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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Spiel, das waren die Kleinode, welche ihm die Götter anvertraut. Diese wollte er hüten und zeigen, nicht andere erbeuten. Darum ist er auch nie, wie die meisten andern Dichter so oft, auf poetische Abwege geraten; er hat nichts versucht, wozu ihn nicht die innere Stimme berufen, und hat die edlen Muster bei Griechen, Römern und Deutschen mit sicherem Blicke erkannt und immer wieder sich vorgehalten. Auch der Stunde nahm er treulich wahr, wo der Geist des Gesanges wirklich über ihn kam. Monate, Jahre konnten vergehen, wo er keine Zeile gedichtet, und wahrlich diese „Bequemlichkeit“, wie man es da und dort wohl nannte, ist verehrungswürdiger als der „Fleiß“ und die „Fruchtbarkeit“ vieler anderer Dichter.

So hatte er der Rebe gleich wenig sonnige, gesegnete, mehr dürftige, magere Jahre. Daher aber auch die lichte Farbe, der edle Duft, das erwärmende Leben des Weins, den er uns spendet. Was sein Lied singt und sein Mund erzählt, das paßt und klappt und sitzt und trifft den Nagel auf den Kopf, ob sein Vers scherzend durch die kühle Waldung wandle oder seine Epistel launige Hiebe nach den Tröpfen führe, welche den Erdball zieren, oder sein Lied des Mädchens gedenke, das vom Liebsten verlassen ist. Denn Mörike hat nur gedichtet, wenn für die rechte Sache das rechte Lied, für die rechte Gelegenheit das rechte Gelegenheitsgedicht ihm auf die Lippen sich gelegt. Das war doppelt schön in einer Zeit, wo Alles nach Geld drängt und Alles am Golde hängt und wo auch er den Pegasus zu gewinnreichem Rennen hätte spornen und sein äußeres Loos, das bescheiden genug ausgefallen, verbessern können. Er that es aber nicht, weil sein ästhetisches Gewissen – und das war sein Alles – es nicht erlaubte und sich lieber, als die landläufige Entweihung der Poesie, die Sorge gefallen ließ, welche ihm nahte, wenn das letzte Geld ausgegeben war. Er war auch in dieser Beziehung ein harmloses Kind und hat manche Aehnlichkeit mit seinem Mozart, wie er ihn in der köstlichen Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“ uns vor Augen stellt.

Seine Bedürfnißlosigkeit freilich war weit größer als diejenige des Maestro und paßte auch besser zu seinen bescheidenen Einnahmen. Ein eigenes Haus mit lauschigem Garten wäre wohl seine Freude gewesen. Es war ihm nicht beschieden, und er mußte sich mit Miethwohnungen begnügen, zu welchen ihm die Freunde verhalfen. Aber auch zwischen den gemietheten Wänden und bei seinem Schälchen Kaffee wie glücklich, heiter und launig konnte er sein! Die Wenigsten mögen das bei ihm gesucht haben. Erst flog sein leichter Scherz nur dann und wann über den Tisch. Dann zuckte es um seine Lippen, und der Schalk, der ihm im Mundwinkel saß, ließ prasselndes Feuerwerk steigen. Er war dann der leibhaftige Märte seiner „Idylle vom Bodensee“, erzählte lustige Schwänke vergangener Tage und ahmte Stimme und Sprechweise von Abwesenden so täuschend nach, daß man den Nachgeahmten vor sich zu haben glaubte. Die bleibende Bewunderung früherer Schülerinnen für seine Art, Dichtungen, besonders Schauspiele vorzutragen, wird dadurch wohl erklärlich. Freilich wechselten mit solcher Laune häufige Tage, wo er in körperlichem Mißbefinden und trüber Stimmung selbst vor den Nächsten sich verschloß, oder, ganz inwendigen Träumen hingegeben, einsame Wege ging. Aber gegen Natur und landschaftliche Schönheit war er niemals gleichgültig. Oft genug blieb er auf seinem Gange wie festgewurzelt stehen. Befragt über das, was ihn festhalte, zeigte er auf einen Baum, eine Durchsicht durch den Wald, ein Stückchen Fluß.

Ein landschaftliches Vermissen war es auch, was ihn von Nürtingen hauptsächlich wieder weggetrieben. Er vermißte Wald und schattige Wege in der nächsten Umgebung der Stadt. Die vielen anderen Naturschönheiten der Gegend konnten ihm das nicht ersetzen. So zog er denn – auch durch andere Gründe mitbewogen – wieder nach Stuttgart. Manches Schmerzliche erwartete ihn noch hier. Seine Frau, mit der er lange Jahre ruhig zusammengelebt, trennte sich von ihm. Die Weichheit und Verletzbarkeit von Mörike’s Natur und häusliche Verhältnisse, die hier nicht weiter zu erörtern sind, haben zu dieser gewiß für beide Theile wehthuenden und auch für die Freunde schmerzlichen Trennung geführt. Daß einige Wochen vor dem Tode des Dichters die Gattin wieder zu ihm eilte, um ihn zu pflegen, mildert die Erinnerung an solchen Lebensabend.

Nun ist der Treffliche in die Arme des Todes gesunken; der Vergessenheit anheimfallen wird er nimmermehr. Seiner Muse ist es nicht beschieden gewesen, in raschem Triumphzug Lorbeeren zu ernten, aber nach Menschenaltern, wenn viele Sänger des Tages vergessen sind, wird sie die Freunde des Echten, und wahrhaft Schönen immer mit neuer Freude erfüllen.




Prinzessin und Kaufmann.
Eine zanzibarische Liebesgeschichte. Von J. Loewenberg.


Der Besuch der Königin von Saba bei König Salomo war seiner Zeit ein so hochwichtiges Ereigniß, daß er würdig erachtet wurde, in der heiligen Schrift registrirt zu werden. Und doch war er in Betracht der geographischen Entfernung nur ein Katzensprung gegen die Besuche, welche ägyptische, persische, indische, chinesische, japanische Potentaten und Herrschersöhne in unseren Tagen europäischen Höfen abstatten. Augenblicklich ist es der Sultan[WS 1] von Zanzibar, Seid Bargasch, der in London der Tageslöwe ist und, was ungleich mehr, dem sich die aufrichtigen Huldigungen, die schönsten Hoffnungen der Freunde civilisatorischer Cultur zuwenden.

Zanzibar, obwohl an der Schwelle, an der Küste Afrikas gelegen, begann uns erst seit wenig mehr als zwei Jahrzehnten bekannt zu werden. Es war bislang nur ein geographischer Begriff, und Fürst und Volk rangiren noch jetzt in unsern geographischen Schulbüchern auf keiner besondern Culturstufe. Um so mehr überrascht uns ein Liebesabenteuer, das hier emporgeblüht ist, und das die jetzige Anwesenheit der tropischen Majestät in London in Erinnerung gebracht hat.

Die Wasungu, das heißt die Fremden europäischen Ursprungs, bilden nur einen sehr geringen Theil der Bevölkerung von Zanzibar; bei von Decken’s Anwesenheit, 1860, waren es etwa fünfzig. Amerikaner waren die ersten, welche sich hier niederließen; ihnen folgten Engländer, Hamburger, Franzosen, als Kaufleute und Missionäre, und Alle erreichen ihre Zwecke. Die Kaufleute machen gute Geschäfte; die Missionäre haben segensreiche Wirksamkeit, und ihre Schulen werden gern besucht. England und Frankreich haben hier sogar Consulate.

Das Leben der Wasungu ist auch trotz allem Mangel an Theater und Concerten gesellig und angenehm. Sie erfreuen sich, trotz vielen bei den Arabern noch herrschenden Vorurtheilen, einer sehr angenehmen Stellung. Sie heben den Handel; dieser vermehrt die Steuern und Staatseinnahmen und – am Gelde hängt, zum Gelde drängt sich auch der Mensch in Zanzibar.

So war die Stellung der Europäer schon unter der Regierung des Vaters und des älteren Bruders „unseres“ Seid Bargasch stets eine geachtete, und sie erklärt die Freundschaftsverhältnisse und die Gunstbezeigungen, wie sie sonst in mohamedanischen Staaten fast unmöglich erscheinen.

Nicht nur der Sultan und die Würdenträger des Reichs verkehrten mit den Wasungu, auch die Damen des Hofes, namentlich zwei Schwestern des Herrschers, die Prinzessinnen Bibi Holli und Bibi Salima, zwei Stiefschwestern von einem Vater, dem vorletzten hochseligen Regenten.

Bibi Holli war die ältere.

Sie begünstigte die Fremden in huldvollster und unbefangenster Weise und verkehrte mit ihnen auf das Allergnädigste.

Eine kluge, zuthuliche Sclavin, Simakasi benamset, war in gewissem Sinne vertraute Hof- und Ehrendame, etwa wie Gräfin Mondecar am Hofe Philipp’s des Zweiten von Spanien. Sie war Vermittlerin aller Botschaften der Prinzessin. Sie war die Ueberbringerin ihrer Geschenke an die Wasungu. Kein Tag verging ohne solchen huldvollen Verkehr. Irgend eine Kleinigkeit, Blumen, Früchte, Backwerk wurden vom Harem aus in dieses oder jenes Haus gebracht und selbstverständlich andere Gegengaben zurückbefördert.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Sultau
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_492.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)