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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

stecken; er befahl auch noch, ein Vorhängeschloß herbeizubringen, das er dann eigenhändig befestigte.

Wie ein sieggekrönter Feldherr schritt er durch die staunenden Bauern hindurch seinem vorigen Platze auf dem Hausgange zu und trug dem Wirthe auf, ein Fuhrwerk herbeischaffen, um den Verbrecher noch heute in die Frohnveste des nächsten Landgerichtes zu bringen. Zugleich ließ er sich statt des Bieres eine Flasche Wein und seinem Pferde, das draußen an der Schattenseite des Hauses den Boden stampfte, noch einmal ein Maß Hafer reichen; die unausbleibliche Gratification für einen so außerordentlichen Fang ließ einen solchen Aufwand wohl erlaubt erscheinen. Bereitwilligst erschien der Wirth mit der Flasche, aber wegen des Fuhrwerks bat er um Entschuldigung: wie es um diese Jahreszeit gebräuchlich, seien alle Pferde draußen auf der Gemeinweide, und werde immerhin eine beträchtliche Zeit vergehen, bis sie hereingeholt seien.

In der Zechstube und in dem anstoßenden noch größeren Raume, der meist als Tanzboden benutzt wurde, hatten sich indessen die Gäste wieder zu Trunk und Gespräch niedergesetzt und erzählten sich von dem soeben Vorgefallenen, von den ungeheuern Verbrechen, die der Gefangene begangen habe, und wie es sonst im Lande und mit dem deutschen Reiche stehe, das nicht eher wiederkomme, als bis, wie ja aller Welt bekannt sei, die Raben nicht mehr um den Untersberg fliegen und Kaiser Karl, der darin eingeschlossen und eingeschlafen sei, sich erhebe und mit seinem eben dahin verzauberter Heere wieder in die Welt ziehe. In der großen Stube hatten sich auch die Musikanten bereits eingefunden, und zum Beginne des Loostanzes fehlten nur noch zwei Dinge: der bei solchen Anlässen immer unentbehrliche Trompeterfranzl und – die rechte fröhliche Stimmung. Wenn auch Keiner zugegen war, der den Gefangenen näher kannte oder im Leben von ihm gehört hatte, hatte doch Jeder Mitleid mit ihm, und es kam den einfachen Gemüthern vor, als schicke es sich nicht, unten zu tanzen und zu jauchzen, wenn oben ein trauriger gefangener Mensch saß, den Gefangenschaft auf Lebenszeit oder gar der Tod erwartete; besonders die Mädchen und Frauen bedauerten den jungen hübschen Menschen, der so blaß ausgesehen und so unendlich traurige Augen gehabt habe. Die Männer widersprachen nicht; sie meinten, er sei doch kein gemeiner Spitzbube, wie ein Dieb oder ein Mörder; auch mochten nicht viele darunter sein, denen es so recht klar war, worin denn eigentlich sein Verbrechen bestanden habe.

Kuni saß schweigend und mit betrübtem Augesichte neben dem Vater, den sie vergebens wiederholt um die Heimfahrt bestürmt hatte. Sylvest ging aufwartend hin und wieder; er gab sich Mühe, heiter zu erscheinen, aber unter den üblichen ermunternden Scherzreden, mit denen er die Zecher bediente, war sein Sinn bei seinem Gaste und sein Ohr auf der Straße, ob das Ereigniß, dessen er harrte, sich noch immer nicht vernehmen lasse.

Vergebens munterte der Brigadier, dem die eingetretene Verstimmung nicht entging, im Uebermaße seines Vergnügens dazu auf, mit dem beabsichtigten Tanze zu beginnen; vergebens ließ er ziemlich deutlich merken, daß man es bei Gericht sehr ungnädig aufnehmen werde, wenn man sich so viel um einen steckbrieflich verfolgten Hochverräther kümmere. Die Abwesenheit des Hochzeitladers war ein willkommener, stets bereit liegender Grund, den Beginn abzulehnen oder zu verzögern.

„Nun, wenn Ihr keinen andern Grund habt,“ rief der Brigadier, durch die Thür blickend, „dann könnt Ihr gleich anfangen und ich kann auch einmal der Loostanz mitmachen, denn heute bin ich zu Allem aufgelegt. Da kommt der Hochzeitlader in aller Hast herangelaufen und winkt Euch zu, daß Ihr Euch bereit halten sollt, das Versäumte einzuholen.“

Der Brigadier hatte recht gesehen; es war wirklich der Hochzeitlader, der durch die einbrechende Dämmerung mit eilenden Schritten heran kam; aber bezüglich des Winkens hatte er sich doch geirrt: das Winken galt nicht den Bauern, sondern ihm selbst.

„Ja, wie ist denn das, Herr Brigadier?“ rief er ihm schon über die Eingangsstufen zu. „Sie sitzen da ganz gemüthlich beim Weine, und mir ist vor dem Dorfe draußen Einer begegnet, der auf Ihrem Pferde sitzt und im Galopp davon sprengt, daß die Funken nur so herumfliegen, als wie in einer Schmiede.“

„Million-Kartätschen-Element!“ schrie der Brigadier, sprang die Stufen hinab und stand – vor dem leeren Platze, wo sein Gaul angebunden gewesen war, von einem offenen Fenster darüber hing ein aus Pferdegeschirrsträngen zusammen geknüpftes Seil herab – es war klar, der Gefangene hatte die Worte, die Sylvest ihm heimlich zugeflüstert, nur zu gut verstanden; er mußte sich leise herunter gelassen haben, hatte dann offenbar das Pferd auf dem grasigen Straßenraine geräuschlos weggeführt, in einiger Entfernung aber sich aufgesetzt und war dann im Galopp davon gesaust.

Dem Brigadier blieben vor Wuth die Flüche, die er ausstoßen wollte, im Halse stecken, es währte geraume Zeit, bis ihm die Sprache wieder kam. Er tobte gleich einem Rasenden, der Wirth sollte ihm augenblicklich ein anderes Pferd geben um den Entflohenen zu verfolgen; es war unmöglich; der Bursche, der nach ihnen geschickt worden, konnte der weiten Entfernung wegen noch nicht zurück sein.

„Es nutzt auch nichts, wenn Sie ihm nachreiten, Herr Brigadner,“ sagte der alte Bauer, der mit allen Gästen aus dem Hause nachgekommen war, „es wird schon hübsch dunkel und dürft’ schon ein gut’s Rößl sein, bis es Ihren Gaul einholt. Sie haben ihm ja selber den dreifachen Hafer geben lassen.“

„Kerl, ich glaube gar, Ihr wollt noch Euer Gespött mit mir haben?“ schrie der Brigadier außer sich. „Aber nehmt Euch in Acht! Ich mache meine Anzeige. Ihr seid Alle mit dem Verbrecher einverstanden. …“

„Oho, so was müssen der Herr Brigadier nicht sagen,“ unterbrach ihn der Wirth, gestützt auf die allgemeine Stimmung, welche das Lächerliche des ganzen Vorgangs zu fühlen begann und nahe daran war, in laute Heiterkeit auszubrechen „Ich werd’ auf’s Geschwindeste für ein Fuhrwerk sorgen, aber wir in unserm Dorfe, wir sind keine Solchen, die es mit Maleficanten und Spitzbuben halten.“

Der Brigadier antwortete nicht, sondern rannte völlig rathlos die finstere Straße dahin, als ob er den Entflohenen oder eine Spur desselben zu finden vermöchte. Alles kehrte in die Stuben zurück, wo die Lampen mit den Blechschildern dahinter bereits brannten und in der Ecke auf einem Tische die Musikanten anfingen, ihre Instrumente zu stimmen – die Last, die wie ein Alp auf allen Gemüthern gelegen, war plötzlich weggenommen, und die Fröhlichkeit konnte hervorbrechen wie ein frisches Brünnlein, dessen Quelle eine Weile verstopft gewesen. Kuni weigerte sich nicht mehr, an dem Loostanze Theil zu nehmen – daß das durch sie unschuldiger Weise veranlaßte Unheil sich doch noch zum Bessern gewendet hatte, machte sie leichter athmen; sie sah ruhig, wenn auch nicht heiter darein, und der Hochzeitlader, der sie nicht aus den Augen ließ, nickte dabei bedeutsam mit dem Kopfe. „Aha,“ sagte er vor sich hin, „steht es so mit Dir? Fängst Du schon das Kalendermachen an? – Hab’ nur noch eine kleine Geduld, nachher singt der Vogel bald in mein’ Holz – nachher wird’s bald anders ausschau’n auf dem Schlösselhofe! Was nützt mich die schönste Capellen, wenn der Heilige drin nix taugt?“ Vergnügt rieb er sich die Hände; der Plan, den er sich ausgesonnen, konnte ja gar nicht fehlschlagen – waren die beiden Feinde nur erst dahin gebracht, daß sie bei einander sein und mit einander reden mußten, wenn sie nicht großes Aufsehen und Aergerniß hervorrufen wollte, dann, meinte er, sei Alles gewonnen und werde sich das Weitere von selbst geben; man müsse es eben bei den Beiden auf eigene Weis’ anfassen, für einen närrischen Kerl gehöre auch ein närrisches Gewand.

Er ward darin auch durch Sylvest’s Benehmen und Aussehen bestärkt, der ihn vergnügt gegrüßt hatte und von der Anwesenheit seines Widerparts durchaus nicht unangenehm berührt schien; was zwischen Beiden seit seiner Entfernung vorgefallen, vermochte er allerdings nicht zu errathen, und erzählen konnte ihm Niemand, was ein unausgesprochenes, von Niemand getheiltes Geheimniß war.

Der Bursche beachtete kaum, daß auch sein Name in den schicksalentscheidenden Hut gelegt wurde; als der alte Hochzeitlader mit lustigem und listigem Lächeln auf den Tisch stieg, um

das erste Paar zu bilden, und er Kuni’s Namen rief, deren Zettel er in der Hand zurückbehalten hatte, fuhr sie wie eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_519.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)