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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


der hohe Auftraggeber unter anderen Verzierungen auf einer der Schüsseln einen zur abscheulichen Fratze gestalteten weiblichen Kopf. Auf Befragen erzählte der Meister, wie in dem gegenüber gelegenen Hause ein anderer, reicher Goldschmied wohne, dessen Frau und Töchter, aus Aerger über das unverhoffte Glück ihres Nachbarn, ihm die sonderbarsten Grimassen und Fratzen von den Fenstern ihrer Wohnung aus geschnitten. Da habe er es denn nicht unterlassen können, neben den Arabesken eine dieser Fratzen nachzubilden.

Um den strebsamen Fleiß zu belohnen, dem hämischen Neid aber die ihm gebührende Strafe zu ertheilen, ließ der Monarch das armselige Haus niederreißen und ein stattlicheres für seinen nunmehrigen Hofgoldschmied errichten. Inmitten der Front aber, zwischen dem zweiten und dritten Stockwerk, befahl der königliche Baumeister die Anbringung jenes Zerrbildes, dem die Berliner alsbald den Namen „der Neidkopf“ beilegten. Diese Benennung hat das Haus im Volksmunde bis auf den heutigen Tag behalten.

Der „Neidkopf“.

Die zweite Erzählung, neueren Ursprungs, führt uns in die Zeit des letzten brandenburgischen Kurfürsten und ersten Preußenkönigs zurück.

Es war am 18. August des Jahres 1695. Die Glocken der Domkirche auf dem Schloßplatze verkündeten den Beginn der feierlichen Grundsteinlegung zur Parochialkirche in der Klosterstraße. Kurfürst Friedrich der Dritte war mit seinem ganzen Hofstaat anwesend und wohnte zunächst dem unter einem Zelte durch den berühmten Kanzelredner Ursinus (später als Ursinus von Bär in den Adelsstand erhoben) abgehaltenen Gottesdienste bei. Nach Beendigung desselben legte der Kurfürst eine Bibel mit schwer vergoldeten Beschlägen und den Heidelbergischen Katechismus nebst einer Büchse mit Münzen und Medaillen in den Grundstein, der dann in üblicher Weise auch von den Mitgliedern der fürstlichen Familie mit Kalk bedeckt wurde. Darauf sprach Ursinus abermals ein Gebet, und die Schüler des grauen Klosters stimmten den 101. Psalm, David's Regentenspiegel, an. Während der Worte: „Meine Augen sehen nach den Treuen im Lande, daß sie bei mir wohnen,“ drängte ein Jüngling sich durch die Versammlung und überreichte knieend dem Kurfürsten ein Schriftstück. Dieser winkte ihm, er solle ihm unter das Zelt folgen, und hier erzählte der Fremdling, ein Goldschmied Namens Beyrich, wie ihm im Traume der Auftrag geworden, eine silberne Königskrone zu fertigen und sie am Tage der kirchlichen Grundsteinlegung dem Kurfürsten an dem Orte zu überreichen, wo einst dessen Ahn (Friedrich der Erste von Hohenzollern) die Huldigung der Mark im „Hohen Hause“ empfangen. Obwohl nur arm, habe er doch gethan, wie der Traum ihm geboten. Und mit dem Hinzufügen, daß dieses sein geringes Werk, wie die Traumesverheißung ebenfalls lautete, mit in den Grund gesenkt werden möge, überreichte er dem Kurfürsten eine kleine silberne Krone. Friedrich der Dritte, eingedenk wohl der Prophezeiung am Tage seiner Taufe, daß er dereinst die Königskrone tragen werde, blickte nachdenklich auf die ihm dargereichte hin, und brach dann in die Worte aus: „Es ist Gottes Wille und ein Geheimniß vor der Welt.“

Beyrich empfing darauf von dem Kurfürsten die erforderlichen Geldmittel, um sich eine eigene Werkstatt einzurichten. Als dann sechs Jahre später Friedrich der Dritte als König Friedrich der Erste in Berlin einzog, erinnerte er sich jener Begebenheit bei der Grundsteinlegung und sandte dem Meister Beyrich ein Gastmahl in sein Haus, damit auch er sich erfreue an der Königskrone. Wieder sechszehn Jahre später – Friedrich der Erste war inzwischen

Die „Rippe“.

zu seinen Ahnen versammelt – besuchte Friedrich Wilhelm der Erste den strebsamen Meister und bestellte sich bei ihm ein goldenes Service. – Hier nun beginnt der Fortgang der Erzählung mit der ersten in Uebereinstimmung zu treten, nur daß der König bei seiner öfteren Anwesenheit in des Künstlers Werkstatt die darüber neidischen Fratzen am Fenster des reichen Goldschmieds selbst erblickte.

Soweit die Sage. Auf dem Gebiete der Forschung nun ist durch den Geheimen Hofrath L. Schneider festgestellt, daß das Haus Nr. 38 in der Heiligegeiststraße in den Jahren 1711 bis 1746 einem Goldschmied, Namens Lieberkühn, eigenthümlich war. Dagegen hat ein goldenes Tafelservice am Hofe des haushälterischen, jedem Luxus abholden Königs niemals existirt. Christian Lieberkühn wurde an Jahre 1738 mit der Herstellung des silbernen Chores[1] im Rittersaale des Schlosses betraut und mußte, was von seiner Wohlhabenheit zeugt, zweiundvierzigtausend Thaler, sowie sein Haus, als Caution für das ihm zur Anfertigung des Chores gelieferte Silber stellen.

Hierdurch wird die Sage in Betreff des Services und der Armuth unseres Goldschmiedes hinfällig, wie denn auch ein anderer Goldschmied eines der gegenüberliegenden Häuser zur damaligen Zeit nicht besessen hat. Bezüglich der Grundsteinlegung

  1. Friedrich der Große ließ denselben einschmelzen, um Gelder zur Kriegsführung zu erlangen, und an Stelle seiner einen hölzernen, stark versilberten errichten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_242.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)