreicher Boden, auf welchem Tunis steht. Hier gründete Elissa mit den Riemen einer Rindshaut ein Weltreich, an dessen Größe und Zerstörung sich die Namen Hamilkar’s, Hannibal’s und der Scipionen knüpfen; hier tauchten im Laufe der Geschichte bunt nacheinander die Schaaren der Vandalen, Mauren und Kreuzfahrer, die Krieger Karl’s des Fünften, Cromwell’s und Ludwig’s des Vierzehnten auf, und vor Allem hier an diesen träumerischen Ruinen Karthagos zog zum großen Theil die Glanzperiode des siegreichen Halbmondes vorüber. Man muß es wohl deshalb natürlich finden, daß die jetzige Bevölkerung dieses Landes mit besonderer Vorliebe von dessen romantischer Vergangenheit zehrt, und die Weise, in welcher sie es thut, stimmt mit dem öffentlichen Leben und Treiben, dessen orientalischer Ursprung unverkennbar ist, ebenso überein, wie die schreienden Waarenausrufer und die offenen Werkstätten im Zuck (Bazar). Der letztere ist der Centralpunkt des Verkehrs, der das ganze lärmende und ostensible Gepräge eines Handelsplatzes trägt, auf welchem sich Nationen der verschiedensten Art ein Stelldichein geben.

Nachdem wir die große Moschee und die Kasbah, oder wie es von den Spaniern genannt wird, das Fort la Goletta, in Augenschein genommen und uns mühsam durch das bunte Gewimmel der Beduinen, Araber, Juden, Neger, Griechen, Portugiesen etc. gedrängt haben, verspüren wir eine leichtverzeihliche Sehnsucht nach jener Erquickung, die in diesem tropischen Himmelsstriche eine wahre Gottesgabe zu nennen ist, nach einer Tasse echten Mocca, und da sich nahe vor uns ein alter maurischer Bau erhebt, der sich durch den zerlumpten Araber, welcher oben auf den Stufen behaglich eine Tasse des heißen Labsals schlürft, sozusagen als Kaffeehaus zu erkennen giebt, so zögern wir nicht, einzutreten. Durch einen engen dunkeln Gang gelangen wir in eine hohe, düstere Halle. Das Mauerwerk ist verwittert, und die weißgestrichenen byzantinischen Bogen werden von grün und roth bemalten schlanken Säulen getragen. Auf dem roh getäfelten, mit Steinsitzen und Binsenmatten versehenen Fußoden haben sich Männer jeden Alters gelagert und bilden in ihren hellfarbigen Trachten malerische Gruppen. Schweigend und ernst trinken sie ihren Kaffee oder rauchen ihre Cigarette, ihren Haschisch, während der Kaffeediener leichtfüßig und fast unhörbar umhertrippelt, um mit der glimmenden Kohle das aromatisch duftende Kraut in Brand zu stecken. Die ganze träge Ruhe, die sich im Wesen des Orientalen ausspricht, kommt in einer solchen Tabagie zum vollen Ausdrucke. Da es hier aber keine Kaffeehausliteratur nach europäischen Begriffen giebt, so ist auf andere Weise auch für geistigen Genuß gesorgt. Ein Greis, der schon durch seine schöne, imposante Gestalt Aufmerksamkeit erregt, erhebt sich, besteigt einen der Ruhesitze und beginnt zu sprechen. Alles lauscht; immer fließender und feuriger tönen seine Worte; lebhafte Gesten begleiten sie und verfehlen auch auf die scheinbar Theilnahmlosen unter den Anwesenden ihren Eindruck nicht. Was erzählt dieser Mann im fremden Idiom seines Landes?

Ist es der Scheiterhaufen der Dido, oder sind es die Ruinen des alten Karthago, die ihm dieses Pathos entlocken? Sind es die Kriegszüge der Kalifen und die Heldenthaten seiner Voreltern, die ihn und seine Zuhörer so begeistern, oder sind es romantische Rhapsodien aus der Geschichte der spanischen Mauren, Bruchstücke jenes herrlichen Märchenschatzes, der in der Alhambra Granada’s vergraben liegt? Wir wissen es nicht; wir können uns nur dem fremdartigen, aber immerhin wohlthuenden Eindruck hingeben, den diese an historischen Erinnerungen so reiche Küste, diese gleich Rom so vielfach verwandelte Stadt und vor Allem die vor uns sich abspielende Scene, staffirt von hohem, ehrwürdigem Gemäuer, auf uns macht. Von dem gleichen Gefühle scheint auch der Künstler geleitet gewesen zu sein, dessen gewandter Stift diese Scene uns in dem vorliegenden Bilde wiedergiebt.

S.



Kleiner Briefkasten.


W. P. in Berlin, Manteuffelstraße Nr. 48. Unsere letzte[WS 1] Nummer wird Sie bereits überzeugt haben, daß Ihr Verdacht ein ungerechtfertigter war. Wir billigen auch vollständig die Empörung unseres verehrten Mitarbeiters Glagau und bedauern namentlich die vielen Opfer, welche in der Schwindelperiode ausgesogen und zum Theil ruinirt wurden. Die Gerechtigkeit verlangt indeß auch die Kehrseite der Medaille aufzudecken, und da will es uns doch scheinen, als wenn einige Anschauungen Glagau’s nicht immer mit den unsrigen harmonirten.

Ist es zum Exempel nicht ein Irrthum, wenn unser schlagfertiger Mitarbeiter, wie das in dem ersten Artikel geschehen, die Behauptung aufstellt, die „nationale Begeisterung“ und die „heiligsten Gefühle“ des Volkes seien durch die Speculation und das Gründerthum benutzt und auf eine verbrecherische Weise ausgebeutet worden? Sollte Herr Glagau im Ernst glauben, daß alle die Leute, welche mit Rumäniern und andern Gründungsactien, wie die Berliner sagen, „h’reingefallen“ sind, aus „nationaler Begeisterung“ und „durch heilige Gefühle“ veranlaßt, gezeichnet oder gekauft haben? War es nicht im Gegentheil und nur allein die Sucht, statt der bisherigen vier und fünf Procent mit Leichtigkeit acht, zehn und zwölf Procent zu verdienen, und wurden nicht die meisten Opfer lediglich durch die Aussicht verlockt, mit wenig Mühe viel Geld zu gewinnen und so nebenbei auch „ein wenig gründen“ zu helfen? Was haben die „heiligen Gefühle“ mit Strousberg’schen oder Quistorp’schen Actien zu thun? Das Gründungswesen, wie es in den letzten Jahren betrieben wurde, kann nicht scharf genug gegeißelt werden, aber andererseits darf auch nicht verschwiegen werden, daß die übertriebene Gewinnsucht der kleinen Leute den Gründungsschwindel auf jede Weise unterstützt und dadurch längere Zeit gefördert hat. Geradezu gefährlich aber ist es, dieser schnöden Gewinnsucht auch auch noch die patriotische Märtyrerkrone aufzusetzen und „heilige Gefühle“ unterzuschieben, wo allein der leidige Mammon die Triebfeder war.

K. L. in Fbg. Wir möchten Ihnen doch rathen, bei Ihrer mangelhaften Vorbildung nicht mit diesem Feuer zu spielen. Sie dürften sich die Finger in einer Weise verbrennen, die Sie für alle Zeiten zum Krüppel machen könnte. Schopenhauer’sche Philosophie und namentlich das Hartmann’sche System des Unbewußten sind Dinge, die sich nur für feste, eiserne Constitutionen eignen. Ein Kritiker Hartmann’s äußerte sich neulich sehr richtig über die „Philosophie des Unbewußten“: „Wir haben Bücher über die Art glücklich zu sein; aber das ist wahrhaftig eines, welches ohne Schaden seinen Titel vertauschen könnte gegen den der Kunst, sich unglücklich zu machen, wenn man es nicht ist, und noch unglücklicher, wenn man es schon ist.“ Freilich hat die Philosophie, wenn sie ihr Ziel, die Wahrheit, erreichen will, nicht zu fragen, ob Illusionen vernichtet und einige Schwache und Zweifelnde unglücklich werden.

J. B. in Dresden. Nicht Signore, wohl aber Signor wird im öffentlichen Leben Italiens, genau wie in Deutschland, bei der Anrede allen Titeln vorangesetzt und nur im vertraulichen Verkehr, wie ja bei uns auch, weggelassen. Wenn nun, unserer Ansicht nach, das Nichtbekanntsein mit einem solchen Gebrauche noch lange keine „grobe Unwissenheit“ involvirt, so dürfte es doch selbst für einen Tertianer (Tertianerin?) räthlich sein, der Veräußerung seiner Kenntnisse das Gewand der Bescheidenheit umzuhängen; denn, wie Lateiner auch schon in Tertia sagen, errare humanum est.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heft 4, Vorlage: vorletzte
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_088.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)