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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


stimmte, war das Gesicht des Alten, das in seiner lebensfrischen Heiterkeit nichts davon zu wissen schien, daß auf dem Scheitel über ihm schon lange der Schnee jenes Winters lastete, den kein Frühling wieder zu schmelzen vermag.

Es war der Hochzeitlader der Gegend – ein Mann, der als ein jüngerer Sohn seines Hauses den Feldzug nach Rußland mitgemacht, aber nichts zurückgebracht hatte als erfrorene Zehen, ein unscheinbares Kreuzlein aus Kanonenmetall und seine Erinnerungen, die um nichts in der Welt ihm feil gewesen wären. Mit der Bauernarbeit war es bald nicht mehr recht von der Hand gegangen; darum hatte er zu einem leichteren Gewerbe gegriffen und war Musikant geworden. Es kam ihm dabei sehr zu gut, daß er in seiner Bubenzeit das Kuhhorn zu blasen verstand; ein Hautboist, der mit ihm nach Tobolsk in die Gefangenschaft geschleppt worden, hatte die Fähigkeit an ihm entdeckt und ihn zum Trompeter ausgebildet. Als auch das Trompetenblasen nicht mehr gehen wollte, weil mit den Zähnen der Ansatz verschwand; übernahm der Trompeten-Franzel das Geschäft eines Hochzeitladers, zu dem ihn Alle für vollkommen befähigt erkannten, denn der Hochzeitlader muß ein Mann von aufgewecktem Sinne und nie versiechender Lustigkeit sein, und mit den anderen Denkzeichen hatte der Reiter aus Sibirien seinen fröhlichen Sinn ganz und unverfroren zurückgebracht. Er war deshalb überall beliebt, und wo er einsprach, empfingen ihn meist lachende Gesichter und ein freundlicher Handschlag; wußte er doch vom Kriege und seiner Gefangenschaft, von den fremden Leuten und Ländern, vom Bonaparte und den anderen Potentaten, die er gesehen, allerlei Merkwürdiges zu erzählen, was immer gut lautete, wenn man es auch schon oft gehört hatte. Außerdem war er ein lebendiges wanderndes Liederbuch; es gab kein „Gesang“, das in der Gegend jemals beliebt gewesen, das er nicht neben der Singweise kannte, wenn es noch so viele „Gesätzel“ hatte, und von den vielzeiligen Lust- und Trutzreimen, die Schnaderhüpfel genannt werden, war er so vollgepfropft, daß er bei jedem Anlaß irgend einen zur Gelegenheit passenden vorzubringen wußte.

Eine andere, nicht minder seltene Kenntniß verschaffte ihm vieles Ansehen und manche nicht unbelohnte Anfrage, war ihm aber auch vielfach zur Quelle des einzigen Aergers geworden, der seinen heiteren Lebensabend umwölkte. Durch lange Beobachtung und ein treffliches Gedächtniß hatte er sich alle sogenannten Bauernregeln zu eigen gemacht, welche der hundertjährige Kalender enthält und in denen das Landvolk damals, wie noch jetzt, die unfehlbaren Anhaltspunkte erkannte, nach denen im Hause gewaltet und in der Wirthschaft geschaltet werden muß, damit sie gedeihen; mit diesen war er jederzeit schlagfertig zur Hand, gerade diese Schlagfertigkeit aber war die Veranlassung, daß ihm einige übermüthige Bursche den Spott- oder Spitznamen „das Wettermann’l“ gaben, der ihm fortan trotz alles Abwehrens und Schüttelns wie eine Klette anklebte und ihn verfolgte, gleich einem spöttischen Widerhall.

Der Hochzeitlader hatte sich endlich satt gesehen. Er wandte sein Rößlein und ließ es langsam und sorglich den etwas steil und steinig ansteigenden Hohlpfad zum Schlösselbauernhofe hinantraben; war es doch nicht sein Eigenthum, und es würde ihn in bösen Ruf gebracht haben, wenn dem schönen Thiere auf seinem Umritte etwas zugestoßen wäre. Es war nämlich Brauch, daß der Bräutigam, zu dessen Hochzeit eingeladen werden sollte, dem Hochzeitlader das beste Pferd aus seinem Stalle gab; aus der Trefflichkeit desselben und dem Reichthum seines Schmuckes konnte sogleich und voraus die Wichtigkeit und Bedeutung der Hochzeit so wie die Wohlhabenheit des Brautpaares entnommen werden.

„Schau, da komm’ ich einmal gerade recht,“ brummte der Hochzeitlader vor sich hin, als er den Hof selbst erreicht hatte, „da ist das Schweizerwägerl des Bauern schon aus dem Schupfen herausgeschoben. Er wird wahrscheinlich auch nach Diessen hinauffahren zum Markte; wenn ich mich ein Bissel versäumt hätte, hätt’ ich ihn nicht mehr getroffen, jetzt aber ist er gewiß zu Haus und kann mir nicht auskommen. Richtig, da steht er ja schon auf der Gräd’,“ setzte er mit sichtbarem Vergnügen hinzu, „und hat schon das ganze Sonntagsgewand an …“

Er zog die Zügel des Pferdes an, daß es, den Kopf erhebend, mit zierlich tänzelnden Füßen sich den Stufen näherte, wo er grüßend den Hut zog und mit freudiger Miene gewahrte, wie sehr er willkommen war, denn der Mann auf der Gräd schien ihm zuzunicken und mit dem Arme zu winken. Er hatte wohl Ursache sich dieses Entgegenkommens zu freuen, denn in der Regel wollte die Sitte, daß der Gast, welcher zur Hochzeit geladen werden sollte, sich nicht gleich finden ließ und wohl gern, um die Sache anziehender zu machen, aus dem Hause entfloh, oder sich darin versteckte, dem Hochzeitlader die angenehme Mühe bereitend, alle Winkel und Behältnisse, vom Speicher bis zum riesigen Krautfaß durchsuchen und den flüchtigen Schäker mit ungeheurem Jubel und Spaß entdecken zu müssen.

Auf dem Schlösselhofe schien ihm diesmal die Mühe erspart; mit lauter Stimme begann er daher seinen Ladespruch, ohne das Mädchen zu beachten, das, einen Melkkübel voll Milch auf der Schulter tragend, um die Hausecke gekommen war und, an derselben stehen bleibend, dem Beginnen des Alten mit Verwunderung und einer Miene zusah, in welcher die Fröhlichkeit jeden Augenblick in lautes Lachen auszubrechen drohte.

Das Mädchen wäre wohl der Beachtung werth gewesen – mit ihr hatte sich das anmuthige Bild, welches der Schlösselhof bot, erst vollendet und abgeschlossen – der schönen leblosen Natur hatte ein schönes Menschenleben gefehlt, und dies konnte kaum in anmuthigerer Gestalt erscheinen als in dieser. Groß und kräftig gebaut, hatte das Mädchen doch nicht das mindeste Plumpe oder Schwerfällige an sich, und die Art, wie sie mit dem vollen luftgebräunten Arme den Milcheimer auf der Schulter hielt, während der andere sich gefällig auf die schwellende Hüfte stützte, hätte vielleicht manchen Bildner zur Nachahmung begeistert oder an ein schönes Muster aus alten Zeiten erinnert.

Diese Erinnerung wäre auch nicht gestört worden, weder durch den schlanken Hals, auf dem sich das Oval des Kopfes wiegte, noch durch die reichen, in Zöpfen und Knoten um denselben geschlungenen lichtbraunen Haarflechten. Minder vielleicht hätte einem solchen Beobachter das Angesicht selber entsprochen: es hatte ein für einen Mädchenkopf vielleicht zu starkes Gepräge der Entschiedenheit, doch leuchteten in ihm ein Paar blaue Augen voll so milder Güte, daß ihr Glanz ausreichte, die strengeren Linien der Stirn und Nase vergessen zu machen. Es war deutliche Schrift in diesen Zügen – ein harter eigenwilliger Sinn, aber ein weiches hingebendes Herz. Das Gewand, das sie trug, war das bäuerliche der Gegend, aber es war nicht viel davon zu gewahren; eine breite Vor- und Rückschürze von grobem Zwilch war darüber gebunden. Offenbar war die Trägerin zum Ausgange bereit und hatte, um den Anzug zu schonen, dieselbe bei der wirthschaftlichen Arbeit übergeworfen, die ihre häusliche Sorgfalt keiner Andern überlassen wollte.

Der Hochzeitlader begann – ein frischer Windzug jagte ihm das weiße Haar auf dem entblößten Kopfe durch einander, und der Mann auf der Gräd winkte lebhaft mit dem Arm.

„Gelobt sei der Herr und benedeit!
Er behüt’ und segne zu aller Zeit
Dieses christliche Haus bei Nacht und Tag
Vor wildem Feuer und Hagelschlag,
Vor Krieg und Pest und vor Hungersnoth,
Das ist mein Gruß und –“

Der Alte brach ab und wandte sich erzürnt um; das Mädchen hatte seine Lustigkeit nicht länger zu bewältigen vermocht – sie lachte hell und herzlich auf, daß sie den schwankenden Milcheimer von der Schulter nehmen und auf das Geländer stellen mußte.

„Was ist denn das für ein neuer Brauch,“ rief er unwillig, „daß man den Hochzeitlader in seinem Spruch unterbricht und noch gar auslacht?“

„Aber so schau Dich nur einmal recht um, Du blinder Six!“ antwortete noch immer lachend das Mädchen. „Mit wem red’st Du denn? Wem hast Du denn Deinen Spruch sagen wollen? Es ist ja gar kein Mensch da, und das dort ist dem Schlösselbauern sein Sonntagsgewand, das ich aufgehängt hab’ zum Auslüften, weil er heut nach Diessen fahren will, auf den Markt …“

War dem Alten schon die Unterbrechung zuwider gewesen, so war die Aufklärung vollends nicht geeignet, seinen Unmuth zu verscheuchen; war doch seine abnehmende Sehkraft die einzige Schwäche, die ihn manchmal empfindlich an seine Jahre mahnte und die er daher auf’s Sorgfältigste zu verbergen bemüht war. Daß er nun einen solchen Verstoß gemacht, das aufgehangene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_446.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)