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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


jedenfalls kann ich Ihnen durch meine Kenntniß der französischen Sprache als Vermittler nützlich sein.“

Madame Blanchard nickte zustimmend, ohne zu dem wunderlichen Menschen aufzusehen, der so freundlich bat, wo er befehlen zu können schien. Die geschilderten Vortheile leuchteten ihr ein, aber sie begriff nicht sogleich, welches Interesse der Fremde haben könne, sie anzubieten und wurde dadurch wieder zum Mißtrauen geneigter. „Es würde mir nichts nützen, zu widersprechen,“ sagte sie, „haben Sie also die Güte, zu bestimmen, welches Quartier Sie einzunehmen wünschen! Ich würde Sie nur bitten, so zu wählen, daß Ihre Wohnung möglichst von der unserigen abgeschlossen gehalten werden kann. Mein Mann ist so nervös angegriffen durch all die Leiden und Widerwärtigkeiten, die wir seit einem halben Jahre fast ununterbrochen …“

„O, wir werden ganz gut mit einander leben können,“ versicherte der junge Mann, „wenn Sie nur zum kleinsten Theil den guten Willen dazu haben, wie ich. Ich liebe den Frieden, und den Hausfrieden ganz besonders. Mir genügen zwei Zimmer, das eine für mich, das andere für meinen Burschen, und ich schlage Ihnen vor, sie mir in Ihrem Parterre anzuweisen, das ja jetzt ganz unbenutzt zu sein scheint.“

„Es fehlt da sehr an Möbeln, mein Herr …“

„Sie haben ja hier im Ueberfluß dergleichen. Ja, ganz ohne Unbequemlichkeiten wird es nicht abgehen, Madame! Aber wenn Sie mir lieber diesen Salon abtreten wollen –“

„Nein, nein!“ fiel sie ihm rasch in’ Wort, „ich acceptire Ihren Vorschlag gern. Wollen Sie gleich jetzt? …“ Sie horchte auf ein Geräusch draußen und erhob sich schnell. „Ich glaube, mein Mann. … Entschuldigen Sie einen Augenblick!“ Sie eilte nach der Thür, zögerte und wandte sich noch einmal zurück. „Und wenn ich Sie bitten darf, auf seine mitunter etwas heftigen Aeußerungen nicht gereizt zu antworten – seine Nerven sind in der That … O! ich sehe es Ihnen am Gesicht ab – Sie sind gut und mild.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, verließ sie den Salon.

Arnold hörte Mann und Frau draußen mit einander conversiren. Er sprach anfangs laut und heftig, von Zeit zu Zeit einen kräftigen Fluch einfügend, sie immer leise und begütigend. Endlich schien er sich denn auch zu beruhigen. Wieder nach einer langen Weile, die dem Wartenden sehr lang dünkte, traten Beide ein.

„Ich höre, mein Herr, daß Sie mich aus meinem Geschäftslocal austreiben wollen,“ begann Herr Blanchard, ein kleiner, sehr beweglicher Mann mit einem langen hageren Gesicht, dünnem schwarzem Haar, hoher Stirn, scharfer Nase, schmalem Kinn und lebhaften grauen Augen. Er steckte die rechte Hand in die Weste, warf den Kopf zurück und musterte so den Eindringling. „Wir sind allerdings augenblicklich im Nachtheil und müssen uns der Gewalt fügen, aber noch steht Paris, und so Gott will –“

„Lassen wir die Politik, mein Herr!“ unterbrach ihn Rose mit so scharfer Betonung, wie sie Madame Blanchard an ihrem Gast noch fremd war. Es schien ihm nöthig, sich gleich von Anfang an in das richtige Verhältniß zu seinem Wirth zu setzen. „Sie sind ein Franzose, und ich bin ein Deutscher, vergessen wir das Beide nicht, und ersparen wir uns Erörterungen, bei denen wir unmöglich einer Meinung werden können.“

Herr Blanchard sah erst trotzig zu seinem einen Kopf höheren Gegner auf und dann, da derselbe ihm durch seine ruhige Haltung doch überlegen schien, seitwärts zu seiner Frau hinüber, als erwartete er von ihr eine begütigende Aeußerung, um seinen Rückzug zu decken.

„Du willst es, mein Engel,“ sagte er darauf mit komischer Resignation, „Du willst, daß ich mich nicht aufrege. Gut! ich werde mich nicht aufregen; ich werde jede ungerechte Forderung mit der Seelenruhe eines Mannes über sich ergehen lassen, der da weiß, daß der Tag der Rache kommt, daß unfehlbar –“

„Charles –!“ bat die Frau.

„Gut, gut! Ich stehe zu Ihren Diensten, mein Herr. Mein Haus steht zu Ihren Diensten, mein Herr – Ihre Zimmer sollen unten ganz nach Ihren Wünschen eingerichtet werden, sobald ich eine Magd oder einen Diener auftreibe. Mein Gott! oder erwarten Sie, daß wir selbst Hand anlegen? Sie finden ein Sopha vor, einen Tisch, einige Stühle – auf dem Sopha werden Sie zur Noth schlafen können; verlangen Sie Alles von uns, nur nicht Matratzen und Betten! Die haben uns die verdammten Prussiens –“

„Charles –!“ unterbrach wieder Madame Blanchard mit sanftem Vorwurf.

Er warf ihr flüchtig eine Kußhand zu. „Ich werde mich nicht aufregen, mein Engel; sei ohne Sorge! Es war ja auch nur zum kleinsten Theil unser Eigenthum. O, die armen Nachbarn! Sie vertrauten der Festigkeit unserer Keller und einer vermauerten Thür. Als ob diesen Spürnasen … Schon gut, schon gut! ich sage nichts. Andere haben noch mehr verloren. Das ist der Krieg!“

Rose mußte in sich hineinlachen: er war ja selbst der Entdecker dieser Schätze gewesen. „Es kann Sie vielleicht ein wenig trösten,“ bemerkte er, „daß auf diesen Matratzen und Betten in unserem Lazarethe ebenso viel Franzosen wie Deutsche ihre wunden Glieder strecken. Die Humanität selbst gebot diesen Eingriff in’s Eigenthum.“

„Ich beklage mich nicht, mein Herr,“ rief Blanchard, „ich beklage mich nicht. Sie haben das Recht, weil Sie die Macht haben. Es bleibt also dabei: Sie und unser lieber Gast … Darf ich um Ihren werthen Namen bitten?“

Der junge Mann reichte ihm aus seiner Brieftasche eine Visitenkarte, sorgsam das kleine Bild versteckend, das sich in demselben Raume befand. „Wenn es Ihnen gefällig ist …“

„Arnold Rose – so, so! Rose – ich kenne ein Handlungshaus Philipp Rose und Compagnie … in – in –“ Er schien sich auf den Namen zu besinnen und nannte ihn dann mit möglichst falscher Aussprache.

„Philipp Rose war mein Großvater,“ bemerkte Arnold. „Meine Mutter ist jetzt Inhaberin des Geschäfts – sie verwaltet es für mich, da ich ihr einziges Kind bin.“

Der Franzose schien ungläubig. Er musterte den jungen Mann, der in grobes Soldatentuch gekleidet vor ihm stand, mit zwinkernden Augen, und ein Lächeln des Zweifels zog um seinen Mund. „Ihr Großvater – Ihre Mutter – so, so! Und Sie, mein Herr? …“

„Ich diene freiwillig meinem Vaterlande, so gut ich kann. Sollten Sie mit unserem Hause in Geschäftsverkehr stehen?“

„Mit Philipp Rose und Compagnie – früher, früher allerdings. Habe mitunter Aufträge auf Weinlieferungen effectuirt – hoffe, zur Zufriedenheit. Mit Ausbruch des Krieges natürlich jede Verbindung abgebrochen – für alle Zeit, mein Herr, für alle Zeit. Zwischen Frankreich und Deutschland giebt es fortan … Gut! ich sage nichts; ich mäßige mich. Aber das Haus war gut, sehr gut.“

„Ich habe das Recht, die Firma zu zeichnen, Herr Blanchard,“ bemerkte Arnold in seiner ruhigen Weise. „Wenn Sie also doch anderen Sinnes werden sollten und einen hübschen Posten Ihres ausgezeichneten Rothweines nicht zu theuer –“

„Ah! kein Tropfen davon geht mehr über die Grenze, kein Tropfen!“ eiferte der patriotische Kaufmann. „Ich wünschte, der Wein in meinem Keller wäre Gift gewesen, und die Herren Prussiens. die ihn ausgetrunken, wären sämmtlich daran –“

„Aber Charles –!“ bedeutete wieder die Frau, „vergiß nicht, zu wem Du sprichst!“

„Bitte, bitte!“ entschuldigte Arnold. „Thun Sie sich keinen Zwang an! Ich würde ebenso ungehalten über die Franzosen sein, wenn sie Gelegenheit gehabt hätten mir meinen Rheinwein auszuräumen – vielleicht noch ungehaltenen denn sie verstehen ihn nicht immer so gut zu würdigen, wie wir ihren Rothen. O, ich hoffe, wir werden noch ganz gute Freunde werden, Herr Blanchard. Auf Wiedersehen!“

Er reichte dem etwas verdutzten Hausherrn die Hand hin. Herr Blanchard legte zögernd zwei Fingerspitzen hinein und zog sie sogleich wieder fort, mit komischem Eifer den Kopf schüttelnd. –

Arnold Rose glaubte mit dem Ausfalle dieser seiner ersten Visite gar nicht unzufrieden sein zu dürfen. Er hatte sich eingeführt; die Frau gefiel ihm, und mit dem Manne meinte er fertig werden zu können. Einige Stunden später zog er mit seinem Burschen, einem ehrlichen und dienstwilligen Altpreußen, Namens Kruttke, in das Parterre der Villa ein. Madame Blanchard wies oben die nöthigen Möbel an, und Kruttke trug

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_210.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)