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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Es war freilich ein sauer verdienter Ruhm; denn bei ihrer Armuth mußte sie vom Morgen bis in die Nacht die Hände regen, um sich nur durchzubringen, und durfte nicht einmal an Feiertagen den Spinnrocken in die Ecke stellen. Und sie konnte es so viel bequemer haben, wenn sie nur gewollt hätte. Nicht nur daß man ihr von vielen Seiten Hülfe und freundliche Gaben anbot und auch die Kleine ihr gern abgenommen hätte, da es ein so liebliches und kluges Kind war; auch für sie selbst fand sich mehr als Eine sehr annehmbare Versorgung, denn sie galt für das schönste Mädchen im Dorfe, und überdies wäre Jeder, auch der Reichste, mit einer solchen Hausfrau wohlberathen gewesen. Sie aber schüttelte zu allem guten Willen rings um sie her den Kopf, verbat sich jegliches Geschenk und ließ von den jungen Leuten, die ihr den Hof machten, einen nach dem andern mit langem Gesicht und schwerem Herzen abziehen.

Dieses spröde Betragen wurde ihr natürlich von Alten und Jungen schwer verdacht, und sogar der Pfarrer des Dorfes fand sich endlich bemüßigt, sein wunderliches Beichtkind über den räthselhaften Stolz, mit dem sie sich ganz auf sich selbst zurückzog, zur Rede zu stellen. Was sie ihm zur Aufklärung sagte, war nichts irgend Sündhaftes, weßhalb sie es auch nicht unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses ihrem Seelsorger anvertraute. Und so wußte denn bald das ganze Dorf, aus was für Augen die Pia ihre Zukunft betrachtete.

Sie war nämlich gerade an jenem 14. Juni des Jahres 1800 zur Welt gekommen, als die Schlacht von Marengo in so naher Nachbarschaft von Spinetta geschlagen wurde. In ihrer bangen Stunde hatte die Mutter die Kanonen der Franzosen herüberdonnern hören und in doppelten Aengsten geschwebt, da ihr Mann unter Desaix' Truppen an diesem Tage mitfocht. War das Kind also unleugbar unter dem Gestirn des Mars geboren worden und hatte einen Helden zum Vater, den der erste Consul auf dem Schlachtfelde selbst belobte und zum Sergeanten beförderte, so wurde das Selbstgefühl der Familie noch erhöht, als fünf Jahre später der Gewaltige, vor dem alle Reiche der Welt zitterten, wieder in die Nähe ihres namenlosen Dorfes kam, jetzt als Kaiser der Franzosen und im Begriff sich in Mailand auch die Krone von Italien aufs Haupt zu setzen. Auf dem Schlachtfelde von Marengo hielt der Kaiser eine große Heerschau ab. Da hatte das Weib des Sergeanten der Versuchung nicht widerstehen können, war mit ihrem Kinde aufgebrochen und nebst der ganzen Bevölkerung des Dorfes dem herrlichen Schauspiel nachgewandert. Das fünfjährige muntere Dirnchen begriff freilich noch nicht recht, was dies Alles zu bedeuten habe. Als aber die Musterung der Truppen beendet war und der Kaiser mit seinem glänzenden Gefolge langsam die Straße nach Alessandria zurückritt, stand die Mutter in der vordersten Reihe des unabsehbaren Spalieres, das die Bauern der Umgegend gebildet hatten, und hatte die kleine Pia, die sonst schon rüstig auf ihren eigenen Füßchen stand, auf den Arm genommen, damit das Kind den Kaiser sich recht genau betrachten könne. Wie es nun hieß: „Da kommt er! Das ist er! Der da vorn auf dem Schimmel Evviva l'Imperatore!“ – streckte das kleine Mägdlein, als der Blitz des dunklen Kaiserauges sein roth und weißes Gesichtchen streifte, wie in plötzlicher Verzückung die beiden nackten Arme gegen den wunderbaren Helden aus und rief mit so heller Stimme sein Evviva! – daß der kindische Jubel durch alle anderen Stimmen hindurch an das Ohr des Herrschers drang und er einen Augenblick die Zügel anzog. Im nächsten hatte er das schlanke Mägdlein zu sich auf den Sattel gehoben, sah ihm ein Paar Secunden lang mit festem Blick in die großen schwarzen Augen, die nicht mit einer Wimper zuckend diesen dämonischen Blick aushielten, küßte die kleine, von krausen Härchen umflogene Stirn und reichte dann das Kind der Mutter wieder zurück, die sprachlos vor Entzücken über diese unerhörte Gunst wie eine Bildsäule am Wege stand und über dem davonsprengenden Triumphator sogar den eigenen Mann nicht gewahrte, als dieser bald nachher ermattet und bestäubt mit seinem Regimente an Frau und Kind vorbeimarschirte.

Niemand wird es verwundern, daß dieses Ereigniß auf alle Augenzeugen, zumal auf die nächsten Bekannten aus dem Dorfe, einen ungewöhnlichen und lange nachwirkenden Eindruck machte. „Das ist die Pia, die der Kaiser geküßt hat,“ hieß es noch Jahre lang, wenn etwa einem Fremden in Spinetta das schöne, schlanke Mädchen auffiel, welches auch seinerseits in einer gewissen aparten Haltung, sowohl in seinen Kleidern, als im Betragen, an den Tag zu legen schien, daß es sich gleichsam geadelt fühlte durch jenes märchenhafte Erlebniß aus der Kinderzeit. Trotz ihrer dürftigen Lage ging Pia stets in Schuhen und Strümpfen duldete nie einen Flecken an ihrem Röckchen oder an dem groben Linnenzeug, das sie selbst gesponnen und gewebt hatte, und ihre langen, schweren Zöpfe trug sie in einer breiten Flechte vorn über der Stirn, die fast einem schwarzen Diadem gleichsah. Ihre Gespielinnen liebten sie nicht sonderlich, nannten sie „die Prinzessin“ oder gar „die Kaiserin“, was sie sich wie etwas ganz Natürliches gefallen ließ, und suchten sie bei den jungen Burschen in den Verdacht einer Närrin zu bringen.

Diese Nachrede aber verfing bei dem männlichen Theile der Jugend nicht im Geringsten, zumal sie in der That dem sonderbar schönen Geschöpf Unrecht that. Pia verachtete keinen Menschen darum, weil sie auf sich selbst etwas hielt, und wenn jener Kuß des Kaisers hinter ihrer jungen Stirn Unfug angestiftet hatte, so war es doch nichts Schlimmeres, als ein träumerisches Sinnen und Brüten, das sie manchmal überfiel, wo sie dann geheime Stimmen zu vernehmen glaubte, die ihr von einer herrlichen Zukunft in Glanz und Ehren vorerzählten, so daß sie genau denselben wonnigen Schauder von Kopf bis Fuß sich wieder überrieseln fühlte, wie in jenem Augenblicke, als der Sieger von Marengo sie zu sich aufs Pferd hob. Sie war verständig genug, diesen Einflüsterungen ihrer Träume nicht zu glauben, sobald sie sich mit wachen Augen wieder umsah in ihrem armen Mutterhause, und als sie vollends für das Schwesterchen ganz allein zu sorgen hatte, kamen diese Phantasieen seltener und seltener; doch war es immerhin um ihretwillen, daß sie sich weigerte, in irgend einen Dienst zu treten, und wenn sie auf ihren Anzug bei aller niederen Arbeit besondere Sorgfalt verwendete, spielte der Gedanke heimlich mit, daß wohl gar eines schönen Tages wieder ein Fürst vorbeisprengen und den Blick auf sie richten möchte, wo sie sich dann hätte schämen müssen, wenn sie unsauber und unordentlich einhergegangen wäre.

Ihre Abneigung indessen, einen ihrer vielen Bewerber zu erhören, rührte nicht etwa davon her, daß sie sich nur für einen hohen Herrn gut genug dünkte, sondern, wie sie auch dem Pfarrer mit Erröthen eingestand, gerade im Gegentheil von ihrer festen und treuen Neigung zu dem allerärmsten Burschen des ganzen Dorfs. Es war dies ein gewisser Maino, ein Bauernbursche, der gleich ihr selbst schon früh seine Eltern verloren hatte und sich erst als Tagelöhner, dann als Maurergeselle ehrlich, aber kümmerlich durchschlagen mußte. Das hatte ihm weder den Muth, noch selbst den Uebermuth gelähmt, und es gab weit und breit keinen munterern, keckeren und zu lustigen Streichen aufgelegteren Gesellen als ihn. Auch war er ein bildhübscher Bursch mit dichtem Kraushaar und feurigen schwarzen Augen, breiter Brust und Schenkeln wie ein Hirsch; dazu hatte er eine schöne helle Stimme und wußte tausend Rispetti und Ritornelle, die er auf der Guitarre begleiten konnte. Sein einziger Fehler, außer der großen Armuth, war ein allzu heißes Blut, das ihn häufig in Raufhändel verwickelte, wo dann die Messer lockerer, als gut war, in der Scheide saßen. Es war aber immer noch ohne den schlimmsten Ausgang abgelaufen, und je älter Maino wurde, desto mehr hielt, nicht etwa die Vernunft, sondern ein übermächtiger Stolz seine Leidenschaften im Zaume, so daß er gemeinen Zänkereien auswich und seinen Zorn für größere Anlässe sparte.

Auch die Liebe hatte ihren Antheil an dieser Bändigung des Wildlings. Die Pia war noch ein halbwüchsiges Jüngferchen, als Maino ihr schon erklärt hatte, daß sie keinem Andern gehören dürfe, als ihm, und trotz aller kaiserlichen Träume hatte das Kind Nichts dagegen einzuwenden gehabt. Die Armuth ihres jungen Verlobten schreckte sie nicht von ihm zurück. Sie erfuhr es ja an sich selbst, daß wahrer Adel und fürstliche Gesinnung auch in geringen Kleidern sich bewähren konnten. Nur wie die Mutter gestorben war, bestand sie darauf, daß er sich von ihr fern halten und gegen Niemand von ihrem heimlichen Einverständnisse reden sollte, bis er es so weit gebracht, einen eigenen Herd gründen zu können, an dem auch für Margheritina ein Plätzchen frei sein müsse. Sie wolle gern

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