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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Noch Eines,“ fuhr Hulda fort. „Ich suchte meinen Vater, um von ihm selbst Aufklärung über dieses Schreiben zu verlangen. Auf dem Wege hierher habe ich unseren erlauchten Herrn gesehen. Erlaucht schien nach diesem Garten gehen zu wollen.“

„Wie? Mein Bruder?“

„Ja, Erlaucht werden in wenigen Augenblicken hier sein. Die Besichtigung des jungen Pferdes in der Reitbahn kann nur kurze Zeit dauern.“

„Nehmen Sie auch hierfür meinen besten Dank, doch gestatten Sie zugleich, daß ich mich schleunigst zurückziehe, um – ja, um die Vorbereitungen zum Empfange meines Bruders zu treffen.“

Die junge Dame verließ nach einer tiefen Verbeugung das kleine Vorzimmer, die Comtesse aber kehrte mit hastigen Schritten in das Innere des Pavillons zurück.

„Sie dürfen zu meinem Bedauern hier nicht bleiben,“ sagte sie zum Junker und seiner Dame gewendet. „Wie ich höre, kommt mein Bruder. Wenn er Sie hier trifft, so ist unser ganzer Plan gefährdet.“

„Aber wohin sollen wir fliehen, Erlaucht? Ich sehe keinen Ausweg.“

„Geschwind in meine Küche!“ drängte Frau Weiß. „Wenn dann unser Herr hier im Zimmer ist, führe ich Sie hinten hinaus, und Sie gehen auf der Walltreppe aus dem Garten. Sobald die Herrschaften in Sicherheit sind, lasse ich ein Blechgeschirr in der Küche fallen. Erlaucht wissen dann, daß die Flucht gelungen ist. Nur geschwind!“

Es bedurfte keiner weiteren Mahnung zur Eile, denn schon ließ sich ein fester Schritt draußen auf dem knirschenden Kieswege vernehmen, und kaum hatte sich die Küchenthür hinter dem jungen Paare geschlossen, als auch schon der Graf, von seinem getreuen Tyras gefolgt, den Pavillon betrat.

„Guten Tag, Lottchen!“ sagte er, indem er der Schwester die gebräunte Hand entgegenstreckte. „Darf ich mich auch heute zum Kaffee bei Dir einladen, oder wird Deine Frau Weiß über diese Ueberrumpelung allzusehr zanken?“

„Welche Frage! Du bist mir, wie immer, willkommen, Max,“ entgegnete die Comtesse, die sich rasch gefaßt hatte. „Aber bitte, rufe Deinen Hund von der Küchenthür zurück, daß er mir nichts von meinen kleinen Herrlichkeiten umwirft und verdirbt.“

„Hierher, Tyras, und leg’ Dich! Was hast Du an der Thür zu schnuppern? Nimm’s nicht übel, Charlotte, daß ich den Hund mitbringe! Du weißt –“

„Daß Du nicht ohne Deinen Tyras leben kannst. O ja, das weiß ich.“

„Weißt Du auch, worüber ich mich gerade jetzt wundere?“ fuhr der Graf nach einem raschen Blicke durch das Fenster fort. „Ueber Deine Prophetengabe, Lottchen. Ich sehe dort das Kaffeegeschirr für mehrere Personen. Wie hast Du ahnen können, daß ich kommen würde? Oder erwartest Du andere Gäste?“

„Ich erwarte jetzt Niemand mehr. Ich dachte nur, Du könntest Deine heutige Ablehnung bereuen, und so ließ ich den Kaffee auch für Dich bereiten.“

„Aber ich sehe da drei Tassen, Lottchen.“

„Fräulein von Straff wird Dir begegnet sein. Sie litt an Migräne und kann mir deshalb nicht Gesellschaft leisten.“

„Vortrefflich! Ich liebe dieses hochmüthige, ewig eiskalte und steife Fräulein ebenso wenig, wie etwa unsere hochnäsige Frau Oberlandjägermeisterin. Ich bin dem Fräulein allerdings begegnet. Sie schien mir in einer Laune zu sein, die weitaus nicht so rosenfarben war, wie das Papier in ihrer Hand.“

„Hast Du das auch bemerkt? Gerade dieses Papier ist der Grund ihres Mißmuthes,“ erklärte die Comtesse, während der Graf die silberbeschlagene Meerschaumpfeife aus dem bekannten Winkel nahm und ruhig zu stopfen begann. „Denke Dir nur, ihr Vater hat trotz seines vorgerückten Alters um ein junges bürgerliches Mädchen angehalten und sich dabei verdientermaßen einen Korb geholt.“

„Wär’s möglich!“ rief der Graf lachend. „Und wen gedachte er mit seiner gewaltigen Hand zu beglücken?“

„Die Tochter des Domänenraths Hartmann.“

„Ei, seht mir den alten schlauen Burschen! Er hätte, wenn ihm der Plan geglückt wäre, ein wahrhaft fürstliches Vermögen erheirathet.“

Der Graf war während dieser Worte mit dem Stopfen der Pfeife fertig geworden und schritt nun nach der Hinterthür des Pavillons, um sich nach seiner Gewohnheit eine Kohle vom Heerde geben zu lassen. Da hielt ihn mitten auf dem Wege die Stimme der Schwester fest.

„Lieber Max!“

„Nun, Lottchen?“ fragte er zurück.

„Wirst Du mir heute ausnahmsweise den Gefallen thun, nicht im Pavillon zu rauchen? Ich habe mich ein wenig erkältet und könnte heute den Dampf nicht wohl im Zimmer ertragen. Rauche später im Freien! Willst Du?“

„Natürlich will ich, denn Du bist hier die souveräne Herrin,“ sagte der Graf, indem er die Pfeife nicht ohne stille Verwunderung über die niemals früher beobachtete Empfindsamkeit der Schwester bei Seite stellte. Frau Weiß aber, welche die Flüchtlinge bereits in Sicherheit gebracht hatte und der kein Wort von der Unterhaltung der gräflichen Geschwister entgangen war, rieb sich in ihrer kleinen Küche seelenvergnügt die Hände.

„Wie natürlich meine Erlaucht lügt!“ murmelte sie lachend. „Wenn man’s nicht besser wüßte, so könnte man wirklich an diese asthmatischen Beschwerden glauben. Und trotzdem will sie durchaus keine Anlage zur Intrigue haben. Soll ich jetzt schon das Zeichen geben und die spannende Scene da drin abkürzen? Nein, warten wir noch einige Augenblicke!“

Der Graf hatte inzwischen aus der Brusttasche des Jagdrockes drei zusammengefaltete Papiere hervorgezogen.

„Willst Du jetzt die neuesten Berichte der Thorwachen hören, oder später?“ fragte er dann, indem er das erste entfaltete. „Zum Wasserthore herein sind heute nur zwei Equipagen in die Stadt gefahren. In der einen ist Anna Hartmann aus Brandenfels gekommen, um ihrer Tante einen Besuch zu machen, in der zweiten der Weinreisende Seeligmüller. Vom Oberthore –“

„Welchen Muth diese Reisenden haben!“ warf die Comtesse ein. „Bei dem Zustande aller Wege in unserer Grafschaft riskiren sie doch stets ihre gesunden Glieder.“

„Hm hm,“ hüstelte der Graf. „Wieder einmal das alte Lied. Wir haben kein Geld zu Wegbauten.“

„Wir müßten es aber haben und wir hätten es sicher, wenn nur unsere Güter ein wenig besser verwaltet würden.“

„Bist sonst ein ganz verständiges Frauenzimmer,“ entgegnete der Graf, „aber diese Dinge verstehst Du nicht. Deine Abneigung gegen den Präsidenten verblendet Dich so sehr, daß Du seine guten Eigenschaften nicht bemerkst. Ich aber mag die Menschen nicht leiden, die alle vier Wochen ihre Hunde und ihre Diener wechseln.“

„Ich liebe den Herrn von Straff nicht, das ist wahr,“ gestand Charlotte. „Aber meine nur zu wohlbegründete Abneigung würde mich dennoch nicht bewegen, ihm entgegenzutreten, wenn ich ihn wirklich für Deinen treuen Diener hielte.“

„Das ist er. Er ist mir fast so treu wie diese Dogge,“ entgegnete der Graf, indem er den Kopf seines Hundes klopfte und streichelte.

„Und ich halte ihn für Deinen und des Landes bösen Genius,“ entgegnete die Comtesse. „Er würde sicher noch viel mehr schaden, wenn Du selbst nicht bei allen Deinen Schwächen so brav und so herzensgut wärst.“

„Du bist heute schlechter Laune, Charlotte,“ sagte der Graf ein wenig verstimmt. „Es ist also wohl am besten, wenn ich gehe, obwohl ich zu Deiner Unterhaltung mir noch die neuesten ganz ungeheuerlichen Jagdabenteuer unseres Oberlandjägermeisters notirt hatte.“

Noch vor wenigen Augenblicken wäre der angekündigte Entschluß des Grafen seiner Schwester, die vor innerer Seelenangst wegen etwaiger Entdeckung ihrer Flüchtlinge fast verging und sich deshalb wirklich in überreizter Stimmung befand, sehr erwünscht gewesen. Aber gerade jetzt gab Frau Weiß das verabredete Zeichen und damit ihrer Gebieterin die Ruhe zurück. Charlotte faßte deshalb den Arm ihres Bruders und zog ihn, nachdem sie auch seine Meerschaumpfeife an sich genommen hatte, mit sanfter Gewalt hinaus in den Schatten der Ulmen und Kastanien an den dort hergerichteten Kaffeetisch.

„Bitte, lieber Max, laß mich auch einmal von ernsteren Dingen reden!“ bat sie dann, sobald die Tasse des Grafen gefüllt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_394.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)