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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Ausnahme der Mauserzeit – vergl. weiter unten), vielleicht von drei zu drei Tagen, etwas grünes Futter bekommen. Am liebsten fressen sie das im Harz und Thüringen sogenannte Kreuzkraut, jedoch auch Salat, Braunkohl, Rapunzen verschmähen sie nicht. Ist keins von Allen zu haben, so giebt man etwas Apfel oder Birne, aber ohne Schale. Dabei ist zu beachten, daß man immer nur auf einen Tag Futter geben darf; im anderen Falle geht viel Futter unnöthig verloren und die Vögel gewöhnen sich nicht daran, an allen Tagen gleich fleißig zu singen. Mindestens täglich einmal muß frisches Wasser zum Saufen gereicht werden. Das Gefäß ist jedesmal gründlich zu reinigen, damit das Wasser nicht schlecht wird. Neben dem Saufen ist in Zwischenräumen von vier bis sechs Tagen in einem größeren Geräthe Wasser zum Baden vorzusetzen. Weiches Wasser hat den Vorzug vor hartem. In der Mauserzeit (August bis October) empfiehlt es sich, ein Stück Eisen in das Trinkwasser zu legen.

Von den Käfigen eignen sich die runden, sogenannten Glockenbauer am besten für den Canarienvogel. Dieselben dürfen jedoch nicht zu groß und nicht zu klein sein. Käfige aus Messingdraht können leicht schädlich werden durch Ansetzen von Grünspahn. Jeder Käfig muß mit zwei bis drei Sprunghölzern versehen sein, welche jedoch nicht zu dünn sein dürfen, weil der Vogel sonst leicht Krampf in den Beinen bekommt. Futter und Trinknäpfe sind an der Außenseite anzubringen und werden zweckmäßig mit einer Blechhaube versehen. Gläserne haben den Vorzug vor metallenen oder irdenen Gefäßen. Den Boden des Käfigs bestreut man mit feinem Flußsande.

Die Temperatur, der ein Canarienvogel ausgesetzt werden kann, darf in der Regel nicht unter zehn und nicht über achtzehn Grad betragen. An Kälte kann er eher gewöhnt werden, als an zu große Hitze. Verfasser hat seine Vögel bis Mitte November im ungeheizten Zimmer bei einer Temperatur von + 4° R. gehalten, und sie haben sich dabei wohl befunden. Es ist deshalb durchaus verkehrt, die Vögel an heißen Sommertagen in die Sonne zu hängen; ebenso schädlich ist es, wenn sie an’s offene Fenster gestellt werden, wo es stets mehr oder weniger zieht.

Nachdem im Vorstehenden das Wichtigste über die Pflege unserer zarten, gelbgefiederten Freunde mitgetheilt ist, sollen die gewöhnlichsten Krankheiten der Vögel einer näheren Besprechung unterzogen werden.

So lange ein Vogel das Gefieder glatt trägt, singt, in gewohnter Weise im Käfig herumspringt und Appetit zeigt, ist er gesund. Fehlt eines von diesen Merkmalen, dann ist er krank. Nach Anleitung der folgenden Zeilen wird es nicht schwer werden, die Krankheit zu erkennen und zu heilen.

Bei der Darre, welche in Verhärtung der Fettdrüse auf dem Bürzel besteht und welche dadurch kenntlich ist, daß der Vogel öfter nach der Drüse beißt und den Schwanz hängen läßt, drückt man die Drüse behutsam mit dem Finger auf und bestreicht sie dann mit Provencer- oder Leinöl. Ist die Drüse hart, so muß sie vorher mit Butter oder Oel erweicht werden.

Bei Durchfall schneidet man die Afterfedern ab und bestreicht den After mit Oel. In das Saufen legt man rostiges Eisen und giebt einige Tropfen herben Rothwein dazwischen.

Bei Verstopfung, welche sich durch Anschwellung des Hinterleibes kenntlich macht und bei welcher der Vogel keine Excremente von sich geben kann, empfiehlt sich ein Klystier von Oel. Man taucht zu diesem Zwecke eine Stecknadel mit großem, glattem Kopfe in lauwarmes Oel und führt diese mehreremal behutsam in den Mastdarm ein. Wirkt dieses Mittel noch nicht, so füllt man dem Vogel von oben einige Tropfen Baumöl ein. Einige Blätter Brunnenkresse wirken dabei günstig.

Die Auszehrung oder Dörrsucht, bei welcher die Vögel auffallend mager werden, dabei Traurigkeit, Trägheit im Gesang, und Appetitlosigkeit an den Tag legen, hat ihren Grund meistentheils darin, daß verdorbenes oder zu mageres Futter gegeben worden ist. In der Regel hilft daher fettes Futter, Mohn, Hanfsamen (der aber gequetscht sein muß), auch wohl etwas gekochter Eidotter. Das Trinkwasser vermischt man gleichfalls mit einigen Tropfen Wein und macht dasselbe, durch Einlegen eines rostigen Nagels eisenhaltig.

In der Mauserkrankheit, welche bei allen Stubenvögeln mehr oder weniger zu Tage tritt, hilft wiederum Wein und eisenhaltiges Wasser; grünes Futter muß während der Mauserzeit auch bei gesunden Vögeln ganz wegbleiben. Werden die Vögel kränker, stecken sie den Kopf unter die Flügel, sitzen traurig auf einer Stelle und sträuben die Federn, so gebe man ihnen Eidotter, ferner einen Tropfen Zimmtöl und in’s Wasser etwas Chinaauflösung oder Jodtinctur.

Bei der Milben- oder Läusesucht giebt es ein einfaches, aber probates Mittel, welches darin besteht, daß man die alten Sprunghölzer aus dem Käfig nimmt und an deren Stelle solche aus hohlem Tüncherrohr einsetzt, welche an der unteren Seite mit einigen Einschnitten versehen sind. Das Ungeziefer zieht sich in den hohlen Raum und wird, wenn die Hölzer von Zeit zu Zeit herausgenommen und gereinigt werden, bald zu vertilgen sein. Alle anderen Mittel, Kienöl, Petroleum und dergleichen wirken bei weitem nicht so vorzüglich und können dem Vogel leicht Schaden bringen. Ein reinlich gehaltener Vogel wird übrigens von Schmarotzer-Insecten nie zu leiden haben.

Schließlich noch einige Winke darüber, wie man Canarienvögel ganz besonders zahm machen und wie man ihnen den so beliebten Nachtschlag beibringen kann.

Soll ein Vogel daran gewöhnt werden, auf der Hand sitzen zu bleiben, so schneidet man ihm zunächst die Schwungfedern der Flügel etwas ab; dann verdunkelt man das Zimmer und bestreicht ihm die Nasenlöcher mit einem starkriechenden Oele, z. B. Bergamottöl, so daß er kurze Zeit betäubt wird. Nach wenigen Wiederholungen wird er ruhig sitzen bleiben und auch lernen, von einem Finger zum andern zu hüpfen. Soll er dagegen aus dem Munde Nahrung nehmen lernen, so hält man ihn eine Zeit lang im Futter knapp und reicht ihm dann sein Lieblingsfutter mit den Lippen dar.

Den Gesang bei Nacht erreicht man einfach dadurch, daß man junge Vögel am Tage dunkel stellt, so daß sie wenig fressen können, und sie dann am Abend an’s Licht bringt.

Was den Handel mit Canarienvögel betrifft, so leistet Deutschland darin Bedeutendes.

Vor allen anderen Gegenden ist es das nördlichste der Gebirge Deutschlands, der Harz mit den nächstliegenden angrenzenden Districten (Eichsfeld, Grafschaft Hohnstein, Fürstenthum Grubenhagen), welcher die bei weitem größte Anzahl aller in den Handel kommenden und gleichzeitig die besten Canarienvögel producirt; denn wenn auch in vielen Orten Thüringens und Hessens, sowie in den nicht zum Harz gehörigen Theilen von Braunschweig und den preußischen Provinzen Sachsen und Hannover von Einzelnen Canarienvögel gezüchtet werden, so kann doch dieser Umstand der im Harz betriebenen Massenzüchtung gegenüber kaum in Betracht gezogen werden.

Es hat seine großen Schwierigkeiten, über die Gesammtzahl der im Jahre durchschnittlich gezüchteten Vögel genaue Ermittelungen anzustellen, doch hat Verfasser auf Grund zahlreicher Angaben, die ihm von größeren Händlern und vielen Züchtern zugegangen sind, wie auf Grund eigener Beobachtung berechnet, daß in Deutschland überhaupt jährlich rund 450,000 Canarienvögel gezüchtet werden, und daß von diesen mindestens 300,000 Vögel, also sechsundsechszig Procent der Gesammtzucht Deutschlands, auf den Harz mit fünfmeiligem Umkreis entfallen.

Diese Zahlen mögen übertrieben groß erscheinen; wer aber die Vögelzucht im Harz einigermaßen kennt, wird zugeben müssen daß sie durchaus nicht zu hoch gegriffen sind. Im Harz wird die Canarienvögelzucht eben nicht, wie anderwärts, aus Liebhaberei betrieben, sondern sie hat sich zu einem Industriezweig ausgebildet, der noch stetig im Wachsen begriffen ist und dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden darf.

Und wenn sich dabei auch nicht Reichthümer sammeln lassen, so ist doch vielen Familien, die sich kümmerlich durch Bergbau, Holzarbeiten, Nagelschmiederei und dergleichen ernähren müssen, die Gelegenheit geboten, sich zu ihrem Lebensunterhalt durch die Vögelzucht eine regelmäßige mehr oder weniger große Beihülfe zu verschaffen.

Man nimmt an, daß die Canarienvögelzucht unter normalen Verhältnissen vierzig bis fünfzig Procent Reingewinn abwirft.

Werden also im Harze jährlich dreihunderttausend Vögel gezüchtet, von denen die eine Hälfte aus Männchen, die andere aus Weibchen besteht, und wird im Durchschnitte ein Hähnchen mit fünf Mark, ein Weibchen mit einer halben Mark bezahlt, so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_182.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)