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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

mehrere Häuser in „feinster“ Stadtgegend und mehrere Villen vor den Thoren. Er ist sicher ein doppelter Millionär.

Herr Munk, ein Mann von gewandtem einnehmendem Wesen, ward zuerst viel in den Bureaux der Intendanturen, Ministerien und anderer Behörden gesehen, wo er stets etwas zu kaufen oder zu verkaufen wünschte. Dann wurde er „Director“ der am Kreuzberge belegenen Villencolonie „Wilhelmshöhe“, die aber damals noch keinen rechten Anklang fand. Herr Munk bot die neuen Villen lange wie saueres Bier aus. Doch später begann sein Stern zu leuchten.

Unmittelbar, nachdem Herr Geber die „Centralstraßen-Societät“ gebildet hatte, gründete Herr Munk, im März 1870, den „Actienbauverein Passage“. Die „Passage“, in vieler Hinsicht ein Seitenstück zur „Centralstraße“, ist eine glasbedachte Verbindung zwischen den Linden und der Behren- und zugleich Friedrichstraße, erfüllt mit Läden, Restaurationen, Concert- und anderen Sälen. Herrn Munk’s Verbündete waren: die Banquiers Meyer Cohn, Aron Hirsch Heymann, Salomon Gotthold Heymann, Maximilian Heymann, die Kaufleute Fr. Wilh. Beskow, Ernst Theodor Beskow, Hermann Reimann, Fabrikbesitzer Karl Egells, Rentier Georg Beer, Commerzienrath Gustav Stobwasser, Kammerherr Louis von Prillwitz. Auch hier wurden die nöthigen Grundstücke zu enormen Preisen erworben, und die Gründer machten einen unverhältnißmäßig großen Gewinn. Erster Director ward wieder der eigentliche Attentäter, Paul Munk, bis ihn, noch vor Vollendung des Baues, Herr Stobwasser ablöste.

1873, am 22. März, am Geburtstage des Kaisers, ward die „Passage“ eröffnet und dem Monarchen zu Ehren „Kaiser-Galerie“ genannt. Zwei Tage vorher erschien auf Einladung des „Aufsichtsrathes“ der ganze Hof. Kammerherr von Prillwitz machte die Honneurs. Die Gründer und ihre Damen wurden dem Kaiser, der Kaiserin, den Prinzen und Prinzessinnen vorgestellt. Bilse concertirte; es folgte das Souper und ein Ball. Auch die Vertreter der Presse erhielten einen kalten Imbiß. Jeder der 8 oder 9 „Aufsichtsräthe“ hatte zu dem Feste 800 Thaler beigesteuert. Das ist eben das Empörende, daß die Gründer – und nicht blos hier – es wagten, sich an die ersten Personen des Reichs zu drängen, um so ihre unlauteren Zwecke zu verhüllen oder gar noch zu glorificiren. Hätten der Kaiser, die Kaiserin und die Prinzen nur eine Ahnung gehabt von dem schwindelhaften Charakter dieser Gründung: sie würden selbstverständlich nie einen Fuß hierher gesetzt, jenen Leuten nie einen Blick geschenkt haben.

Wie „Centralstraße“, so hatte auch „Passage“ eine noch blutigere Nachgründung im Gefolge. Die Gründer hatten privatim, zu ganz anderem Zwecke, „Meinhardt’s Hôtel“, Unter den Linden 32, angekauft und es, weit über den Werth, mit 500,000 Thalern bezahlt. Als die Conjunctur zurückschlug, wußten sie nicht mehr, was sie damit anfangen sollten, faßten sich aber schnell und halsten das Grundstück der „Passage“-Gesellschaft auf, der sie es mit einem kleinen Aufgelde von etwa 137,000 Thalern in Rechnung stellten. Dieses Taschenspielerstückchen kam in der nächsten Generalversammlung zur Sprache; etliche wirkliche Actionäre erlaubten sich zu murren, aber sie wurden kurz und bündig zur Ruhe verwiesen, d. h. von den „Strohmännern“, welche die Gründer engagirt hatten, überstimmt. Der Ankauf von „Meinhardt’s Hôtel“ ward mit imposanter Majorität genehmigt.

Noch vor Vollendung des Baues, noch vor dem „Krach“ wurden jene Dinge ruchbar, und auf der „Passage“ ruhte von vorne herein ein Fluch. Nur mit Noth gelang es, die Läden allmählich zu vermiethen, nachdem man die zuerst in Aussicht genommenen Miethen bedeutend herabgesetzt hatte. Die Concerte verunglückten; die Festsäle blieben leer; die großen Restaurants in den oberen Etagen fanden bald keinen Pächter mehr, und die durch alle Stockwerke gehenden „Banklocalitäten“ in der Behrenstraße konnten überhaupt nicht vermiethet werden. Man verwandelte diese Räume in ein Hôtel von 60 Zimmern, aber man suchte vergebens nach einem Pächter. Auch für „Meinhardt’s Hôtel“ fand sich Niemand, der den verlangten Pachtzins von 28,000 Thalern zahlen wollte, und so sah die Gesellschaft sich genöthigt, die Bewirthschaftung selber zu übernehmen, wobei sie indeß keine Seide spinnt. Nach der Bilanz von 1874 beträgt der „Saldo-Ertrag“ von „Meinhardt’s Hôtel“ noch nicht 1 Procent des Anlagecapitals.

In dem kostbaren Säulensaale der „Kaiser-Galerie“ nahmen am 22. April dieses Jahres die Actionäre die magere Bilanz und den trostlosen Geschäftsbericht entgegen. Die große Restauration in der zweiten Etage ist nach dem Erdgeschoß verlegt, da sich aber auch hier kein Pächter fand, übernahm die Bewirthschaftung ein Consortium, bei welchem sich die Passage-Gesellschaft zu Dreiviertel betheiligen mußte. Wenn wir die unklare Bilanz und die ebenso unklaren Notizen der Zeitungen recht verstehen, hat die Gesellschaft bei dieser Betheiligung pro 1873 – 18,750 Thaler, pro 1874 – 25,000 Thaler zugesetzt, auch von den früheren Pächtern das Inventarium und ein großes Weinlager übernehmen müssen. Von anderer Seite wird wieder behauptet, das Weinlager sei eigentlich eine Privatangelegenheit gewisser Herren Aufsichtsräthe, und diese hätten sich inzwischen auch bereit finden lassen, es der Gesellschaft abzunehmen. – Genug, der Bericht verstimmte tief, und die zahlreiche Versammlung, welcher Herr Commerzienrath Stobwasser präsidirte, zeigte sich sehr ungeberdig.

Da erhob sich am grünen Tische einer der Würdenträger und erklärte mit edlem Freimuthe, daß die Opponenten sich dem Aufsichtsrathe gegenüber in einer Minderheit wie 1 zu 6 befänden, also sich doch nicht unnütz echauffiren möchten. Der gute Rath wirkte, und die Gemüther beruhigten sich. Zum ersten Male sollte eine Dividende vertheilt werden; dafür betrug sie aber auch – ½ Procent. Es ereignete sich hier der ungeheuerliche Fall, daß die Actionäre die Dividende zurückwiesen und das halbe Procent zu Abschreibungen, die auch der „Passage“ außerordentlich wohl thun würden, verwendet wissen wollten. Aber sie drangen nicht durch, denn das Statut dieser Gesellschaft überläßt in weiser Voraussicht die Bestimmung und Vertheilung der Dividende dem Aufsichtsrathe allein. Die Generalversammlung hat nicht mitzureden, und so empfängt denn jede Actie ganze 15 Silbergroschen. Einst wurde das Papier mit circa 140 bezahlt; heute notirt es die Börse mit circa 20. Das Actiencapital beträgt 2 Millionen Thaler, wozu noch 1,366,000 Thaler Hypotheken und Obligationen kommen – 221,000 Thaler Prioritäten waren nicht mehr unterzubringen. Gegen „Passage“ gehalten, ist selbst „Centralstraße“ eine höchst solide Gründung.

Wenn wir durch die Passage gehen, sehen wir sie stets von Menschen angefüllt, aber nur selten erblicken wir in den zahlreichen Läden einen Käufer. Den meisten Zuspruch hat noch Castan’s „Panoptikum“, ein sehr mäßiges Wachsfigurencabinet, wo am Schaufenster stets der Räuber oder Mörder steht, der Berlin gerade mit seinem Ruhme erfüllt. In der „Kaiser-Galerie“ versammelte sich im vorigen Herbste die Winkelbörse, die früher ein paar Häuser weiter, an der Conditorei von Kranzler tagte, bis sie von der Polizei vertrieben wurde.

In derselben Passage lesen wir am Schwarzen Brett, daß die großen Festsäle, die großen Restaurants in der oberen Etage und das Hôtel von sechszig Zimmern in der Behrenstraße noch immer zu vermiethen sind. Auch das Restaurant im Erdgeschosse hat noch keinen ständigen Pächter gefunden, sondern ist einem Kellner überlassen, der das Wagniß jedesmal nur auf vier Wochen übernimmt. Die großen kostbaren Räume in den oberen Stockwerken stehen sämmtlich leer, und des Nachts gehen hier die gemordeten Actionäre um und ringen wimmernd die Hände.

Der Leser würde irren, wenn er „Passage“ etwa für das Non plus ultra einer Gründung hielt. „Passage“ ist allerdings böse, aber noch weit böser ist der zwei Jahre später geborene Actien-Bauverein „Unter den Linden“, und beide Kinder haben zum Vater denselben Herrn Paul Munk. „Lindenbauverein“ wurde an der Börse wie im Publicum ein „geflügeltes Wort“ und „Lindenbauverein“ wurde der Refrain vieler Theater-Couplets.

Parallel mit der Passage, und nur zwei Häuser weiter, sollte eine neue Verbindung zwischen den Linden und der Behrenstraße durchbrochen, und diesmal eine wirkliche Straße angelegt werden, eine „Prachtstraße“, wieder Laden an Laden, dazu mit einem Theater und einem „Riesenhôtel“. Die Gründer resp. ersten Zeichner waren außer Paul Munk: Banquier Emil Heymann, Rentier Georg Beer, Kaufmann Gustav Markwald, Banquier Edmund Helfft, Commerzienrath und Aeltester der Kaufmannschaft Wilhelm Herz, Consul Friedrich Schillow und Seine Excellenz, der Staatsminister a. D. Gustav von Bonin,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_526.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)