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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


beide mit Pistolen bewaffnet. Ein Schrei, ein Zeichen meinerseits, und ich war ein Kind des Todes. Zwar wußte ich, daß unten meine Leute auf mich warteten und daß mein Tod augenblicklich gerächt werden würde, aber dies war doch nur ein schlechter Trost. Was thun? Jenen unten ein Zeichen geben, war nicht rathsam und hätte die Katastrophe nur beschleunigt. Ich sammelte also all’ meine Willenskraft und setzte mich, so kaltblütig, wie nur irgend möglich, auf einen Stuhl, fix und fertig mit meinem Schlachtplane. So viele Minuten ich hier brauche, um Ihnen die Sache zu erklären, so viele spielte die Affaire im Ganzen. Alles folgte blitzschnell aufeinander.

‚Schöne Gauner seid Ihr!‘ erwiderte ich spottend. ‚Recht nette Geschäftsleute! Aber ich hätte dergleichen erwarten sollen, als ich mich mit Euch einließ. Jetzt, wo Ihr das Geld aus mir heraushabt, wollt Ihr mich um meinen Gewinnst betrügen. Nun wohl, es sei! Hier habt Ihr Euer Geld zurück!‘ Damit warf ich ihnen den Ballen, den ich stets bei mir in der Tasche hatte, vor die Füße. ‚Seid froh in dem Bewußtsein, mich übertölpelt zu haben!‘

Die Wirkung meiner Worte war eine magische. Verdutzt schauten sich die beiden Spitzbuben an. Ich aber verfolgte rasch den errungenen Vortheil. Entschlossen stand ich auf. Ich sah, ich war gerettet.

‚Oeffnet die Thür jetzt und laßt mich gehen! Ich habe nichts mehr mit Euch zu schaffen,‘ herrschte ich sie barsch und im Tone des gekränkten Biedermannes an.

Jetzt kam die Reihe des Triumphirens an mich.

Dem Gefühle der Verdutzung folgte das der Beschämung, einen dummen Streich gemacht und sich mit ihrem besten Geschäftsfreunde überworfen zu haben.

Fast mit Gewalt drangen sie mir meine falschen Banknoten wieder auf und baten mich um des Himmels willen, ihnen doch zu vergeben. Lange sträubte ich mich, endlich aber gab ich nach, da ich meinen Plan, die Platten zu erhalten, noch nicht durchgeführt hatte. Die Nacht verbrachte ich mit den Burschen, die von nun an blindes Vertrauen in mich setzten, indem wir von einem Spielhause in das andere zogen.“

Van Boskirk wischte sich den Schweiß ab, der ihm bei der Erinnerung an diese Scene auf die Stirn getreten war.

„Nun? Und das Ende?“ fragte ich.

„Das Ende? Wie abgemacht übergaben sie mir in New-Orleans die Platten. Nach dem Reste der Bande zu forschen, hatte ich nach diesem kleinen Erlebnisse aufgegeben. Mein Leben war mir doch zu lieb. Deshalb begnügte ich mich mit den Platten. Ich legte ihnen die bedungene Summe auf den Tisch. Doch ehe sie dieselbe nehmen konnten, trat ich ihnen mit der gespannten Pistole entgegen, während auf meinen schrillen Pfiff meine Leute eindrangen. Es war auch dies nicht ganz gefahrlos, denn der eine hatte schon sein Pistol gezogen, wurde aber schnell entwaffnet. Beide wurden auf vierzehn Jahre eingesperrt.“

„Also“, beendete er seine Erzählung, „es giebt für uns nur eine Regel: ‚Laß Dich nicht verblüffen!‘ Wie man verloren ist, wenn man einer wilden Bestie nur die geringste Furcht im Auge zeigt, wo ein Zittern der Wimper zum Untergange führen kann, so ist es auch in unserem Berufe. Ein wenig moralischer Muth thut viel. Unterdessen stelle ich mich mit den Hallunken auf einen möglichst guten Fuß und – habe stets meinen Revolver in Bereitschaft. Apropos,“ fuhr er fort, „haben die Herren sich mit Revolvern versehen?“

Als wir dies bejahten, entgegnete er, es wäre nicht gerade absolut nöthig, aber gut sei es doch immerhin, wenn man einen „verläßlichen Freund“ bei sich habe.

Unterdessen hatten wir unsere erste Station, Water-Street, erreicht. In derselben, wie in der angrenzenden James-Street und Cherry-Street, befinden sich eine Menge Schifferkneipen, gemeine Spelunken niedrigster Sorte, in denen der Matrose seinen Vergnügungen nachgeht. Wir zählten allein in Water-Street deren gegen dreißig.

Diese Localitäten sind alle nach der Straße zu offen. Eine grüne Jalousie, die jedoch unverschließbar und durch einen leichten Stoß zu öffnen ist, schließt die Blicke der Passanten aus. Aus dem Innern der Räumlichkeiten ertönt eine haarsträubende Musik, meist aus Harfe oder Banjo, Geige und Trompete oder Pickelflöte bestehend. Dazwischen erschallen laute Jauchzer, Schreie und Flüche in allen erdenklichen Sprachen.

Wir waren eben im Begriff, in eine dieser Localitäten zu treten, als dieselbe von innen mit großer Gewalt geöffnet wurde und ein englischer Matrose mit fabelhafter Geschwindigkeit hervorstürzte. Augenscheinlich war er durch einen wohlgezielten Tritt auf den Schwerpunkt seines Rückens so telegraphisch schnell befördert worden, daß er unserem Polizeiagenten mit seinem Kopfe, wie eine wohlgezielte Bombe, gerade vor den Bauch fuhr und diesen um ein Haar umgerannt hätte. Von unsichtbarer Macht dem Matrosen nachgeschleudert, kam der Hut hinterdrein geflogen. Mit ein paar freundlichst in der Eile ausgetauschten Flüchen trennten sich die beiden in einander gerannten Fahrzeuge wieder, und wir segelten in das feindliche Lager, indem unser Begleiter sich noch immer den Magen rieb.




Ein Pionnier deutscher Kunst.


Niemals hatte das königliche Theater von St. James in London eine so glänzende Gemeinde in seinen Räumen versammelt gesehen, als am 2. Juni 1852. Die Königin Victoria war anwesend mit ihrem Gemahle, dem Prinzen Albert, und mit der Herzogin von Kent. Rings um sie reihten sich die Spitzen der britischen Aristokratie, schwere, alte Namen, wunderbare Titel und Würden, daneben reizende Frauen, Alles in festlichen Kleidern, ein glänzend bunter Anblick. Aber nicht blos Hoheit und Rang der Lebensstellung fesselten die Augen der Kundigen, auch die Aristokratie des Geistes und der Kunst war repräsentirt in ihren hervorragendsten Vertretern. In den „Private boxex“ des „Pit Tier“ saßen neben einander Chevalier Bunsen und Lord Egerton Ellesmere, Macaulay und Carlyle, Julius Benedict und Staudigl, Charles Dickens und Thackeray, am zahlreichsten aber waren zu schauen die Jünger der dramatischen Kunst, welche reservirte Sitze im „Dress Circle“ einnahmen. Die berühmtesten englischen Schauspieler hatten sich ein Stelldichein gegeben: M. Ch. Young, der beste seit den Tagen John Kemble’s, Ch. Kean, Miß Helen Faucit, die bedeutendste Trägerin der Rolle der Ophelia, Ch. Kemble, Mrs. Martin, Miß Fanny Kemble, Sartoris, Mrs. Martin, Bartley, der große Polonius, Mr. und Mrs. Cooke, Mr. und Miß Walter Lacy, Addison, Anderson u. A. mehr. Frankreich war vertreten durch Levassor, die Rose-Cheri, Numa, die St. Georges, Lafont etc., Deutschland durch Johanna Wagner, die Pianistin Wilhelmine Clauß – kurz, es war hier ein Parterre von Königen und Königinnen der Kunst versammelt. Der Vorhang rauschte in die Höhe: die Muse trat vor, im Gewande der Germania, den Eichenkranz im gelösten Blondhaar – und – zum ersten Male auf einer britischen Bühne – deutsche Laute schlugen tönend, Vielen fremd, an das Ohr der Zuhörer. Der Prolog begrüßte weihevoll Alt-England, seine kunstsinnige Herrscherfamilie und das stammverwandte Volk. Dann drückte der Sprecher des Prologs einen Lorbeerkranz auf Meister William’s Haupt, dessen Büste zwischen denen Goethe’s und Schiller’s die Bühne zierte. Das „God save the Queen“ fiel rauschend ein, und darauf leitete Beethoven’s wunderbare Ouvertüre das eigentliche Spiel des Abends ein. Man gab den „Egmont“, die erste Darstellung des Gastspiels deutscher Bühnenkünstler in Großbritannien. Der Erfolg war ein ungeheurer, das Publicum enthusiasmirt bis zur Raserei; es regnete Kränze und Bouquets; die Hervorrufe bei offener Scene wollten kein Ende nehmen. Am andern Tage waren alle Zeitungen voll von den Leistungen der Gäste. Die „German plays“ waren das Ereigniß des Tages geworden; die deutsche Kunst hatte einen der größten Triumphe gefeiert.

Sie hatte damit zurückzuzahlen begonnen, was sie vor nahezu zwei Jahrhunderten empfangen. Englische Komödianten waren es bekanntlich gewesen, welche in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts in Holland und Deutschland das Schauspielwesen zuerst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_368.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)