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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 9.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Schluß.)


„Sie sind ein wunderlicher Mensch, Landeck,“ versetzte Doctor Iselt. „Frau von Haldenwang hat Sie ausgesandt und Ihnen die nöthige Summe Geldes gegeben, deren Sie bei Ihrer Mission bedurften. Sie haben ihren Auftrag, ihr den unseligen Menschen vom Halse zu schaffen, glücklich ausgeführt, und nun sind Sie zu blöde, ihr dies selbst zu sagen.“

„Freilich, es mag Ihnen thöricht erscheinen – ich kann es Ihnen auch weiter nicht erklären – aber es ist einmal so – ich bringe es nicht über mich, und Sie sollen, während ich zu Rudolph Escher eile, um ihm den Wechsel zu bringen, der ihn rechtfertigt, zu Frau von Haldenwang gehen und ihr sagen, daß Maiwand abzieht. Sie sollen ihr seinen Revers übergeben, ihr sagen, daß ich das Wort, welches ich ihr gegeben, also voll und ganz gelöst – wollen Sie es?“

„Weshalb sollt’ ich nicht gern Frau von Haldenwang eine gute Nachricht überbringen?“ versetzte Doctor Iselt, „obwohl ich gestehen muß, daß Sie der wunderlichste Sterbliche sind, der mir je vorgekommen.“

„Und Sie reichen mir die Hand darauf, daß Sie von meiner Kriegslist nichts erwähnen?“

Iselt reichte, ein wenig zögernd, die Hand hin. Landeck zog sein Taschenbuch hervor und nahm die darin untergebrachten Papiere heraus, von denen er den von Maiwand ausgestellte Revers dem Doctor übergab.

„Sehen Sie hier, Doctor,“ sagte er dabei, „den Beweis, daß ich die Unwahrheit sagte, als ich Maiwand vorgab, ich trete als Verlobter der Frau von Haldenwang auf, und zum Zeugniß auf das Geld wies, das ich von ihr erhalten; die Banknoten die ich ihm gab, erklären sich ganz einfach durch diesen Brief. Da Sie so Viel erfahren haben, mögen Sie auch das wissen.“

Er gab ihm den Brief, den er am Morgen erhalten. Iselt öffnete ihn und las ein geschäftsmäßiges Schreiben der Expedition eines sehr weit verbreiteten Journals, womit dieselbe das Honorar für die in ihrem Blatte abgedruckten „Hellenischen Wanderungen“ übersandte und um Fortsetzung dieser mit so vielem Beifall aufgenommenen Mittheilungen bat. –

„Ah, also auch das erfährt man auf diese Art: Sie sind der Verfasser dieser die Frau von Haldenwang so entzückenden ‚Hellenischen Wanderungen‘. Wie hochmüthig, das zu verschweigen! Sie dachten wohl, es würde Ihrer Gelehrtenwürde Eintrag thun, wenn man erführe, daß Sie solche amusante und geistreiche Artikel zu schreiben verstehen?“

„Das nicht – aber wie konnte ich mich dazu bekennen, nachdem Frau von Haldenwang den ersten so übermäßig gelobt hatte!“

„Sie sind der eigenthümlichste Kauz, der mir vorgekommen ist,“ rief Iselt lachend aus.

„Und Sie, Doctor, hoffentlich der verschwiegenste aller Aerzte. Ich vertraue auch in diesem Punkte auf das Beichtsiegel. Vergessen Sie das nicht!“

Damit nahm Landeck den Brief wieder an sich, gab dem Doctor zum Abschied die Hand und eilte fort.

Iselt sah ihm eine Weile verwundert nach. Er schüttelte mehrere Male den Kopf und fragte sich höchst betroffen, ob er wirklich Landeck glauben solle oder nicht. Jedenfalls war seine Neugier in einem solchen Maße erweckt, daß er sich vornahm, Alles zu thun, nur durch kluges Sondiren bei Frau von Haldenwang Klarheit über die Situation zu erhalten, in welcher sich dieser „Hellene“ dieser „Helena“ gegenüber befände. So kam er bald nachher auf dem Gute an und wurde in den Salon geführt, wo Malwine gleich darauf erschien. Ein erster Blick in ihre Züge zeigte ihm, daß er keine Braut, wenigstens keine glückliche Braut vor sich habe: sie sah erregt, abgespannt aus und fixirte ihn mit eigenthümlich unsteten Blicken.

„Sie, Doctor? Was führt Sie her?“ fragte sie, „ist Jemand von den Leuten erkrankt, ohne daß ich es wüßte?“

„Nicht doch, gnädige Frau,“ versetzte Iselt lächelnd, „ich komme diesmal nicht als Arzt, sondern als ein Bote, der Herold in einer griechischen Tragödie, gesandt von einem fernen Heroen, um nach geschlagener Schlacht seine Großthaten zu verkünden. Ihr Heros hat Wunder gethan. Er hat diese Gefilde von einem Ungethüm befreit, die lernäische Schlange erschlagen, den nemeischen Löwen gebändigt, Alles, was Sie nur wünschen können, und zum Zeichen dessen läßt er durch mich die Haut des Löwen Ihnen zu Füßen legen – oder, was denselben Werth hat, dieses Blatt Papier.“

Malwine blickte erstaunt auf das Papier und dann in Iselt’s Züge.

„Um Gotteswillen, was bedeutet das?“ rief sie aus, „sprechen Sie deutlich!“

„Sprach ich nicht deutlich genug? Herr Landeck hat den Drachen bezwungen. Maiwand wird nie mehr auf Haldenwang erscheinen, hat Ihnen diesen Revers da ausgestellt und macht sich aus dem Staube, soweit er mit den fünfhundert Thalern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_141.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)