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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


den blauen Himmel abzeichnet. Unmittelbar an den See schließen sich gegen Osten und Westen sanfter geformte und vielfach gefaltete Thonschieferberge an, welche trotz ihrer nicht unbeträchtlichen Höhe bis zum Gipfel mit grüner Rasendecke überzogen sind und mit ihren schattenden Wäldern am Fuße zu den ernsten und gewaltigen Hintergründen in angenehmem Gegensatze stehen. Die „Gartenlaube“ brachte in ihrem letzten Jahrgange (Nr. 46) eine gelungene Darstellung des Sees und seiner Umgebung in Bild und Wort.

Die Landstraße zwängte sich nun nahe dem Flecken, welcher der Hauptort eines großen Bezirkes ist und dem See den Namen giebt, zwischen diesen und die schroff abfallenden Thonschieferschichten, und hier erblickte der Ankommende, wo sich nur immer Raum bot, bald einzeln, bald in ganzen Reihen, Feuer an Feuer mit darüber befindlichen Kesseln, um dieselben aber Gruppen kochender, lagernder, schwatzender Gestalten in malerischem Durcheinander. Verwegene, gebräunte Gesichter mit spitzen Hüten, nackte Arme und zerrissene Hemden, Flicken und Lumpen in bunter Mannigfaltigkeit. – Sind es Zigeuner, die hier ihr Lager aufgeschlagen haben? Dagegen spricht ihre große Zahl, denn immer begegnen wir wieder neuen Gruppen, auch gewahren wir keine halbnackten Kinder; es fehlen ferner die mageren Hunde, mit einem Worte, der ganze Apparat eines richtigen Zigeunerlagers, und nirgends tritt aus den Reihen der Lagernden ein zudringlicher Bettler an uns heran.

Lassen wir den Postwagen die Paar hundert Schritte bis zur Station allein zurücklegen und treten näher hinzu. – „Gattina, la cara mia, fa presto!“ – „Ancora una portione di polenta, non molto!“ – „Grazie, Angelo!“ – Diese und ähnliche Ausrufe, Reden und Gegenreden sind zu vernehmen, und ein Stück von einer Rollbahn, durch das Streiflicht eines Feuers grell beleuchtet, läßt uns trotz der nunmehr völlig eingetretenen Dunkelheit nicht länger im Zweifel, was für ein Völkchen hier sein harmloses Wesen treibt. Es sind italienische Arbeiter, wie sie alljährlich zu Tausenden aus ihrem so schönen, so übervölkerten und so armen Lande über die Alpen zu uns herüberkommen, um mit ihren fleißigen Händen unsere Eisenbahnen zu bauen und durch die sauren Ersparnisse harter Arbeit ihrer bitteren Armuth zu Hülfe zu kommen. Meist aus den Ebenen der Lombardei oder den Thälern, welche in die südlichen Abhänge der Alpen einschneiden, stammend, sind diese Leute an strenge Arbeit gewöhnt und dürfen durchaus nicht mit dem lungernden Gesindel in eine Linie gestellt werden, wie es sich in italienischen Städten, namentlich des Südens, herumtreibt. Ihr einziges Bestreben ist, tüchtig anpacken, hart schaffen und sparen zu können, ihr höchstes Ziel, eine eigene Scholle mit einigen Decimalen Wein- und Maisland oder ein bescheidenes Sümmchen zu einer kleinen Handelschaft zu erwerben.

Nehmen wir uns die Mühe, die braunen Gesellen mit ihrem fremdartigen Aussehen und den stark abgetragenen Kleidungsstücken etwas näher zu betrachten, und wir werden Veranlassung finden, so manches Vorurtheil schwinden zu lassen, welches deren äußere Erscheinung nur zu leicht erregen möchte. In seinem geldarmen Vaterlande, bei der dort stellenweise zurückgebliebenen Industrie, unter dem Drucke jämmerlicher Pachtverhältnisse, ist der Ueberschuß an Bevölkerung, welcher sich unter dem glücklichen Himmel nur allzu schnell erzeugt, gezwungen, sich nach Erwerb in der Fremde umzusehen, und er thut es mit dem Vorsatze, etwas für seine bescheidenen Ansprüche an das Leben Erkleckliches mit nach Hause zu bringen. Die Bedürfnißlosigkeit theilt der Italiener mit allen Südländern. Polenta, Polenta, dieses allbeliebte Nationalgericht, dazu ein Gewand, welches gerade die Blößen deckt, eine Cigarre als Würze des Daseins hin und wieder an einem Festtage, außerdem nur, wenn sie von einem freundlichen Geber gespendet wird, für die Nacht ein Unterkommen auf Heu oder Stroh.

So trotzt er, unter milderem Himmel aufgewachsen, allen Unbilden des Wetters, schafft vom frühen Morgen bis zum späten Abende als fleißiger und geschickter Maurer oder Erdarbeiter und fördert, da er jede Arbeit in Accord nimmt und Spatenstich auf Spatenstich, Kelle auf Kelle fliegt, ungleich mehr, als sein deutscher Concurrent, der mit derberer Kost und manchem tiefen Blick in die Branntweinflasche Hacke und Schaufel um ein Häufchen Erde handhabt, als gälte es Berge zu versetzen. Daher auch der Haß und die Erbitterung deutscher Eisenbahnarbeiter gegen ihre welschen Collegen, welche so oft zu blutigen Händeln führen. Es ist derselbe Kampf, wie er jenseits des Oceans gegen die bescheidenen, aber unaufhaltsam vordringenden Kulis geführt wird und der mit einem Siege der fleißigeren Hand und des anspruchsloseren Magens enden muß. Daß unter der großen Menge der Eingewanderten einzelne schlimme Subjecte vorkommen, welche auch unter ihren Landsleuten schnell zum Messer greifen, kann nicht befremden, und es ist im Gegentheile zu verwundern, daß Excesse unter diesem heißblütigen Volke nicht öfter vorkommen, als dies in der That der Fall ist.

Die Arbeiten werden, wie erwähnt, in Accord genommen, und es vereinigen sich zu diesem Behufe mehrere Männer zu einer Art von Arbeitsgenossenschaft, an welcher hin und wieder eine verheirathete Frau und ein paar Jungen von zwölf Jahren oder darüber Theil nehmen. Kleinere Kinder und besonders Mädchen werden zu Hause gelassen, da man nur arbeitende Hände und keinen consumirenden Mund brauchen kann. Auch einen Maulesel, der sein karges Futter am Wege suchen mag, treffen wir häufig bei einer solchen Gruppe und sehen ihn unverdrossen auf seinem zweirädrigen Karren große Ladungen Sand oder Steine führen. Die Mahlzeiten versammeln alle zweibeinigen Mitglieder einer solchen Gesellschaft um den gemeinschaftlichen Kessel, nachdem das zur Bereitung der Polenta nöthige Mehl nach haushälterischen Grundsätzen in größeren Mengen aus gemeinschaftlichem Säckel angeschafft ist.

Die Bereitung des einförmigen Nationalgerichts ist eine sehr einfache. Hat man den Kessel mit etwas Wasser gefüllt, so wird er über das Feuer gestellt, eine gewisses Maß Mehl hineingeschüttet, einiges Salz dazu gegeben und diese Masse mit einem Stecken so lange umgerührt, bis sie zu einem gelblichen Kuchen erhärtet, welcher, auf ein Brett umgestürzt, von dem Senior der Compagnie mittelst eines Stückchens Bindfaden gewissenhaft in gleiche Portionen zerlegt wird. Inzwischen hat man sich gelagert, und nun greift Jeder mit den Händen zu und holt sich sein Stück Polenta, welchem er durch gleichzeitiges Abbeißen von einem winzigen Stückchen Schafkäse noch eine besondere Würze verleiht. Daneben kreist als Pokal das Wasserschäffchen von Mund zu Munde, und nach aufgehobener Tafel werden die übrigen Brocken sorgfältig gesammelt, um bei der nächsten Mahlzeit wieder verwendet zu werden. Die Polenta, wie sie sich das Volk in seiner Genügsamkeit zubereitet, schmeckt für einen etwas anspruchsvolleren Gaumen fade genug, und es verhält sich diese Speise in ihrer salonfähigen Erscheinung zum Erzeugniß der Volksküche wie die Schäferin Phyllis mit Florschürzchen und seidenen Strümpfen zu einer richtigen Almerin, welche barfüßig und in grobem Gewande einherschreitet.

Doch halt, – ein Geruch wie von schmorendem Fette lockt uns an ein anderes Feuer, und die lüsternen Blicke, welche aus den Augen des Umrührenden sprühen, lassen uns errathen, daß hier eine besondere Delikatesse zubereitet werden müsse. So ist es auch in der That, wie uns ein Blick in den Kessel lehrt, in welchem man eine in Streifchen zerschnittene Ochsenlunge oder Leber sich mählich bräunen sieht. „Hollah, braver Antonio, oder Du, wackerer Giuseppe, begeht Ihr etwa als gute katholische Christen mit also leckerem Mahle den Tag Eures heiligen Schutzpatrons?“ – Schmunzelnd wird uns eine bestätigende Antwort zu Theil, welche allein einen solchen Luxus rechtfertigt, und wir nähern uns einem dritten Feuer, an welchem wir Pilze in der Zubereitung finden. Indessen beruhigen wir uns hier gerne mit dem rechnenden Italiener in dem Bewußtsein, daß Mutter Natur diese Gottesgabe jeder sammelnden Hand unentgeltlich zur Verfügung stellt und durch diesen Umstand die Ausgabe für die Zuthat reichlich aufgewogen wird. Gewöhnlich werden drei Mahlzeiten täglich abgehalten, aber während wir glauben, dem Feiertage durch bessere Kost eine besondere Ehre erzeigen zu müssen, sagt sich der sparsame Welsche: wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, und gönnt sich, in Beherzigung der Lehre vom Stoffwechsel, an diesem Tage nur zwei Mahlzeiten.

Die Arbeitslöhne, welche nicht überall gleich sind, stellen sich in unserm Falle so, daß ein Erdarbeiter zwei, ein Maurer drei Gulden (österreichische Währung) den Tag verdienen kann. Davon gehen für Polenta vierzig bis fünfzig Neukreuzer ab, ein Preis, der sich aus dem weiten Transporte des Mehles,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_406.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)