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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Quai betritt, an den schönen Markthallen vorbei in’s Innere der Stadt eilt, der gelangt nicht, wie in der türkischen Weltstadt, in enge schmutzige Gassen; er braucht nicht Schaaren herrenloser, fast heilig gehaltener Hunde auszuweichen, oder sich ängstlich zu hüten, den Kaftan eines Rechtgläubigen zu streifen. Stattliche Gebäude, reinliche Häuser, aus massivem Stein erbaut, um den früher in Stockholm so häufigen verheerenden Feuersbrünsten zu wehren, erheben sich vor ihm; ein rühriges Leben umwogt ihn, und ein Volk tritt ihm entgegen, so frisch und markig, so gastfreundlich und treuherzig, daß Einem wirklich das Herz aufgeht.

Ich habe einen schönen Traum geträumt inmitten dieses glücklichen Phäakenvolkes, das unter milden, kunstsinnigen, volksfreundlichen Herrschern schon über ein halbes Jahrhundert den tiefsten Frieden genießt, die Schätze seines Landes, Holz und Eisen, mit unermüdlichem Fleiße ausbeutet, unter harten Steinen nach der weichen Erde wühlt, die es auf die Felsen schüttet, um sein Korn zu säen, kühne Eisenbahnen in die Felsen schmiedet, Canäle und Schleußen mitten durch grauenerregende Wasserstürze führt und trotz der harten Arbeit einem heitern Lebensgenusse ergeben ist. Obwohl nicht reich, doch die Ausgabe nicht ängstlich ermessend, kommt der Schwede dem Fremden mit edler Gastfreundschaft entgegen, wie er denn überhaupt einen hohen, edlen Sinn zeigt. Selig lauscht er dem Sänger, ob er die alten Helden und Wikinger feiert, oder von dem Haideröschen, „der Blume“ singt, oder die Tollheiten des Volkes gutmüthig verspottet. Man zähle die Denkmäler, welche König und Volk ihren Kriegs- und Geisteshelden errichtet, man studire die Namen der Straßen, welche an edle Stifter erinnern, man durchwandere die vielen wohlthätigen Anstalten für Greise, Wittwen, Waisen, Kranke und Irre, man feiere die originellen Feste mit, bei welchen der Frühling der Natur wie des Geisteslebens bejubelt wird, man sehe das Landvolk schaarenweise nach dem Nationalmuseum strömen, um dort die Trümmer der Steinzeit anzustaunen, in den zerrissenen und blutigen Gewändern der Kleiderkammer die Leiden ihrer Helden, in den Waffen der Rüstkammer die Kraft ihrer Vorfahren zu bewundern, man lausche den Molltönen ihrer tausend Volkslieder – und aus alledem fügt sich ein tiefharmonisches, ergreifendes Bild zusammen, das Einen treu begleitet.

Wohl fühlt sich der Fremde in Schweden auch von manchen Uebelständen peinlich oder gar schmerzlich berührt; namentlich fordert in diesem nordischen Klima die Trunksucht manches Opfer, aber davon mag Der melden, welcher länger und tiefer hineinschaut in das eigenthümliche Volksleben. Das erfahre man aus der reichen Literatur der Schweden, aus den trefflichen Romanen einer Bremer, Flygare Carlén, Sophie Schwartz! Wer Lust und Leid des Volkes kennen lernen will, der lese die „Erinnerungen eines Miethkutschers“ von August Blanche!

Unser Bild führt uns nur einen Punkt der Hauptstadt vor, und so müssen wir uns auch auf die Erklärung dieser Partie beschränken, die auf engem Raume so viel Schönes umfaßt. Es versetzt uns mitten in das Herz der Hauptstadt, da wo die Salzsee, durch den Nordstrom mit dem Süßwasser des Mälar oder Lögar verbunden, den einen Arm um den ursprünglichen Kern Stockholms schlingt. Die süßen Gewässer des Landes haben das salzige Naß der Ostsee schon so durchdrungen, daß der Matrose seinen Trunk im Hafen aus der Fluth schöpft.

Die Vorderseite unseres Bildes, „der Königsgarten“ genannt, war noch vor kurzer Zeit vom „Näckestrom“ überfluthet. Wo einst die Nixen im Mondscheine gespielt, laden jetzt die Dryaden in ihre lauschigen Winkel und unter duftige Linden. Wo einst die beutelustige Möve flatterte, erhebt sich das Standbild des Kriegshelden Karl’s des Zwölften, und an das Rauschen des Wassers erinnert nur noch die bronzene Fontaine des Bildhauers Molin, welche in sinniger Weise die Vereinigung des Süßwassers mit dem Meere darstellt. Ein Nix bezaubert durch sein Harfenspiel den furchtbaren Meergott und seine schönen Töchter, die ihn verführen sollten und nun, seinen Tönen lauschend, die Fahrzeuge der Menschen ungefährdet lassen.

Auch die linke Seite unseres Bildes war noch vor wenigen Jahren mit unscheinbaren Hütten bedeckt, während sie jetzt zwei Prachtgebäude schmücken und die Lücke zwischen beiden in kurzer Zeit durch neue Bauten ausgefüllt werden soll, so daß sich die stolze Königsburg auf der Rechten ihres Vis-à-vis nicht mehr zu schämen braucht. Das vordere ist das in vorigem Sommer eröffnete Grand Hôtel, das hintere das Nationalmuseum. Eine schöne 550 Fuß lange, 7741 Centner wiegende, auf vier Granitpfeilern ruhende Brücke, deren luftige Bogen auf unserm Bilde durch das Takelwerk der Schiffe bemerkt werden, führt nach der Schiffsinsel, wo die schwedische Flotte ihre Kasernen, Magazine, Schuppen und ihre Kirche hat. Daran schmiegt sich die Castellinsel, ein einziger Granitfelsen, den Menschenhand mit Erde bedeckt und mit Bäumen bepflanzt hat. Dahinter, auf dem Bilde unsichtbar, dehnt sich die Thiergarteninsel aus, die besuchteste Promenade der Stockholmer, mit dem berühmten „Hasselbacken“, den der beliebte Volksdichter Bellmann, „der schwedische Anakreon“, unsterblich gemacht hat. Im Schatten seiner Lieblingseiche steht seine Büste und alljährlich versammelt sich hier das Volk, um ein höchst originelles, in seiner Art einziges Volksfest zu feiern. Die Königsburg zeigt uns ihre östliche Façade mit dem lieblichen Luchshof, der hoch auf einer Granitmauer ruht, und von dem granitene Stufen zum schönen breiten Quai hinabführen, Dieser Theil des Schlosses wird von der Königinmutter, der Wittwe Oscar’s des Ersten, bewohnt. Man füge in Gedanken zu dieser einen Façade die drei andern zum Theil noch breiteren, alle durch prachtvolle Portiken in der Mitte durchbrochen, und man frage sich, ob dieses Riesenquadrat, auf imposanter Höhe zum Himmel emporragend, nicht eine der schönsten Königsburgen ist, welche im Herzen einer Hauptstadt sich erheben.

Der Haupteingang liegt nach Norden. Dort erhebt sich der Unterbau des Schlosses 126½ Fuß hoch über den Quadern der Brücke und nimmt eine Breite von 721½ Fuß ein. Eine stolze 31½ Fuß hohe Rampe aus gewaltigen Granitquadern führt zum Porticus empor; zwei Riesenlöwen, aus Bronze gegossen, bewachen in halber Höhe den Eingang, über welchem die Genien des Ruhms das schwedische Reichswappen tragen. Treuer noch als die Löwen schützt die Burg heutzutage die lebendige Liebe des Volkes, das nicht ängstlich abgehalten wird vom Zutritte, sondern, wie in Wien, frei den Burghof durchströmt zum Tagewerk und zur Lust am Feierabend. Es ist unmöglich, die Pracht der inneren Räume, die Fülle der kostbaren Kunstschätze zu schildern, welche diese zahllosen Gemächer füllen und schon bei flüchtigem Durchwandern ganze Tage in Anspruch nehmen. Mir bleibt der Besuch eine unvergeßliche Erinnerung, denn ich hatte den kundigsten, den liebenswürdigsten Führer. König Oscar der Zweite selbst lud mich huldvollst ein, unter seiner Führung seine Privatgemächer zu besichtigen, wo er über das Wohl seines Landes sinnt und in weihevollen Stunden die schönsten Blüthen in den reichen Dichterkranz Schwedens flicht, wie er schon früher als Admiral der schwedischen Flotte seine herrlichen „Flottenlieder“ am Mastbaume auf freier Meeresfluth gedichtet. Wie mancher Fürst schaut blasirt auf die Schätze, die ihn umgeben. König Oscar der Zweite aber zeigte mir mit kunstvollem Verständniß, das überall von lebendiger persönlicher Erinnerung an den Geber getragen war, die wundervollen Gobelins, Sèvres-Vasen, Waffen und Gemälde, welche in seltener Auswahl und Fülle die in allen Farben glänzenden Wände schmücken.

Auf dem Schreibtische des Königs steht neben dem Bilde seiner Gemahlin und seiner Kinder die Photographie des Kronprinzen von Deutschland, den der König bei dessen Besuche so lieb gewonnen. Hier im Schlosse oder auf dem lieblichen Drottningholm, wo vom Anfange bis Ende des Banketts nur aus goldenen Schüsseln gegessen wurde, hat vielleicht der künftige Kaiser von Deutschland die Anregung erhalten, seine Söhne an einem Gymnasium unterrichten zu lassen, denn auch des Königs von Schweden Kinder besuchten die öffentlichen Schulen der Stadt.

„Welch ein Abgrund trennt doch die jetzige Friedenszeit von der sechshundertjährigen Vergangenheit des Schlosses! Jahrhunderte lang ereigneten sich an dieser Stätte, in der von immer wiederkehrenden Feuersbrünsten verzehrten, immer neu wie ein Phönix aus den Flammen erstehenden Burg des Birger Jarl Gräuel und Verbrechen, wie sie uns die Mythen und Tragödien des alten Griechenlands nicht furchtbarer und blutiger vor die bestürzte Seele rufen. Von dreiundfünfzig Regenten, die in der alten und in der neuen Königsburg gewohnt, sind nur elf eines natürlichen Todes im Schlosse gestorben. Alle anderen endeten auf dem Schlachtfelde, auf Reisen, auf der Flucht, im Kerker oder von Mörderhand. Erst seit Bernadotte, dem freigewählten König

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_315.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)