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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


diesem kleinen Tische etwas unbequem zu Dreien essen,“ sagte er, „aber vielleicht um so gemüthlicher. Heda! Kellner, noch einen Stuhl! Dort an den Kamin – mich friert. Erlauben Sie, Herr Blanchard! Wir rücken den Tisch auf dieser Seite ein wenig ab. Lassen Sie sich deshalb gar nicht stören, mein Fräulein! Ich theile den Raum mit Ihrem Herrn Papa, der schon an meine Nachbarschaft gewöhnt ist. So! Sie haben nur nöthig, Ihren Stuhl ein wenig zu wenden. Was giebt’s denn zu essen? Hat der Wirth keine Augen gehabt oder kann er nicht bis drei zählen? Noch ein Glas und eine zweite Flasche! Aber geschwind!“ Er trieb den Burschen fort, der so gemessenen Weisungen gegenüber sich nicht zu weigern wagte und mit einem Achselzucken, das ihn bei der jungen Dame entschuldigen sollte, bei dem Arrangement half.

Juliette hatte Pelz und Capote abgelegt. Nun erst zeigte sich die sehr zierliche Gestalt, und das hübsche Gesichtchen fand in dem lockigen Haare seine natürliche Einfassung. Es hatte wenig Farbe, und ein Netz feiner blauer Aederchen auf beiden Seiten der Stirn in der Gegend der Schläfen, unter der sehr zarten Haut vorschimmernd, verstärkte den Eindruck nervöser Reizbarkeit, der in diesem Moment schon durch eine merkliche Unstätigkeit des Blickes und durch das Zucken der feinen Lippen, zwischen welchen die kleinen Zähne sichtbar wurden, gegeben war. Arnold saß ihr jetzt gegenüber und benutzte die Gunst, sich mit ihrer ganzen Erscheinung bekannt machen zu können, vielleicht etwas dreister, als sonst für schicklich gegolten hätte. War es nun dieser oder ein anderer Grund – das Mädchen stand plötzlich auf, warf die Serviette auf den Stuhl und entfernte sich nach dem anderen Ende des Zimmers. Sie blieb eine Weile am Fenster, dann vor einigen schlechten Bildern stehen und setzte sich endlich, möglichst dem Kamine abgewendet, auf ein wenig einladendes Sopha unter denselben.

Das gilt Dir! dachte Arnold; dieser kleine Eigensinn setzt sein Stück durch, nicht mit mir an einem Tische essen zu wollen. Es ist wie in Polen, wo auch die Frauen unversöhnlicher sind, als die Männer. – Ein Gefühl des Unmuths überkam ihn, wenn er sich fragte, welche Rolle er eigentlich spiele. Die des aufdringlichen Freundes unzweifelhaft; kaum eine andere konnte ihm so widerwärtig sein. Und was nöthigte ihn dazu? Nichts, wenn nicht das kleine Bild in seiner Brieftasche, das nun einmal seinen Spuk fortsetzen wollte, wie es ihn angefangen hatte. Er steckte wie in einem unsichtbaren Zaubernetze.

„Wir benutzen zusammen einen Wagen, Herr Blanchard,“ begann er, nachdem er nothdürftig seinen Hunger gestillt hatte, „aber es fehlt uns der Kutscher dazu. Nun habe ich, als der jüngere von beiden, damit angefangen die Leine zu führen. Wäre es nicht Zeit zu wechseln? Ich denke! Kutschiren Sie nun gefälligst bis zur zweiten Station! Ich will mir's unterdessen auf Ihrem bisherigen Platze bequem machen.“

Herr Blanchard blickte sehr verwundert zu ihm auf und auch Juliette schien aufmerksam zu werden. „Ich muß gestehen,“ antwortete er stotternd, „daß ich nicht die mindeste Uebung darin habe, eine Pferdeleine zu führen.“

„Auch ich habe die edle Kunst des Rosselenkens weder gelernt noch geübt,“ versicherte der junge Mann lachend; „wir sind Beide nur Dilettanten.“

„Aber bei meiner Ungeschicklichkeit läuft Juliette Gefahr …“

„Nicht die mindeste. Die Thiere sind sehr geduldig. Ich würde sonst der Letzte sein, dieses an sich gewiß sehr billige Abkommen vorzuschlagen.“

Herr Blanchard schielte zu seiner Tochter hinüber; er weigerte sich offenbar nur deshalb, weil er ihre Unzufriedenheit voraussetzte. Sie sollte stundenlang mit dem verhaßten Deutschen zusammen Schulter an Schulter sitzen und ihren Vater Knechtsdienste verrichten sehen. Er konnte sich ganz in ihre Seele versetzen und stotterte neue Entschuldigungen.

Juliette mischte sich ein. „Es steht meinem Vater so wenig an, als mir,“ sagte sie, „Sie um eine Gefälligkeit zu bitten, die Sie unaufgefordert zu leisten nicht den Willen haben. Gut! wir fügen uns.“ Sie stand auf und legte wieder Pelz und Capote an. „Deinen Arm, lieber Papa! Promeniren wir vor dem Hause, bis die Pferde ausgeruht sind. Die Luft in diesem Zimmer ist mir zu bedrückt.“

Herr Blanchard setzte seufzend seinen Hut auf und folgte ihr. Er sah sehr verdrießlich aus.

Arnold blieb allein im Zimmer. „Der Trotzkopf!“ rief er laut. Es blieb ihm nun nichts übrig, als sich mit den Bildern an den Wänden und mit einigen alten Journalen zu unterhalten, bis die Pferde gefüttert worden wären. Seine Stimmung schlug um. „Ist es nicht albern,“ sagte er sich, „daß ich mich um diese Leute bemühe, die ihrerseits nur darauf denken, wie sie mich fern halten können? Diese kleine Französin ist recht niedlich – aber was weiter? Ich beschäftige mich mit ihren Kindereien, als wäre mein Herz dabei betheiligt. Unsinn! Darunter muß ein Strich gemacht werden. Ich gebe das Quartier auf und werfe das Bild in den Kamin – das ist das Gescheiteste, was ich thun kann.“

Er ging hinaus und erkundigte sich beim Stallknecht nach den Pferden. Sie hatten gefressen, und die Reise konnte fortgesetzt werden. Blanchard und Juliette spazierten in einiger Entfernung und fanden sich beim Wagen ein, als die Pferde aufgeschirrt waren. Der Kaufmann schien unsicher, ob Rose seine Drohung wegen des Kutschirens ernst gemeint habe, aber dieser benahm ihm bald jeden Zweifel.

„Es wird gut sein,“ sagte er, „wenn Sie sich zuerst aufsetzen und die Leine fassen. Ich werde dem Fräulein beim Einsteigen behülflich sein.“

Blanchard widersprach nicht weiter; er bat nur den Stallknecht, die Pferde so lange zu halten, bis Alles in Ordnung sei.

Rose verneigte sich galant. „Bitte, mein Fräulein!“ Er reichte ihr die Hand, und sie mußte sich nun wohl darauf stützen. Aber kaum stand sie im Wagen, so faßte sie ihren Vater um die Schultern, schwang sich mit einer raschen Bewegung über den vorderen Sitz und kam neben ihn zu sitzen. Arnold konnte nun allein hinten Platz nehmen. Er war einen Augenblick ganz verblüfft über diesen neuen und ganz unerwarteten Schachzug, und auch Blanchard schien davon überrascht, denn er machte die etwas unzufrieden klingende Bemerkung, daß man hier zu Zweien hinter der Bagage doch sehr unbequem sitzen werde. Aber das Mädchen, das jetzt ganz vergnügt umschaute, warf einige Gepäckstücke hinter sich in den Wagen und rief muthwillig:

„Steigen Sie ein, mein Herr, steigen Sie ein, sonst fahren wir ohne Sie ab.“

Arnold mußte wohl gehorchen.

Es sollte noch verdrießlicher für ihn kommen. Eben als die Pferde sich in Bewegung setzten, nahm Juliette ihrem Vater die Zügel aus der Hand und trieb sie mit denselben zu rascherer Gangart an.

„Theilen wir uns in das Amüsement,“ sagte sie dabei neckisch; „Du kannst von Zeit zu Zeit die Peitsche schwingen, Papa, wenn unsere Pferdchen das Laufen vergessen.“

„Aber so war's nicht gemeint, mein Fräulein,“ warf Rose ein. „Hätte ich ahnen können, daß Sie …“ Er stand hinter ihr auf und faßte nach der Leine.

„Bitte, bemühen Sie sich gar nicht!“ wies sie ihn ab, „es macht mir Spaß zu kutschiren.“

„Nicht doch, Kind!“ äußerte sich nun auch Herr Blanchard; „erlaube mir …“

Sie hielt ihn mit der vorgestreckten Schulter ab. „Ich erlaube durchaus nicht. Was sich für meinen Papa nicht schickt, da man’s von ihm als eine Pflicht fordert, ist mir wohlanständig, wenn ich mir ein Vergnügen daraus mache. Ich bilde mir ein, in einem eleganten englischen Gig zu sitzen und meinen Papa in’s Boulogner Wäldchen spazieren zu fahren. Ist das nicht hübsch? Du kennst doch die Einrichtung eines solchen Fuhrwerkes?“

Herr Blanchard gab ihr nicht die Veranlassung, dieselbe näher auseinanderzusetzen, aber Arnold wußte recht gut, worauf sie anspielte. Es gab da einen Rücksitz für den Bedienten, und er nahm ihn ein. Er hätte nur noch die Arme über der Brust kreuzen dürfen, so wäre der englische Groom fertig gewesen. O, seine kleine Todfeindin fühlte sich als Siegerin und wurde übermüthig in ihrer Laune. Er zündete eine Cigarre an und verpaffte die edle Gabe des guten Onkel Helmbach mit wahrhaft verschwenderischer Eile. „Mag es nun gehen, wie’s geht!“ dachte er. „Ich kümmere mich nicht weiter darum.“

Juliette war jetzt die Munterkeit selbst; sie lachte und scherzte mit ihrem Nachbar, commandirte die Peitsche in seiner Hand und trieb beim Kutschiren allerhand Possen, die bei so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_226.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)