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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Juliette? Was ist’s mit Fräulein Juliette?“ fragte Rose theilnehmend.

Madame Blanchard sah ihren Mann fragend an, der gerade in ihre Nähe kam und nun stehen blieb. „Mag er’s doch wissen!“ sagte er in geändertem Tone. „Vielleicht kann er einen guten Rath geben.“

„Das ist auch meine Hoffnung,“ bestätigte seine Frau. Sie wandte sich dann schnell zu Rose: „Das Pensionat, in dem unsere Juliette sich befindet, wird bis auf Weiteres aufgelöst, mein Herr. Blanchard hat durch einen Expressen diesen Brief erhalten mit der Aufforderung, über seine Tochter zu verfügen. Sollen wir sie nun weiter nach dem Süden schicken, ganz allein, ohne eine zuverlässige Begleitung? Ich würde sie am liebsten hier in unserem Hause haben; aber wie sie hierher schaffen, wie sie durch die Linien der Feinde bringen? Es ist unmöglich!“

„O, ich würde sie abholen,“ meinte der Kaufmann, „aber man könnte mich leicht wie einen Spion behandeln, wenn man mich ertappte, und am nächsten Baume aufknüpfen. Ist es nicht schon vielen friedlichen Bürgern so ergangen?“

Rose mußte lachen, so ernst ihm auch zu Muthe war. „Wollen Sie meine Begleitung annehmen?“ fragte er schnell entschlossen.

„Ihre Begleitung?“

„Ja! Ich bin im Stande mich überall zu legitimiren, und daß ich nicht mit einem französischen Spione reise, wird man mir schon glauben.“

Madame Blanchard reichte ihm die Hand. „Auf ein so gütiges Anerbieten durften wir allerdings nicht rechnen. Empfangen Sie meinen herzlichsten Dank! Sie erleichtern die Sorge einer Gattin und einer Mutter sehr. Auch Juliette wird sich dem unbekannten Manne verpflichtet fühlen, dessen großmüthige Theilnahme für unser Geschick...“

Das drohte ihrem vorsichtigen Manne zu viel zu werden. „Zu allen Gegendiensten gern bereit, mein Herr,“ fiel er schnell ein. „Niemand kann vorher wissen, wie sich das Blatt einmal wendet. Ich bin zwar nur ein einfacher Kaufmann, habe aber einflußreiche Freunde und Gönner, die meiner Verwendung Gewicht geben können.“

Der junge Mann versicherte, daß er sich dessen mit Freuden erinnern werde. Es gelang ihm leicht, eine Art Paß für Blanchard und seine Tochter zu erhalten, worin zugleich eine Anweisung an die Commandanten von Truppenkörpern und an die Behörden gegeben war, die in seiner Begleitung Reisenden nach Möglichkeit zu befördern. So ausgerüstet, kamen sie verhältnißmäßig schnell an ihren Bestimmungsort.

Das Pensionat fand man in größter Aufregung. Ein Theil der jungen Damen war schon abgereist, andere erwarteten ungeduldig die Abholung. Die Sachen der Lehrerinnen standen gepackt. Preußische Ulanen durchstreiften die Gegend, und ihre Fähnchen wurden aus den Fenstern des Schlosses nicht bemerkt, ohne jedesmal neue Schrecken zu verbreiten. In geringer Entfernung südwärts standen französische Truppenkörper der von Gambetta gebildeten Armee und die jungen Fräulein schalten ihre Unbeweglichkeit, indem sie am liebsten einige Regimenter zu ihrem Schutze um das Schloß gelagert gesehen hätten. Rose war es gelungen, ein Fuhrwerk zu requiriren, das zwar nur aus einem schlechten Bauerwagen und zwei ziemlich abgetriebenen Gäulen bestand, aber doch die Möglichkeit schnelleren Fortkommens bot. Er selbst führte als Kutscher die Leine, und das rothe Kreuz verschaffte ihm überall Durchlaß.

Natürlich war er auf die erste Begegnung mit Juliette nicht wenig gespannt. Das Bild sollte nun Farbe und Leben erhalten. Würde die Wirklichkeit sein Phantasiestück in Schatten stellen, oder hinter seiner Erwartung zurückbleiben? Endlich kam sie, in Pelz und Capote gehüllt, am Arm ihres Vaters die Rampe vor dem Portal herab; ein Diener trug einige Kistchen und Kästchen und packte dieselben vorn neben dem Kutscher in den Wagen, als ob das gerade so sein müsse. Arnold stand neben dem Vorderrade, den Rücken den Pferden zugewendet, hielt die Hand mit der Leine auf dem Strohgefäß und sah zu. In einiger Entfernung vom Wagen schien Blanchard seiner Tochter etwas zuzuflüstern. Sie zuckte leicht die Achseln und warf, ohne den Kopf zu wenden, einen schnellen Seitenblick auf den jungen Mann, gab aber sofort wieder ihren Augen eine andere Richtung, da sie sich von ihm beobachtet sah. Der Kopf richtete sich dabei höher auf, und auf dem bis dahin freundlichen Gesicht zeigte sich plötzlich ein eisiger Zug von hochmüthiger Zurückhaltung. Mit ihrem Vater näher tretend, würdigte sie den Deutschen kaum des flüchtigsten Grußes und machte sofort Anstalt, auf den Wagen zu steigen. Arnold bot ihr die Hand; sie stützte sich aber, als ob sie es gar nicht bemerkte, auf ihren Vater und schwang sich rasch und geschickt vom Trittbrett auf das hintere Strohgefäß. Dann blickte sie nach dem Schlosse zurück, wo an einem der oberen Fenster einige junge Mädchen standen und der Scheidenden zunickten. „Warum zögern wir länger?“ fragte sie, ohne umzuschauen.

Blanchard stand noch neben dem Wagen, augenscheinlich in einiger Verlegenheit über das Benehmen seiner Tochter. Er blinzelte mit den Augen, lächelte und schien etwas sagen zu wollen, aber nicht die passenden Worte zu finden. Juliette’s Frage machte diesem peinlichen Zustande ein Ende. Offenbar entschlossen, sich ihrer Leitung zu überlassen, machte er nun ebenfalls Anstalt, aufzusteigen und bemerkte dabei: „Ja, fahren wir ab!“

Rose stand unbeweglich. Er suchte ein leicht erklärliches Gefühl des Unmuths zu unterdrücken und konnte sich doch nicht bis zu der Gleichgültigkeit herabstimmen, die absichtlich unartige Behandlung der jungen Dame unbeachtet zu lassen. „Wollen Sie nicht die Güte haben,“ wandte er sich an Blanchard, „mich Ihrem Fräulein Tochter vorzustellen?“

„Es ist nicht nöthig,“ antwortete Juliette nachlässig. Ihr Papa hüstelte halb in Verlegenheit, halb um ihr ein Zeichen zu geben, sich zu mäßigen.

(Fortsetzung folgt.)



Der Baum des Lebens.
Von Carus Sterne.

Wenn wir, den kurzen Sonnenschein eines kalten, heitern Wintertages benutzend, im entlaubten Parke einen Spaziergang machen, so fallen uns wohl vor Allem ein paar Bäume wegen des kläglichen Anblickes auf, welchen dieselben zur Zeit bieten, die sogenannten Lebensbäume. Es sind besonders zwei hochwachsende Arten dieses unserm Wachholder verwandten Geschlechtes der Zapfenbäume, welche wir in unsere Gärten und auf die Kirchhöfe pflanzen und welche man bei aller sonstigen Aehnlichkeit schon nach dem äußeren Habitus unterscheiden kann: der aus Nordamerika stammende abendländische Lebensbaum (Thuja oder Biota occidentalis) mit wagerecht ausgebreiteten Zweigen und einer kleinen erhabenen Drüse auf jedem Blattschüppchen und der aus Asien zu uns gekommene morgenländische Lebensbaum (Thuja orientalis) mit senkrecht ausgebreiteten Zweigen und einer Furche an Stelle der Drüse. Beide haben ihr zartes zierliches Schuppenkleid in den Winterstürmen behalten, aber nur mit Unrecht würde man sie darum zu den immergrünen Bäumen rechnen dürfen, denn ihr im Sommer so lebendig und frisch grünes Laub sieht jetzt todtenhaft lederbraun oder rostfarbig aus, und das ganze Gewächs macht den Eindruck, als ob es erfroren, vollkommen verwelkt und abgestorben wäre. Aber laßt einige Tage die warme Frühlingssonne darauf scheinen, und Ihr werdet die wunderbarste Verwandlung wahrnehmen. Dasselbe Laub, das jetzt dem Abfallen nahe erscheint, gewinnt seine frische und freudig grüne Farbe wieder, das ganze Gewächs scheint sich zu verjüngen und von schwerer Krankheit, ja vom Tode wieder zu erstehen.

Ganz anders als die alljährliche Neubelaubung unserer im Winter kahlen Wald- und Gartenbäume wirkte diese Verjüngungserscheinung auf den aufmerksamen Naturbeobachter und besonders auf die ersten Europäer, welche das Wunder vor ihren Augen geschehen sahen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_214.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)