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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Vergnügen gemacht. Ich habe ihn wenigstens zwanzigmal gelesen, was sage ich? hundertmal. Glühend habe ich das Papier geküßt, wo Deine gute und schöne Hand ruhte, um an mich zu schreiben, wo ich sicher war, daß Du an mich dachtest, dies schwere Ding zu Paris, ist es nicht so??

Ich bin entzückt, daß mir Alles so gut nach Wunsch geht, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, bald nach Paris zurückzukehren. Wir werden uns mit aller Kraft der Liebe lieben! Mein Gott, ist es denn möglich, so närrisch zu sein, wie ich es bin? Nur Du mit Deinem Geiste, mit Deiner Liebenswürdigkeit konntest mich dahin bringen. Es vergeht keine Minute des Tages, in der ich nicht an Dich denke, mein süßer Engel, an Dich allein, den ich so sehr liebe. Aber ich gehe zu weit, denn ich sage mir immer: es taugt nichts, den Leuten zu sagen, wie sehr man sie liebt. Doch Du bist vielmehr ein Engel, und so will ich es riskiren, und ich liebe Dich. (Weißt Du, was Liebe ist? Eine Romanze, die man mir gewidmet hat.) – – –

Ich habe gestern in den Hugenotten mit großem Erfolge gesungen; denn man fängt an mich zu lieben. Eine Seltenheit! Man hat mich ‚sublime‘ gefunden. Ich gebrauche den Ausdruck eines Theaterstammgastes. In acht Tagen habe ich vier Mal gesungen. Ich wünschte, daß man dies weiß, da man in Paris glaubt, ich habe eine zarte Gesundheit.

Die hiesige Verwaltung schmeichelt sich, daß ich in Brüssel bleibe. Sage mir, was ich thun soll, denn ich möchte nichts ohne Deinen Rath thun, weil ich dann nie unrecht handle. Ich bin sicher, daß Du nur mein Bestes für die Zukunft willst. –

Mlle. Julie ist zu Paris; sie hatte mich gebeten, ihr einen Brief an Dich mitzugeben; aber aufrichtig, ich wagte es nicht; ich bin so eifersüchtig! Erinnerst Du Dich an den verwünschten Ball? Dieses schändliche Weib, wie ich es verabscheue!

Apropos Ball! Man gab diesen Abend hier einen Ball, in dem niedlichen Saale, in dem wir miteinander waren. Man hatte mich eingeladen, aber ich bin nicht hingegangen. Alles für Dich, weil ich nicht weiß, ob es Dir lieb wäre. Mache es wie ich und amüsire Dich nicht, denn sonst könntest Du Deine arme Kathinka vergessen, welche Dich so sehr liebt und welche unglücklich sein würde, wenn Du sie nicht mehr liebtest.

Adieu! Ich umarme Dich, wie von Ville d’Avray bis nach Paris, aber jetzt ist es noch weiter und das ist nicht so gut.“

Und in Folge dieses zärtlichen Briefes kommt Caumartin, obgleich er seit zwei Tagen in Paris verlobt ist, am 19. November in Brüssel an, um seine Kathinka angenehm zu überraschen. Er steigt im Café Domino ab und hört hier, daß Mlle. Heinefetter soeben in einem Concerte der Großen Harmonie singt. Er eilt und wartet in einem Wagen vor der Thür, da schon die letzte Nummer gesungen wird. Er sieht Kathinka in Gesellschaft von vier Personen und am Arme eines ihm unbekannten Herrn heraustreten. Da fährt er in ihre Wohnung voraus, in der Erwartung, die Begleiter würden sich an der Thür verabschieden. In Kathinka’s Salon findet er ein Souper für mehrere Personen vorbereitet. Die Zofe ist verlegen. Bald darauf tritt Kathinka mit ihrer Gesellschaft ein. Sie erbleicht, ihren alten Liebhaber plötzlich vor sich zu sehen. Verwirrt ladet sie ihn zum Souper ein, ohne ihm die beiden anwesenden Herren vorzustellen. Die Damen kennt er nur zu gut. Mde. Kerz und Mlle. Claire Behr. Unmuthig lehnt er ab und wirft sich in eine Sophaecke, während die Gesellschaft lustig soupirt. Voll Ingrimm sieht er, wie der elegante Herr an der Seite seiner alten Geliebten sich alle Freiheiten eines erklärten Liebhabers herausnimmt, und wie man ihn vollständig übersieht. Das Souper ist vorüber. Die Damen ziehen sich zurück, von Aimé Sirey begleitet. Sein Freund Mr. Milord und Caumartin befinden sich allein im Salon. Kathinka ruft angstvoll aus: „Mein theurer Sirey, es wird ein Duell geben und Caumartin wird Dich tödten.“ – „Pah! ich werde ihm in einem Fechtsaale meine Stärke zeigen, und er wird sich mir zu Füßen werfen und mich um Gnade anflehen,“ ist die lachende, prahlerische Antwort. Damit kehrt er in den Salon zurück, wo Caumartin sich erhoben hat und seine Handschuhe anzieht. Sirey tritt auf diesen zu und sagt.. „Mein Herr, sehen Sie denn nicht, daß Sie hier zu viel sind? Es ist Zeit, ein Ende zu machen.“ Damit zeigt er Caumartin die Thür. Es kommt zu Thätlichkeiten. Sirey nennt Caumartin einen Gassenjungen und droht, ihn aus dem Fenster zu werfen. In diesem Augenblicke öffnet Kathinka die Thür und sinkt, als sie die wüthenden Nebenbuhler erblickt, ohnmächtig nieder. Milord trägt sie in ihr Schlafzimmer und legt sie auf’s Bett. Was inzwischen im Salon passirt ist, wurde nie ganz klar. Caumartin erzählt. „Ich gab Sirey eine Ohrfeige, er versetzte mir unzählige Stockschläge auf Kopf, Arme und den ganzen Körper, bis sein Stock zersplitterte. Ich rief ‚Das ist eine Schändlichkeit. Ich habe die Wahl der Waffen. Morgen um acht Uhr auf Degen!‘ – „Schlagen wir uns sogleich!“ schrie Sirey und nahm einen Gegenstand von der Tafel, den ich nicht sah. Er stürzte auf mich und ich erhielt einen Messerstich in den Schenkel. Ich hatte zu meiner Vertheidigung einen Stockdegen in der Hand. Sirey ergriff ihn und das Stockende blieb in seiner Hand. Er glaubte mich entwaffnet und stürzte auf’s Neue auf mich. Ich hielt den Degen in der Hand und – er stürzte sich in seiner blinden Wuth hinein. Ich sah das Blut durch seine weiße Weste dringen. Das hatte ich nicht gewollt. Ich eilte fort, einen Arzt zu holen. Als ich mit demselben zurückkehrte, traf ich auf der Treppe den Hauswirth, der mir sagte. ‚Er ist todt.‘ Da eilte ich nach Paris und stellte mich den Gerichten.“

Mr. Milord erklärte bei der Gerichtsverhandlung: „Als ich aus dem Schlafzimmer von Mlle. Heinefetter zurückkehrte, sank Aimé Sirey mir in die Arme mit dem Rufe: ‚Ich bin erstochen.‘ Ich wollte es nicht glauben. Ich erkläre hiermit, ich habe nicht gesehen, daß Mr. Caumartin dem armen Sirey einen Dolchstoß versetzte. Ich erkläre, ich weiß nicht, wie die That geschehen ist. Ich erkläre, ich sah Mr. Caumartin keine Bewegung mit dem Körper oder den Armen machen. Ich sah bei ihm nach der That eine große Bestürzung.“

Genug, in der Wohnung der Sängerin Kathinka Heinefetter war um Mitternacht ein Mann getödtet, der seit einigen Wochen für ihren erklärten Liebhaber galt, – getödtet von einem Manne, dem die Leichtsinnige noch vor zehn Tagen den zärtlichsten Liebesbrief geschrieben hatte.

Kathinka Heinefetter war gerichtet. In Paris und Brüssel hatte sie sich unmöglich gemacht. Jenen unglücklichen Brief voll zärtlichster Versicherungen, der den längst ersetzten Liebhaber von seiner jungen Braut aus Paris nach Brüssel lockte, konnte ihr Niemand verzeihen. Im April 1843 mußte Kathinka noch einmal in Brüssel öffentlich auftreten: in der unsauberen Gesellschaft einer Kerz und Behr als Zeugin vor den Assisen, vor denen Eduard Caumartin des Todtschlages angeklagt stand. Alle drei bemühten sich, zu Ungunsten des Angeklagten auszusagen. Das erhöhte ihre eigene Schuld in Aller Augen. Caumartin wurde freigesprochen, dank der glänzenden Vertheidigungsrede des berühmten Pariser Advocaten Chaix d’Estange und des einstimmigen Gutachtens der Aerzte, welche die Möglichkeit anerkannten, daß Aimé Sirey sich blind in den vorgehaltenen Stockdegen Caumartin’s stürzte. Kathinka Heinefetter blieb gerichtet. Vorbei Glück und Stern. Sie trat wohl noch an verschiedenen Bühnen auf, aber die Fama flog ihr stets voran, und in allen Augen las sie immer wieder dieselbe alte traurige Erinnerung an die blutige Tragödie zu Brüssel. Und wie oft, wenn sie in ihren heitersten, glänzendsten Partieen auf der Bühne stand, muß plötzlich ein bleicher Schatten vor ihr aufgetaucht sein! Sie sah rothes Herzblut fließen und hörte eine dumpfe Grabesstimme: „Du – Du allein bist schuld,“ und das Herz stand ihr still, und der Ton erstarb ihr in der Brust.

Ja, Kathinka Heinefetter hat des Herzens Leichtsinn schwer gebüßt. Entmuthigt, gebrochen, entsagte sie in den blühendsten Jahren der Bühne. Am 21. December 1855 ist sie zu Freiburg im Breisgau an einer schleichenden Herzkrankheit gestorben, nicht älter als fünfunddreißig Jahre. Mit welchen wogenden Gefühlen habe ich an ihrem Grabe gestanden! Auf dem Piedestal des Denkmals knieet ein Genius, der einen Kranz Rosen über das Grab hält. Auf dem Hügel stand ein Strauch vertrockneter Kathrinerblumen. Dein Bild, arme Kathinka!

Im Februar 1857 starb auch die zweite Schwester, Frau Stöckel-Heinefetter, und am 18. November 1872 Sabine Marquet-Heinefetter – – in der badischen Irrenanstalt

Illenau. … Arme Sabine, wie muß Dein treues Herz um Deinen Helden-Liebling Kathinka gelitten haben! – und Dein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_524.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)