Seite:Die Gartenlaube (1875) 245.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 15.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Ein kleines Bild.
Von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)


„Ihr seid verdächtig!“ fuhr der Blousenmann fort, „da Ihr in solcher Gesellschaft reist. Ihr werdet mir bis zum Hause folgen und Euch dort bei unserm Hauptmanne legitimiren, wenn Ihr könnt. Diesem da hätte ich Lust, gleich hier eine Kugel vor den Kopf zu schießen – es sind wieder zwei von den Unseren eine Stunde von hier aufgeknüpft gefunden.“

„Ihr werdet nicht so ungalant gegen eine Dame sein, lieber Freund,“ wehrte Juliette ab. „Und übrigens – die Exceution kann Euch ja nicht entgehen, wenn Ihr sie verschiebt,“ setzte sie so kühl und gleichgültig hinzu, daß es Arnold durchfröstelte.

„Erschießt Ihr mich,“ rief er, die Achseln zuckend, „so könnten leicht vier von den Euren baumeln, und wer steht Euch gut dafür, daß Ihr nicht darunter seid?“

Der Blousenmann nahm heftig das Gewehr auf und schlug mit der Hand an den Kolben. „Ihr wollt’s nicht anders –!“

Blanchard faßte ihn beim Arm. „Vorsichtig, Freund!“ flüsterte er ihm zu. „Er ist kein Spion – ich stehe für ihn. Und das rothe Kreuz muß geschont werden, wenn man uns nicht als Barbaren verschreien soll – uns, die civilisirteste Nation.

Das leuchtete dem Blousenmanne ein. Er ließ das Gewehr sinken, und rief barsch: „Folgt mir! Der Hauptmann mag entscheiden. Oder vielmehr: geht voran! Ich will den Burschen vor meinem Gewehre haben.“

Herr Blanchard ergriff wieder die Zügel und setzte die müden Thiere in Bewegung. In der Nähe des Hauses brannte ein Feuer; darüber war ein großer Kessel aufgehängt. Im engen Kreise standen und lagerten bewaffnete Männer. Ein Posten schritt vor der Thür auf und ab. Arnold wußte nun, daß die Truppenkörper, die vor zwei Tagen noch die Straße besetzt hatten, zurückgezogen waren, und daß eine Bande Freischärler den Weg verlegt hatte, um Streifpatrouillen und Boten abzufangen. Weit entfernt, Blanchard und seine Tochter schützen zu können, war er nun selbst in nicht geringer Gefahr, die Freiheit, wenn nicht das Leben einzubüßen.

Sie wurden in die Wirthsstube geführt, wo am Tisch bei der Flasche einige Männer saßen, die von dem in der Blouse respectvoll angeredet wurden. Es begann ein Verhör, das bald eine freundlichere Wendung nahm, als einer der Officiere sich erinnerte, kurz vor dem Kriege mit Blanchard ein Geschäft gemacht zu haben. Juliette hatte sich’s bereits am Kamin bequem gemacht und ein Gespräch mit der Wirthin angeknüpft.

„Ich höre,“ sagte sie, „daß die Zimmer sämmtlich besetzt sind. Wer von den Herren ist so rücksichtsvoll, mir das seinige abzutreten? Ich bin sehr ermüdet von der Reise und kann unmöglich die Nacht hier am Kamine zubringen.“

Man verständigte sich untereinander und gab ihr die Versicherung, daß nach Kräften für ihre Bequemlichkeit gesorgt werden sollte. Arnold bemühte sich vergebens, einen Blick von ihr zu erhaschen; er schien für sie nicht weiter auf der Welt zu sein.

Er hatte ein sehr scharfes Verhör über allerhand militärische Verhältnisse zu bestehen, in die man ihn eingeweiht glaubte. Er gab närrische und knappe Antworten, ließ sich auch durch martialische Drohungen und gelegentliche Püffe nicht einschüchtern. Er wisse nichts, wiederholte er immer; wenn er aber etwas wüßte, so würde er gewiß auch guten Grund haben, es nicht zu verrathen, und so solle man ihn in Ruhe lassen.

Morgen werde er vielleicht willfähriger sein, hieß es nun; man mache mit so schweigsamen Prussiens kurzen Proceß. Er wurde einem Blousenmann übergeben und von diesem nach dem Stallgebäude hinter dem Hause geführt. Dort schloß man ihn in einen finsteren Raum ein, in dessen einer Ecke etwas Stroh lag. Er warf sich darauf und stützte den Kopf auf den Ellenbogen, über das Schicksal, das ihn morgen erwartete, nachdenkend.

Wenn man ihm durch eine Kugel den Garaus machen wollte – es wäre nicht der erste Fall gewesen, in dem man das rothe Kreuz nicht als Schutz gelten ließ. Die Franctireurs waren erbittert, weil sie von den Occupationstruppen als Räuber behandelt wurden, und übten Wiedervergeltung, wo sie die Macht hatten. Auf ein ordnungsmäßiges Verfahren war nicht zu rechnen; er wußte, daß er der Willkür fanatisirter Menschen preisgegeben war. Und in so schweres Ungemach hatte ihn nun doch nichts anderes, als das kleine Bild gebracht. Nicht einmal Dank erntete er für seine Großherzigkeit: Juliette behandelte ihn wie einen Lästigen, dem man sich hüten müsse Verbindlichkeiten zu schulden; sie haßte ihn in allen seinen Landsleuten. Oder hatte sich ihre Stimmung ein wenig zu seinen Gunsten geändert? Vermied sie nicht mehr so absichtlich, mit ihm zu sprechen? War der Ton ihrer Stimme milder und freundlicher, wenn sie ihm eine Antwort gab? Und daß sie ihm ihre Hand überließ – freilich, die Noth zwang sie dazu. Aber warum gab sie ihm zweimal ein Zeichen zu schweigen, wenn sie nicht einen gewissen Antheil an seinem Geschick nahm? Wenn sie ihn nur als Feind betrachtete, warum

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_245.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)