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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


‚Verlaß’ Dich darauf – zur Hochzeit sollst Du wieder hier sein, Winchen.‘

Dann reichte er mir die Hand und ging fort, ohne die Cousine wieder anzusehen. Leichten Herzens begann ich die Garderobe Malwinens zu packen und Einiges, das noch der ausbessernden Hand bedurfte, nachzusehen. Das Kind selbst bekümmerte sich um solche Dinge nicht freiwillig; am letzten Abend des Beisammenseins aber wollte ich allen Streit vermeiden und that das Nöthige mit eigener Hand. Mama war ausgegangen, und Winchen bei einer Nachbarin, der sie Adieu sagte.

Es mochte etwa zehn Uhr Abends sein, und der Garten hinter unserem kleinen Hause, welcher gleich denen der angrenzenden Grundstücke, auf eine Wiese hinausführte, war fast ganz dunkel. Die Nachtigallen sangen in den hohen Bäumen, und der Wind trug Wogen von Blumenduft hinein in die geöffneten Fenster, aber ich dachte nicht weiter an die Schönheit des Abends, sondern begann es seltsam zu finden, daß Winchen so lange ausblieb. Sie konnte freilich von einem Garten zum anderen gehen, war ganz in der Nähe, aber dennoch begriff ich nicht, was sie bei der alten Nachbarin festhielt.

Meine Hände glätteten das letzte Wäschestück; jetzt lag Alles sauber und zierlich im Koffer. Ich wollte ihn schließen und dann die Kleinigkeiten in die Ledertasche packen. Da wehte wieder der Abendwind die Blumendüfte in’s Fenster, und es fiel mir ein, daß ich noch etwas Reseda zwischen die Taschentücher schieben könne. Vielleicht gab es ja dabei eine Gelegenheit, Malwine zu rufen; sie sollte um fünf Uhr Morgens aufstehen, und ich kannte ihre Neigung, lange zu schlafen; es war also die höchste Zeit.

Als ich in den Garten kam, sah ich in den Fenstern der Nachbarin kein Licht mehr; das war höchst auffallend. Wo konnte das Kind sein? Ein wunderliches Etwas schnürte mir die Brust zusammen. Ich wollte es heftig abwehren, aber es kam immer wieder, halb wie eine Frage, halb wie leise Furcht; es brannte mir heiß im Gehirn.

Nur schnell einige Blüthen vom Resedabeet – und dann mußte ich Malwine finden um jeden Preis. Nochmals blickte ich zurück, im Nachbarhause waren die Läden verschlossen, und Alles war dunkel. Flüchtigen Fußes durcheilte ich den Garten. Das Beet lag weit entfernt, und ich hatte ja Eile. Meine Hand raffte hastig die duftigen Blumenhäupter von den Stielen.

Um mich herum glühte der Sommer in höchster Schöne; das geheimnißvolle Weben der Nacht sang und klang in leisen Stimmen, hier raschelnd, dort fliegend – und dann wieder ein leiser Laut aus Vogelbrust, ein Locken und Flüstern von den nächsten Zweigen. So schön rings die ganze Natur, so wonnig und süß in berauschender Sommernacht, und dennoch – was klang durch die Stille, dort von drüben her, vom Flußufer, wo die alten Pappeln mit glänzendem Weiß ein Dach bildeten – ein dunkles einsames Versteck unter Blumen und Nachtigallen – Was? – Was? – Ich hörte es so deutlich – ein Schluchzen.

Die Resedablüthen fielen in das Gras. Meine Augen versuchten, das Dunkel zu durchdringen – ich horchte angestrengt – athemlos. Und dann kam es wieder – noch stärker, anhaltender als das erste Mal. Woher der Eisfrost in der Julinacht? – Wie der Tod lief mir’s durch alle Glieder. Die dort weinte, war Malwine, und was sie sprach, war ein theurer wohlbekannter Name.

‚Hermann, Hermann, das ist Sünde. Sag’s nicht wieder, das schlimme Wort!‘

Ich griff in die Stachelbeerhecke, unbekümmert um ihre Dornen; ich brauchte eine Stütze für den kurzen Weg bis zur Wiese, an deren Rand der Fluß dahinlief. Schwankend ging ich weiter.

‚Sei stille, Winchen!‘ hörte ich Hermann’s Stimme sagen, ‚es muß sein, ob’s auch Sünde ist. Kann man das ganze Lebensglück dahingeben, nur um ein Versprechen zu halten, das uns in Fesseln schlägt? – Hanne ist eine starke, willenskräftige Natur. Sie wird es ertragen; sie weiß es, glaube ich, schon.’

‚O Hermann,‘ flüsterte Winchen, ‚wie sollte sie? – Wußte ich doch selbst nichts.‘

‚Du süßes Kind,‘ sagte er zärtlich, so weich und lieb, wie er zu mir seit langer Zeit nicht mehr gesprochen, ‚Du kleines gefangenes Singvögelchen, fühlst Du es nicht, daß wir uns frei machen müssen, alle Beide? Ich habe gegen Dich geschwiegen, weil es mir unredlich schien, zu sprechen, so lange Du bei der Tante im Hause warst; ich fand nicht den Muth, sie unter ihrem eigenen Dache zu betrügen, aber jetzt will ich ihr Alles ehrlich gestehen.‘

Malwine seufzte tief. ‚Gute Nacht!‘ flüsterte sie, ‚ich muß fort, Hermann. O, was Du sagst, ist ein wilder, schrecklicher Traum.‘

Ein Geräusch in den Zweigen entstand. Er mochte sie fest an seine Brust pressen.

‚Gute Nacht, Winchen, gute Nacht, mein herziges Mädchen! Aber sag’ mir’s, bist Du dem Vetter, der so viel älter ist, als Du selbst, nicht ein klein wenig gut?’

Da tönte wieder jenes leise Schluchzen durch die Sommernacht. ‚Hermann, wie Du fragst! Warst Du nicht der Einzige, von dem ich freundlich aufgenommen wurde, der Einzige, welcher mich nicht stündlich fühlen ließ, daß man mir jedes Stück Brod schenkte – und ungern schenkte?‘

‚Ja,‘ sagte er tief erschüttert, ‚ja, Kind, Du armes Herz, das sich zu dem anderen verarmten naturgemäß fand. Es mußte dahin kommen, und Hanne allein trägt die Schuld. Jetzt geh’, damit nicht noch so kurz vor dem Scheiden eine Scene entsteht. Gieb mir den Kuß, den ich vorhin ausschlug, mein Liebling!’

‚Hermann – ach, wie soll ich Deiner Braut wieder in’s Auge sehen?’ schluchzte Winchen.

‚Meiner Braut?‘ wiederholte er traurig. ‚Hanne ist es längst nicht mehr.‘

Das war das Letzte, was ich hörte. Ich muß wohl ohnmächtig geworden sein, denn als ich wieder völlig zur Besinnung kam, befand sich Niemand in meiner Nähe. Eisiger Frost durchschauerte mich; der Kopf war schwer wie Blei, und die Hände bluteten von der Berührung der Dornen.

Wie vernichtet im Innersten, ging ich nach Hause. Hermann hatte Recht: Wozu eine Scene?“

(Schluß folgt.)




Kleiner Briefkasten.


M. N. Der Krankheitszustand eignet sich nicht zu öffentlicher Besprechung. Wenden Sie sich unter Doppelverschluß mit Adresse der Redaction und unter vertrauensvoller Namensnennung an den sachverständigen Korrespondenten unseres Blattes!

Louis D. aus L. Der Zustand ist zweifellos der Besserung fähig; thun Sie, was unter M. N. vorgeschlagen wird.

A. v. T. in Dresden. Ihre Novelle ist in der Charakterzeichnung und Scenerie recht ansprechend, läßt aber in der Technik noch zu viel zu wünschen übrig, als daß wir von derselben Gebrauch machen könnten. Unter welcher Adresse wünschen Sie das Manuscript in Empfang zu nehmen?

Langjährige Leserin in Ro. Dr. O. Müller’s Anstalt zu Blankenburg im Harze.

Mth. in Frankfurt a. M. Die von Ihnen angeführten sogenannten Kräftigungsmittel sind sämmtlich der Apotheke des Schwindels entnommen und keinen Pfifferling werth. Essen Sie gut und kräftig, leben Sie solid und viel in freier Luft, und Sie werden binnen wenigen Monaten wieder die alte Gesundheit und Heiterkeit erlangen.

F. J. in Brünn. Fünfzehn Gulden für Meiningen sind im Januar eingegangen.

T. B. in Seemen. Der Vorname Karl Friedrich in dem weimarischen Oberpfarramtszeugniß über Schiller’s Tod und Begräbniß ist unrichtig; laut des Taufbuchs der Gemeinde Marbach von 1759 waren seine Vornamen Johann Christoph Friedrich. (Vergl. „Beiträge zur Schiller-Literatur“, von v. Keller, Tübingen 1859, S. 6. 7.)

E. St. in Zw. Fast jede größere Antiquarienhandlung hat dergleichen ältere und neuere Werke; der sonderbare Frager sollte doch der Redaction gegenüber so artig sein, nicht als Anonymus aufzutreten; alsdann könnte man ihm Kataloge schicken.


Berichtigung. Der Einsender einer Summe von 925 Franken (Gartenlaube 1874, Nr. 46) aus Alexandrien heißt nicht Trotzmann, sondern Karl Protzmann.


Zur Nachricht. Etwaige Beiträge zur Errichtung des National-Denkmals auf dem Niederwald sind nicht an uns, sondern an die „Deutsche Vereinsbank“ in Frankfurt a. M. zu richten, welcher Firma wir auch die früher an uns für den genannten Zweck eingegangenen Gelder haben zugehen lassen. Eine Sammlung für das National-Denkmal haben wir, um jede Zersplitterung zu vermeiden, nicht eröffnet.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_324.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)