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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Hurtig setzten sich die Füße der Colonnen in Bewegung, um nach dem Tacte des Liedes drei oder vier Schritte vorwärts zu hüpfen, dann stehen zu bleiben, mit dem einen Fuße aufzustampfen und darauf weiter zu hüpfen. Als die erste Sängerin geendet, hörte man eine Weile nur noch das tactmäßige „La! lala!“ und das Scharren und Stampfen der darnach tanzenden Füße. Dann begann eine andere Stimme im Chor:

„O himmlische Liebe fluthet, heilige Liebe strömet!
Hallelujah! La! lala!
Auf, neigt Euch und beugt Euch und schöpft Euch und nehmet,
Und trinken wir jubelnd zur Stelle
Von der Liebe, die mild
Da droben uns quillt
Aus der Mutter unendlicher Quelle.“

„La! lala!“ schmetterten die übrigen Sänger. „La! lala!“ lallte es wie von Trunkenen aus den Colonnen der Tanzenden, deren Reigen immer geschwinder an meinem Stuhle vorüber kreiste. Ein elektrisches Etwas schien sich ihnen von irgendwoher mitgetheilt zu haben, ein Etwas, das sich auch meinen Fußspitzen aufdrängen wollte, denn ich merkte, daß sie zu dem „La! lala!“ den Tact zu trippeln anfingen. Ein gottseliger Rausch hatte sich der Versammlung bemächtigt. Sie tranken von der Liebe der Mutter; sie schwammen im Strome derselben.

„Und trinkt ein wenig mehr – und trinkt, trinkt, trinkt ein wenig mehr!“ jauchzte der Baß und zitterten und zwitscherten die hellen Stimmen im Chor – und siehe da, plötzlich begann eine der Schwestern, indem sie die Arme am Körper herabhängen ließ und den Kopf, halb nach oben gerichtet, auf die Seite legte, sich etwa zehn Schritte weit um ihre Achse zu drehen. Eine zweite folgte und eine dritte. Mehrere Brüder thaten desgleichen, und nach Verlauf einer Minute sah ich den größten Theil der Tänzer in dieser Planetenbewegung begriffen. Taumelnd hielten die Meisten nach einigen Umdrehungen inne, keuchten und stampften und versuchten sich im Gleichgewicht zu erhalten. Dann trieb sie der Gesang wieder fort, wie die Peitsche den Kreisel, und nicht eher hörte das andächtige Bacchanal auf, als bis die Mehrzahl der Frauen, nach Athem ringend, auf die Bank gesunken war.

Die würdigen Aeltesten, der schläfrige Diakon, Matronen mit grauen Haaren hatten sich an dem Wirbeltanze nach Kräften betheiligt. Sogar Bruder Harmon hatte ein paar Mal sich darin versucht. Da er indeß dabei wohl mehr an den weltlichen Zuschauer und dessen Meinung von der Affaire als an den Wohlgeschmack der Liebesquelle dachte, welche die Andern berauschte, so hatte es ihm damit nicht glücken wollen. Nur Falstaff, dem sein Leibliches das Kreiseln verbot, einige vermuthlich hier auch noch neue Frauen, die vier Knaben und der Wahnsinnige hatten es bei bloßem Geschwindschritte und ein wenig Hüpfen und Händeschwenken bewenden lassen. „Wahnsinn gut gegen Wahnsinn,“ sagte ich zu mir selbst, indem ich an den Grundsatz unserer Homöopathen dachte.

Eine Stunde später nahm ich Abschied von meinen gastfreundlichen Wirthen. Man bat mich noch länger zu bleiben, aber ich hatte genug gesehen und erfahren und so ging ich, begleitet von Pelham’s Segen, in welchem er mir wünschte, ich möge bald den Weg finden, der zum wahren Frieden führe.

Bruder Harmon bat sich, indem er mir verstohlen einen schnellen bittenden Blick zuwarf, die Erlaubniß aus, mich ein Stück begleiten zu bedürfen. Schweigend gingen wir eine Weile neben einander her. Dann wiederholte er dringend seine frühere Bitte. Ich erwiderte, ich selbst könne ihm nicht helfen, wolle aber zusehen, ob sich in Cincinnati etwas für ihn thun ließe, und ihn das Ergebniß meiner Erkundigung durch meinen Cousin in Dayton, dessen Adresse ich ihm aufschrieb, wissen lassen. Dieses Ergebniß ist mitgeteilt. Er ist entweder Shaker geblieben und nüchtern ein alter Mann geworden, oder er hat sich von den geistig Trunkenen geflüchtet, um wieder ein Trunkenbold im gewöhnlichen Sinne des Wortes zu werden und im Delirium hinter irgend einem Zaune vor der Zeit zu sterben. Ich weiß wirklich nicht recht, was vorzuziehen wäre, will aber darüber nachdenken.




Eine Eisenbahn unter den Meereswogen.

Jemehr die großen Geister für Erforschung und Pflege unserer inneren Güter abnehmen, desto großartiger und zahlreicher treten die Helden der Mechanik auf, um diesem immer noch mit vielen Hindernissen geplagten Erdenleben leichtere Schwingen zu geben. Daher auch die vielen Unternehmungen zur Vermehrung unserer Bequemlichkeiten und namentlich der Beflügelung des Verkehrs. Mit der Zehnpfennigmarke schreibt man bis San Francisco, und die elektrische Sprache des Blitzes flüstert Tag und Nacht unaufhörlich über alle Länder und unter den Weltmeeren hin, mit hunderttausendmeiligen Drähten des Raumes und der Zeit spottend, um vielleicht mitten in der Nacht Schläfer freudig oder furchtbar aufzuschrecken. Der Dampf, obwohl noch in schwerfällige Eisenmassen gefesselt, wüthet ebenfalls mit unermüdlichen Flügeln über Berg und Thal, selbst durch Felsengebirge hindurch und auf den Weltmeeren von Hafen zu Hafen. So ist denn das neueste Wunder für diesen völkerverbindenden Weltverkehr, obwohl beispiellos kühn, schon kein Wunder mehr.

Die Franzosen und Engländer sind eben daran gegangen, den sie trennenden und stets unruhigen Meeresarm unterhalb der Fluthen, in tiefer, ruhiger Kalksteinerde, zwanzig englische oder beinahe fünf deutsche Meilen lang zu unterwühlen und eine doppelte Eisenbahn hindurch zu legen. Was seit mehr als siebenzig Jahren mit den verschiedensten Plänen unter und auf dem Meeresgrunde, mitten durch das Wasser hindurch oder hoch oben darüber mit fester Brücke, oder auf dem Rücken des Wassers mit riesigen Fähren versucht und immer wieder aufgegeben ward, jetzt endlich soll es in der Tiefe der Erde verwirklicht werden. Auf englischer Seite arbeitet eine bereits mit vielem Gelde gegründete Gesellschaft einer französischen in die Hände. Die beiden Mächte, die seit Jahrhunderten Krieg gegen einander führten und sich meist feindselig überwachten und in immer größere Kriegsbereitschaft hinein rüsteten, wollen sich endlich fest und friedlich verbinden. Möchte dies doch dem Weltfrieden, der jetzt bewaffnet in allen gebildeten Staaten täglich fünf Millionen Thaler kostet, zu Gute kommen!

Was die technische Ausführbarkeit des Unternehmens betrifft, so hat man tüchtig vorgearbeitet und glaubt alle Bedingungen des Gelingens zu kennen und zu besitzen. Wenn eine Eisenbahn durch die Alpen und durch die amerikanische Panamataille gelang und ein Suez-Canal nicht verunglückte, so kommt man wohl auch hier durch. Man hielt die Hindernisse, die sich jenen Unternehmungen entgegenstellten, ja vorher ebenfalls für unmöglich. Freilich eine Eisenbahn unterhalb der mächtigen, tückischen Meereswogen ist noch etwas ganz Anderes. Allerdings. Aber der französische Ingenieur Thomé de Gammond, der vor mehr als einem Vierteljahrhundert den jetzt in Angriff genommenen Plan entwarf und in seiner Ausführbarkeit bewies, hielt hartnäckig allen Gegnern, allen Beweisen der Unmöglichkeit und allen anderen Plänen gegenüber an diesem als dem einzig richtigen fest und ist nun durchgedrungen. Die Beweise für das Gelingen wurden von allen Seiten und tief aus der Erde herbeigeschafft.

Der furchtbare Canal, der in seiner stürmischen Unruhe fast von allen den 300,000 jährlich darüber Hin- und Herdampfenden die üblichen Seekrankheit-Opfer fordert, ist eigentlich doch nur ein Strom in einem ruhigen, nur sanft ausgehöhlten, nicht sehr tiefen Bette. Selbst bei Hochwasser hat man keine größere Tiefe gefunden als 180 Fuß auf einem gut ausgewaschenen glatten Grunde von Kalkstein. Sorgfältige tiefe Bohrungen auf beiden Seiten ergaben ebenfalls einen ununterbrochenen Kalksteinboden von gehöriger Mächtigkeit. Man schließt aus diesen Ermittelungen, daß der ganze Boden unter dem Meeresarme hin aus einer gehörig tiefen, zusammenhängenden, festen Kalksteinmasse bestehe. Von der Richtigkeit dieser Voraussetzung hängt nun allerdings noch das Gelingen des Unternehmens ab. Irgend ein tiefer Einschnitt von Sand oder sonst weicher Masse unterhalb dieses Canalbettes könnte den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_132.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)