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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

in Breslau, das Tabaksgeschäft von Prätorius, die Schraubenfabrik von Ludewig, die Holzhandlung von Gebrüder Sarau in Potsdam, die Brillenfabrik von Emil Busch in Rathenow, die Böttcherei von Wunderlich in Zwickau etc. Alle diese Geschäfte wurden ihren Inhabern um Summen abgekauft, welche Jene noch kurz vorher sich nicht hatten träumen lassen, und nun als Actiengesellschaften mit einem so riesigen Capital belastet, daß eine Rentabilität in Zukunft unmöglich war.

Gewisse Verkäufer, wie Wöhlert und Andere, ließen vor Freude über die ungeheuere Kaufsumme, welche ihnen zugefallen; Beträge bis 50,000 Thaler und mehr unter ihre früheren Beamten und Arbeiter vertheilen. Verschiedenen dieser „gegründeten“ Fabrikherren dagegen war beim Essen der Appetit gewachsen, und um ihre Muße ordentlich auszunutzen, gingen sie selber unter die Gründer, mit denen sie nun brav wetteiferten. So thaten z. B. Egells, Stobwasser, Schering, Webers, Schwendy etc.

Auch die Etablissements und Geschäfte zweiten und dritten Ranges kamen an die Reihe. Auch sie wurden entweder aufgesucht, oder sie suchten selber nach Gründern umher. Ihre Besitzer waren zuweilen verschuldet, oder sie standen gar schon auf der Kippe, oder sie trachteten doch, den günstigen Zeitpunkt wahrzunehmen. Sie traten mit einem Bankhause oder mit einem namhaften Gründer direct in Verbindung, oder sie übertrugen die Vermittelung einem Agenten, der sich nun von beiden Theilen eine erkleckliche Provision ausbedingte. Wollte der Besitzer oder der Agent die Gründung selber in die Hand nehmen, so mußte er Verbündete und Patrone gewinnen, die man an der Börse kannte und respectirte. Es mußten Namen angekauft werden, und diese waren nicht billig. So bot man dem Chef eines Bankhauses, wenn er den ihm vorgelegten Gründungsprospect mit unterzeichne, die runde Summe von 10,000 Thalern. Aber er entgegnete mit vornehmem Lächeln, daß seine Unterschrift um diesen Preis noch nicht zu haben sei.

Wie es Gründerbanken gab, so gab es auch eine ganze Anzahl von Personen, die das Gründen als Beruf erfaßten und dabei so gut fuhren, daß sie bald die öffentliche Aufmersamkeit auf sich zogen. In einer Posse, die damals auf der Kroll’schen Bühne erschien, fragt der Vater seinen Sohn: „Was willst Du werden?“ „Gründer!“ ruft der kleine Bursche, zum Entzücken des Publicums, das wüthend Beifall klatschte. – Von diesen professionellen Gründern hatten manche ihr besonderes Fach. Der Eine gründete hauptsächlich Bauvereine, der Zweite Brauereien, der Dritte Banken, der Vierte Maschinenfabriken, der Fünfte Berg- und Hüttenwerke, und so fort. Die Mehrzahl freilich trieb ihre Kunst sonder Auswahl und Beschränkung auf allen möglichen Gebieten. Manche genossen den Ruf besonderer „Feinheit“ und „Gerissenheit“, oder sie hatten doch lauter Erfolge aufzuweisen, so daß man sich bei neuen Unternehmungen eifrig um sie bemühte, sie zum Gelingen der Gründung für unentbehrlich hielt. Andere wieder verstanden es, sich bald hier bald dort einzudrängen; oder man ließ sie zu, um ihnen den Mund zu stopfen, damit sie das Project nicht etwa befehden und schädigen möchten. Endlich bildeten die Gründer verschiedene Cliquen, die gewöhnlich zusammenhielten, und wo der Eine dafür sorgte, daß der Andere nicht vergessen wurde. Gewisse Gründer und Gründercliquen werden wir bei Gelegenheit vorführen.

Der Gründungsproceß selber war mehr oder weniger verzwickt und weitläuftig. Wir wollen ihn an einem Beispiele illustriren. Aus den zahllosen Gründungen jener Tage greifen wir Eine heraus, die wohl als Muster der Gattung gelten darf, und verändern nur die Namen. – Fabrikbesitzer Flau und Gründer Hecht sind durch einen Aufspürer oder Agenten einander zugeführt worden. Flau will seine Fabrik verkaufen, die einen reellen Werth von 250,000 Thalern haben mag. In Anbetracht der Zeitverhältnisse und der eigenthümlichen Umstände fordert und erhält er aber dafür 400,000 Thaler. Das heißt, er erhält sie einstweilen noch nicht. Er überläßt die Fabrik für diesen Preis dem Gründer Hecht mittelst eines sogenannten Schlußscheins, der in der Regel nur eine einseitige Verpflichtung enthält und die Gültigkeit des Abkommens auf einen gewissen Zeitraum beschränkt. Während der nächsten vier oder sechs Wochen steht die Fabrik für die genannte Summe zur Verfügung Hecht’s; Flau darf sie nicht anderweit veräußern, wohl aber ist Hecht befugt, von dem Vertrage, sobald es ihm beliebt, ohne jedes Reugeld zurückzutreten. Den Schlußschein in der Tasche, verständigt sich Hecht mit seinen Cameraden und Geschäftsfreunden; die Rollen des Gründungscomités, der ersten Zeichner, des Aufsichtsraths und Vorstandes werden vertheilt, und es beginnt jetzt, um dem Gesetz in der Form zu genügen, eine Reihe von Komödien. Als „Gründungscomité“ treten Hirsch und Wolf auf. Sie schließen eine offene Handelsgesellschaft, die sie etwa „Cyklop“ nennen, und verlautbaren vor einem Notar das Statut oder den Gesellschaftsvertrag. Als Gegenstand des Unternehmens geben sie den Erwerb einer Maschinenfabrik oder dergleichen an – der Zweck der Gesellschaft wird gern so unbestimmt und vieldeutig wie nur möglich ausgedrückt, damit man hinterher aus ihr Jedes und Alles machen kann. Noch an demselben Tage kaufen sodann Hirsch und Wolf die Maschinenfabrik von vormals Flau; sie erwerben sie von Hecht für den soliden Preis von Einer Million Thaler, nachdem sie vorher im Statut das Actiencapital auf 1,200,000 Thaler festgesetzt haben. Der Ueberschuß von 200,000 Thalern soll als „Betriebscapital“ dienen, um der Fabrik noch einen höheren Aufschwung zu geben. Noch an demselben Tage findet, wieder unter Zuziehung eines Notars, die erste sogenannte „constituirende Generalversammlung“ des „Cyklop“ statt. Es sind anwesend: Hecht, Hirsch und Wolf, dazu noch Fröhlich und Selig, und Grün und Gelb; zusammen also sieben Personen.

Diese Sieben sind die ersten „Actionäre“ des „Cyklop“, die „ersten Zeichner“, welche das Actiencapital von 1,200,000 Thaler aufbringen, das heißt, wie man sehen wird, blos auf dem Papier. Hecht zeichnet 300,000 Thaler, Hirsch und Wolf je 200,000 Thaler, Fröhlich und Selig je 150,000 Thaler, und Grün und Gelb je 100,000 Thaler. Macht zusammen wie oben. Die sieben Actionäre und ersten Zeichner genehmigen einstimmig das ihnen vorgelegte Gesellschaftsstatut, und ebenso einstimmig genehmigen sie den Erwerb der Fabrik von vormals Flau für 1,100,000 Thaler, sowie die Zahlung dieser Summe an Hecht. Darauf wählen diese Sieben den „Aufsichtsrath“ der Gesellschaft, der nach dem Gesetze mindestens aus drei Personen bestehen muß. Es werden mit großer Majorität: Fröhlich und Selig zu Mitgliedern und Wolf zum Präsidenten des Aufsichtsraths gewählt. Mit derselben überwältigenden Majorität wird Hecht zum ersten Director des „Cyklop“, und Hirsch zu seinem Stellvertreter ernannt. Die fünf Würdenträger nehmen an dem langen Tische des Vorstandes Platz, und auf den Bänken der Actionäre sitzen nur noch – Grün und Gelb. Der amtirende Notar aber hat den Verlauf der Generalversammlung protocollirt und gehörig überwacht; er hat die Versammelten mit seinem juristischen Rathe unterstützt, und namentlich darauf gesehen, daß die verschiedenen Genehmigungen, Versicherungen und Wahlhandlungen in vorschriftsmäßiger Form geschahen.

Nach diesem öffentlichen Schauspiele, zu dem freilich auch nur die Acteure, keine unbetheiligten Zuschauer zugelassen werden, macht man das Weitere hinter den Coulissen ab, und zwar so heimlich, daß es noch kein Staatsanwalt und kein Richter hat erforschen und erweisen können. Indem Flau nicht direct, sondern zunächst an Hecht, und dieser wieder an das Gründungscomité verkauft, ist eine Mittelperson gewonnen und so dem Gesetze eine Nase gedreht; denn „es ist ein unanfechtbarer Rechtsgrundsatz, daß Jeder verkaufen und kaufen darf, zu welchem Preise er wolle, und daß es auch Niemanden etwas angeht, was der Verkäufer mit der Kaufsumme mache.“

Die gesammten 1,200,000 Thaler Actien werden dem Bankhause Gebrüder Israel, das gleichfalls zu den Gründern gehört, aber von den offiziellen Verhandlungen sich fern gehalten hat, zum Vertriebe übergeben. Die Zeichnungen der sogenannten ersten Zeichner sind bloße Scheinzeichnungen; Gebrüder Israel schießen die zehn Procent des Grundcapitals vor, die nach dem Gesetze mindestens eingezahlt werden müssen, und darauf geschieht die Eintragung des „Cyklop“ in das Handelsregister. Binnen einigen Wochen oder Monaten ist es den Gebrüdern Israel gelungen, die Actien zum Theil über, zum Theil unter Pari (100) abzusetzen, das heißt dem Publicum aufzudrängen. Sie bringen von dem Erlös ihre Provision in Abzug, welche etwa 16⅔ Procent oder 200,000 Thaler beträgt, und führen den Rest von 1,000,000 Thaler an den Director

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_118.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)