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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Pracht und Herrlichkeit. Wie in einem tausendsäuligen Tempel reiht sich Stamm an Stamm; dicht in einander verwoben bilden die Baumkronen die Wölbung. Kein Sonnenstrahl dringt in dieses Heiligthum der Natur; selbst der Schall wird gedämpft durch die mächtigen Laubmassen; dumpfe Schwüle lagert über dem weich-schwammigen Morast, in den der Wanderer knietief einsinkt. Oft versperren riesige, halbvermoderte Baumleichen, die das Alter oder die Wuth des Orkans gestürzt, seinen Weg; knorrige Wurzeln überziehen wie riesige Schlangen den Boden, während seltsam verflochtene Lianenstämme wie Glockenstränge von der Wölbung herabhängen. Plötzlich wird die bange Stille, die diesem Dome eigen, durch ein furchtbares Gebrüll gebrochen; wie der mächtige Ton der sechszehnfüßigen Orgelpfeife dröhnt es, erst langgezogen, dann in kurzen Stößen, endlich in gedehntem Schlußton: es ist das Flußpferd, das sein Weib ruft. Staunend steht der Wanderer still; das Getöse brechenden morschen Holzwerks sagt ihm, daß das Unthier sich naht. Dort erscheint es. Mit den kurzen stämmigen Beinen im Schlamme knetend, der zur Seite aufquillt und spritzt, auf dem breiten Bauch gleitend, bewegt sich das Ungethüm dahin, den unförmlich breiten Kopf gesenkt, mit den großen, trüben „Fischaugen“ dumm vor sich hinglotzend, mit den weitgeöffneten Nüstern schnaubend wie ein Dampfpflug, zieht es eine tiefe Furche im Morast. Es watet dem nahen Flusse zu. Der mächtige, tonnenförmige, braunschwarze Körper verschwindet im dichten Ufergehölz; ein Aufbrausen des Wassers, als wäre ein Schiff vom Stapel gelassen, erschallt; dann ist’s wieder still im Urwald.

Folgt der Beobachter dem Pfade, den der Koloß gebahnt, so eröffnet sich ihm, nachdem er den Vorhang, der, aus lianendurchwebtem Laubwerke gebildet, den Urwaldtempel gegen die vom Flusse geschlagene Lichtung verschließt, gelüftet, ein wunderbares Bild. In trägem Laufe wälzt sich die trübe Fluth dahin; hier von einem gigantischen, vollkronigen Baume, der, vom Strome unterwaschen, quer in’s Flußbett fiel, halb abgedämmt, dort über schwarze Schlamm- oder gelbe Sandbänke fließend, an anderer Stelle wieder von steilen Uferwänden eingeengt, schneller und wirbelnd ziehend. Während im Innern des Urwaldes aus Mangel an Licht und freier Luft wenig Unterholz auftritt und aus dem Gewirr der Laubkronen die einzelne Schönheit sich nicht sondert, entfaltet sich hier, am Rande der Lichtung, frei und ungezügelt der Pflanzenwuchs. Es ersprießt, neben vielen andern Bäumen, die zierliche, vielstämmige wilde Dattelpalme (Phoenix silvestris), deren bohnengroße längliche Frucht den Affen eine gesuchte Speise bietet.

Himmelanstrebende Bäume mit weit ausladenden Aesten erheben sich hier und dort und unterbrechen die gerade Horizontale der Mittelwaldkronen; zierliche Schlingpflanzen spannen sich guirlandengleich von Baum zu Baum, schwebende Affenbrücken bildend; ihre Enden hängen herab und schaukeln, graziös vom Winde bewegt; mancherlei Büsche mit meist feurigroth- oder gelbleuchtenden Blüthen, oft auch mit einem zart lila Blumenflor, wachsen auf dem Rande der Flußböschung; dicht am Wasser jedoch, im schwarzen, zähen Schlamme, entfaltet die kopfgroße Zwiebel eines lilienartigen Crinum seine schneeweißen, von rosa Adern durchzogenen Kelche aus hellgrüner Rosette breitschwertförmiger Blätter. An Farbe jener Blume täuschend ähnlich, steht unbeweglich der Silberreiher. Er harrt der Krabben und Fische, die sich ihm unachtsam nähern. Andere Stellen des Ufers sind von weiten Schilfhorsten bestanden, die oft in das seichte Flußbett hineinwuchern und in ihren wogenden Massen dem Wasser gleichen, in dem sie sich spiegeln. So ist der Palast des Flußpferdes beschaffen. Laßt uns sehen, wie es darin haust!

In Familien von oft zwanzig Gliedern – die Weiber und die heranwachsende Jugend sind dem Familienhaupte unterthan – behaupten sie ein bestimmtes Revier im Flusse, Sumpfe oder Meere, in welch letzteres sie oft meilenweit hinausziehen. Ein einzelnes Thier hielt sich sogar lange Zeit am Nordende Sansibars auf, muß also wohl den breiten Meerarm zwischen dieser Insel und dem Festlande überschwommen haben. Uebrigens saufen die Flußpferde das Meerwasser nicht, finden auch wohl schwerlich in Algen oder anderen Seepflanzen Nahrung, sondern begeben sich jede Nacht an’s Land, um ihre Vorrathskammer, den geräumigen Magen, zu füllen. Auch die, welche das Brack- und Süßwasser zu ihrem Aufenthalte bei Tage gewählt – und letztere sind bei Weitem die meisten – fressen wohl nur bei Nacht; wenigstens gewahrte ich nie ein Thier auf der Weide, so lange die Sonne am Himmel stand. Sie kehren vielmehr nach nächtlichem Mahle mit dem ersten Morgenroth in ihr nasses Versteck zurück.

Eine solche schwimmende Heerde gewährt dem „stillen Beobachter“ ein höchst anziehendes Bild: bald taucht der Kopf des einen, bald der des andern aus dem trüben Wasser auf, schnaubt einen feinen Wasserstaub, der in der Sonne Regenbogenfarben bildet, aus und schleudert mit schneller, fast zitternder Bewegung das Wasser aus den kleinen Ohren. Von der Seite betrachtet ähnelt er in diesem Augenblicke einigermaßen einem Pferdekopfe (besonders da der unförmliche, massige Unterkiefer bis zum geschlossenen Maule im Wasser verbleibt), weshalb das Thier wohl seinen in jeder andern Beziehung so schlecht passenden Namena „Hippopotamus“ (Flußpferd) erhalten. Es schaut und horcht umher, grunzt befriedigt vor sich hin oder macht seinem Herzen in einem tiefen Liebesseufzer Luft, dem eine seiner Ehehälften antwortet, schwimmt träge eine kurze Strecke stromauf oder stromab, holt tief Athem, schließt die klappigen Nasenlöcher und sinkt wie Blei unter, um nach ungefähr einer halben Minute abermals zu erscheinen, entweder (wie in stehendem Wasser) an derselben Stelle, oder (wie im Flusse) etwas abwärts getrieben.

Die heranwachsenden Jungen halten sich stets in der Nähe der Mutter und ahmen, wenn auch anfangs etwas ungeschickt, deren Bewegungen nach. In der allerfrühesten Jugend jedoch, wenn die Beinchen noch zu schwach, um ihre Pflicht zu thun, liegen sie wie in einer Wiege auf Kopf und Hals der Mama, sich mit den Füßen vor und hinter den Ohren derselben festklammernd. So sind sie zugleich gegen jede Gefahr geschützt. Wehe dem Krokodil, wenn es sich, lüstern auf das zarte Fleisch des Säuglings, heranschleicht; das nahe, furchtbar bewehrte Maul der Mutter würde das „Teufelsvieh“ zweitheilen wie eine Sardelle. Zeigt sich in der Entfernung ein Kahn der badenden Heerde, oder erschallt irgend ein ungewohntes Geräusch, so entsteht große Unruhe. Höher und öfter erheben sich die Köpfe aus dem Wasser, ängstlich und doch zugleich wüthend geschüttelt, mit starkem Stoße, begleitet von grimmigem Knurren, spritzt das Wasser in hohem Strahle aus den Nüstern, die Jungen drängen sich an ihre Mütter, welche, wie die andern, die tiefsten Stellen des Flusses aufsuchen. Ist die Gefahr festgestellt und nähert sie sich, so werden übrigens die Unthiere sehr kleinlaut; immer seltener erscheint eines, zuletzt nur noch der Alte, bis auch ihm schließlich ungemüthlich zu Muthe wird. Unter dem Wasser, auf der Sohle des Flußbettes im Schlamme watend, fliehen die Thiere; aber nur langsam bringen sie den gewaltigen Tonnenleib von der Stelle. Da die vor dem Untertauchen eingenommene Luft nun nicht lange[1] vorhält, so sind die Thiere wohl oder übel gezwungen, sich dem Wasserspiegel zu nähern und wenigstens ihre Nase der Gefahr auszusetzen. Mit erstaunlicher Schnelligkeit ziehen sie dieselbe nach eiligem Luftschnappen aber wieder hinter die Wassercoulisse zurück.

Da die Unthiere im schlammgetrübten Elemente nicht genau zu sehen vermögen, so will zuweilen der böse Zufall, daß gerade über der Stelle, an der sie auftauchen, der schmale Baumkahn des Negers gleitet, der dann auch gewöhnlich an diesem Fleischriff scheitert, das heißt von ihm umgestürzt wird. Nicht weniger erschreckt aber, als der Schwarze, der eilig durch Wasser und Schlamm dem Ufer zuzappelt, ist dann auch gewöhnlich das Flußpferd; augenblicklich verschwindet es und nur ein kräuselnder Wellenstreif zeigt, wie es sich spornstreichs davon macht. Es giebt übrigens alte griesgrämliche Flußpferde, die, durch eine „jüngere Kraft“ verdrängt, von ihrer Familie verstoßen und einem Lear gleich, einsam umherirren, ihrem Groll nachhängen, alle Manier außer Acht lassen und Jeden, der ihren Weg kreuzt, grimmig anschnaufen. So begegnete es uns, als wir mit Herrn Hagenbeck aus Hamburg, von Juni bis September 1873 in den Gebieten des Kingani- und Wámiflusses reisten und uns in einem vierrudrigen Boote befanden, in dem eine große Provisionskiste stand, deren Höhe das Bord überragte und auf deren Deckel unsere verschiedenen Gewehre lagen, daß ein solcher Junggesell,

  1. Die längste Zeit, die ein Hippopotamus unter dem Wasser ausharren kann, übersteigt nach meinen Beobachtungen nicht vier Minuten, und selbst dieser Zeitraum wird nur in der höchsten Angst ausgehalten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_420.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)