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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


tragen zu können. Sie steckten bei meinem Eintritte die Köpfe zusammen, kicherten, zischelten untereinander und warfen mir Blicke zu. Ihre Tracht war ebenso unschön, wie die der Knaben. Die zum Theil recht hübschen Gesichtchen sahen aus weißen Hauben von der Form eines Kohlenkastens, an dem hinten ein großer Faltenbart sich sträubte, heraus. Die Körper steckten in blauen oder grauen Kleidern mit kurzer Taille, Hals und Brust in einem weißen, steifgestärkten Tuche, das vorn kreuzweise übereinander gelegt war und hinten dreikantig bis zur Hälfte des Rückens herabhing, die Füße in plumpen Schuhen. Sie sahen mit jenen garstigen Hauben wie in Papierdüten geschoben, mit diesen steifen Tüchern wie mit Brettern verschlagen und im Ganzen wie junge Urgroßmütter aus.

Eine Uhr schlug jetzt die achte Stunde, und herein wandelten die übrigen Glieder der Gemeinde mit Einschluß Bruder Harmon's und Elder Pelham's, die Schwestern durch die Thür zur Linken, die Brüder durch die zur Rechten und die Glasthür. Die Letzteren legten die Röcke ab und stellten sich dann in drei Gliedern, die Gesichter dem gelben Strich und dem blauen Teppich in der Mitte zugekehrt, in der rechten Hälfte des Saales auf. Die Schwestern traten links von dem Striche in gleiche Ordnung. Dann verbeugten sich die beiden Colonnen gegen einander, wobei sie die Arme ausbreiteten und die Hände schwenkten. Und nun stimmte einer der Brüder ein Lied an, in welches die ganze Versammlung einfiel, und das in raschem Tempo nach einer nicht übel klingenden Weise gesungen wurde. Was ich davon verstand, pries die Herrlichkeit der ewigen Heimath, handelte sodann von schneeweißen Gewändern und Engeln mit goldenen Flügeln und drückte die Sehnsucht der Sänger nach diesen und ähnlichen schönen Dingen aus.

Nach Schluß des Liedes, welches drei Verse hatte, wieder Verbeugung und Händeschwenken. Hierauf lösten sich die beiden Colonnen auf, und zwei Brüder mit sechs Schwestern schritten näher an den Teppich heran, um sich, die Gesichter einander zugewandt, zu beiden Seiten desselben aufzustellen. Sie waren für diesen zweiten Act des Schauspieles der Sängerchor oder, wenn man will, das Vocalorchester des Tanzsaales. Die Uebrigen ordneten sich, die Männer für sich voran, die Frauen dahinter, zu Paaren in der Weise, daß sie nach der Glasthür hinsahen. Plötzlich begann eine der Sängerinnen mit wohlklingender Stimme eine Strophe zu singen, in welche die übrigen Sieben vom Chore nach den ersten Worten einstimmten. Dieselbe begann mit dem Ausrufe: “March heavenwards, yea victorious band!“[1] und wirkte auf mich mit ihrem zwischen die einzelnen Sätze eingestreuten „La! lala! La! lala!“, dem Vorklingen der Frauenstimmen und dem ungemein schnellen Tempo der Melodie mehr wie Vogelgezwitscher als wie ein Kirchenlied. Mit dem ersten „La! lala!“ setzten sich die Reihen der Nichtsänger in Bewegung und marschirten im Geschwindschritt um den Chor herum. Sie hoben sich dabei auf die Fußspitzen, so daß die Fersen den Boden nicht, oder nur wenig berührten, drückten die Ellbogen an die Hüften, streckten die Unterarme aufwärts vor die Brust und winkten oder wedelten mit den lose im Gelenk hängenden Händen, so daß sie – Gott verzeihe mir den unheiligen Vergleich, aber meiner Erinnerung nach giebt kein anderer eine bessere Vorstellung von dieser überaus komischen Geberde – ungefähr trommelnden Hasen oder, noch genauer, tanzenden Hunden glichen, die „es schön machen“. Die Strophe wurde mehrere Male wiederholt, und bei jeder Wiederholung nahm die Begeisterung der himmelwärts tanzenden Heiligen zu, sah man mehr verzückte Mienen und begegnete man mehr nach oben gerichteten leuchtenden Augen. Das Bild zeigte außer dem Gesagten noch andere komische Züge. So watschelte neben dem baumlangen Diakon ein Bruder mit einem Falstaffsbauch und einem fabelhaften Kropf; er verrieth mehr Last als Lust an der Ceremonie. Eine gleichfalls wohlbeleibte Negerin äußerte unter der Schwesternschaar ihre Inbrunst recht wunderlich, und die Backfische dachten augenscheinlich nur an den Tanz, nicht an seine Bedeutung als Wallfahrt nach dem Himmel. Dennoch machte das Ganze eher einen feierlichen als einen lächerlichen Eindruck.

Die Tanzenden mochten die Singenden etwa vier- oder fünfmal umkreist haben, als Diese verstummten und Jene Halt machten, um still zu beten, bis der Chor auf's Neue zu zwitschern anfing. Dieses Mal handelte das Lied vom „Lodern des heiligen Feuers der Liebe“, welches Lodern „die Seelen läutere“. Dem Flackern und Zucken dieser göttlichen Flamme schien auch das Tempo des Gesanges zu entsprechen, welches noch rascher war als das der früheren Vorträge und dem Gesange folgte wieder der Tanz, der jetzt zu einem Hüpfen wurde. Aeltere Tänzerinnen, die zu schwach waren, um sich hieran lange zu betheiligen, traten aus Reihe und Glied und setzten sich, konnten sich aber nicht enthalten, dem Daktylustacte des Reigens im Sitzen durch Trippeln und Klappern mit den Fußspitzen zu folgen.

Das Hüpfen hatte ungefähr drei Minuten gewährt, als der Chor wieder schwieg. Alle traten sich in der anfänglichen Ordnung zu beiden Seiten des gelben Strichs in der Mitte des Saales gegenüber, beteten noch einmal still und begaben sich dann, die Schwestern durch die linke, die Brüder durch die rechte Thür, hinunter in ihre Stuben, womit der Gottesdienst für heute zu Ende war.

Nachdem ich die Nacht in einem guten, saubern Bett geschlafen und von „Mutter Ann“ und ihrem „Bräutigam“ geträumt – mein Tagebuch besagt, daß Jene wie die alte runzelige Schwester, die mir das Abendessen aufgetragen, Dieser wie Diakon David aussah, und daß die „Mutter“ um ihre Barthaube, der „Bräutigam“ um seinen Brunnendeckelhut eine große Aureole hatte –, frühstückte ich, wieder in der Küche und wieder allein. Dann wohnte ich im Tanzsaale abermals einem gottesfürchtigen Reigen bei, wo jedoch nur nach einer von Allen gesungenen, langsam gehenden Weise in drei Gliedern hin- und hermarschirt, nicht gehüpft wurde. Elder Pelham hielt dabei während einer Pause eine kurze Ansprache, in der er die Welt, die an dem Tanze der Shaker Aergerniß nähme, mit dem Bruder des verlorenen Sohnes im Gleichnisse zusammenstellte, welcher auch mit Neid und Verdruß von der Freude Zeuge gewesen, die über die Heimkehr des Sünders in das Vaterhaus geherrscht habe. Der Sermon hörte sich nicht schlecht an, aber ich hoffe, daß ich nicht damit gemeint war; denn ich war zwar ein Kind der Welt und gedachte eins zu bleiben, aber gern gönnte ich meinen Freunden in Watervliet ihre Freude und war nicht im Mindesten verdrießlich darüber. Eher das Gegentheil.

Den übrigen Theil des Vormittags verbrachte ich meist mit weiterem Abschreiben von Liedern aus David's Gesangbuche. Um elf Uhr wurde ich zum Mittagsessen geführt, und zwei Stunden später sah ich die Heiligen von Watervliet zum dritten und letzten Male tanzen. Zweimal an einem Tage schien etwas viel zu sein, indeß war es ein Sonntag.

Man sang zunächst wieder einen „Shovelsong“ (wörtlich: Schaufellied; so nennt die Shakersprache die in langsamem Tacte sich bewegenden Gesänge, während die rasch gehenden als “Quicksongs“, lebendige Lieder, bezeichnet werden), der mit den Worten „Ich danke Dir, o Gott, für Deine freundliche, liebreiche Gnade“ begann, und in welchen die ganze Gemeinde einstimmte. Darauf hielt der andere Aelteste eine längere Rede, auf die der vorhin erwähnte Falstaff – er war, wie ich später hörte, erst kürzlich aufgenommen und hatte dem Schatze der Kirche ein nicht unbeträchtliches Vermögen zugebracht – einige Worte folgen ließ, in welchen er sich freute, Zulassung zu den Kindern der Mutter Ann und ihrem seligen Leben gefunden zu haben.

Nun sprach Pelham über die Demuth und den Gehorsam, über die Entsagung der Heiligen und deren brünstige Liebe zur „heiligen Mutter“, eine Liebe, die nichts mehr wisse und wolle, als deren Gegenliebe. Als er geschlossen, stellte sich der Chor, wie oben geschildert, vor dem Teppich auf. Die Uebrigen ordneten sich paarweise zum Reigen, und nun wiederhallte, in eine zierliche Strophe zusammengefaßt, der Inhalt der Pelham'schen Rede aus dem Munde einer der Sängerinnen. Mir kam es vor, als ob die Schwester improvisirte, als sie – ich gebe die Worte ziemlich genau deutsch wieder – im Tempo eines Quicksong den Vers zwitscherte:

„Gebeugt will ich und schmiegsam sein,
          La! lala!
Ein schmiegsam Weidenbäumelein.
          La! lala!
Will mich bücken und neigen, verflochten im Reigen,
Und taumelnd der Mutter ganz werden zu eigen.
          La! lala! La! lala!“

  1. „Auf, himmelwärts wandre, Du Siegerschaar!“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_131.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)