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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


gegenwärtigen Zuständen hält sich zu Hause und entzieht den vielbewunderten Anblick ihrer prächtig ausgeschmückten Karossen und ihrer luxuriösen Costüme grollend der Menge; die Stühle auf den Trottoirs und auf den Plätzen, von wo aus früher die schönen römischen Frauen, gleichfalls in Masken oder doch festlich geschmückt, dem närrischen Treiben zusahen, sind bis auf spärliche Ausnahmen gleichfalls unsichtbar geworden; die berühmten Pferderennen, die einst jeden Tag des Carnevals beschlossen, sind verboten, und so groß und ungewohnt auch für einen Fremden die Zahl der Masken ist, die sich auf dem Corso und den benachbarten Plätzen umhertreiben, so ist doch das charakteristische Element aus ihnen fast vollständig verschwunden und der leicht zu beschaffende Matrosenanzug, wie der Domino in allen Farben, behaupten das Feld. Neben ihnen sind vielleicht noch am häufigsten die malerischen römischen Landestrachten vertreten.

Viele Mädchen beschränken sich sogar darauf, nur im einfachen schwarzen Hauskleide mit weißer Schürze, weißer Haube und einer Gesichtsmaske zu erscheinen; aber das gewährt wenigstens einen reizenden Anblick, wenn sie, meist in größerer Zahl vereinigt, durch die Straße dahinschwärmen, lachend, neckend, die Begegnenden umkreisend, sie wieder freigebend und, zuletzt selbst um ihre Freiheit besorgt; laut schreiend nach allen Richtungen aus einander stieben. So reich oder einfach aber auch ein Costüm sei, ein Merkmal haben sie alle: das der größten Reinlichkeit, Sauberkeit und Nettigkeit. Die schmutzigen, garstigen Maskenfetzen, mit denen man sich bei solchen Gelegenheiten in Deutschland schmückt, kennt man in Rom nicht; alle Costüme scheinen eben erst aus der Hand des Schneiders gekommen zu sein, und dieser Umstand trägt nicht wenig dazu bei, selbst dem anspruchlosesten und harmlosesten Gewande immer noch einen gewissen Reiz und eine gewisse Berechtigung zu geben. Der Sinn für das Schöne, der den Römer und die Römerin überall begleitet, wo er mit dem öffentlichen Leben in Berührung kommt, schlägt auch hier durch und zeigt sich dabei von seiner besten Seite.

In den ersten Tagen seines kurzen Daseins zeigte der diesjährige Carneval eine solche Lahmheit und gähnende Langeweile, daß es wahrhaftig zum Bedauern war. Die meisten Logen blieben leer; von Wagen war fast gar nichts, von Masken äußerst wenig zu sehen, und durch den Corso flanirten nur die Fremden, die um jeden Preis etwas vom vielgepriesenen römischen Carneval zu sehen begehrten und beim besten Willen Nichts zu sehen bekamen. Dann und wann, da und dort entspann sich ein kleines Confettigefecht, schlief aber wegen mangelnder Theilnahme und Ausdauer bald wieder ein.

Die nächsten Tage sollten mehr als vollen Ersatz bringen. Der Corso füllte sich mit Wagen, Masken, Neugierigen; die Fenster und Logen waren dicht besetzt, und die Confettischlacht war fürchterlich. Vom Standpunkte der Rohheit und Brutalität aus blieb fast Nichts mehr zu wünschen übrig: Die Römer selbst haben dies am meisten bedauert; sie sahen ganz richtig in dieser pöbelhaften Ausgelassenheit den Ruin ihres Carnevals und machten dafür den „Forestiere“, den Fremden, verantwortlich, der zuerst die Ausartung dessen herbeigeführt und veranlaßt habe, was früher nur scherzhaft und muthwillig anzusehen gewesen sei. Sie, die Römer, wollten für sich dabei durchaus nur die Rolle des Verführten gelten lassen. Namentlich auf die Engländer und Amerikaner waren sie darum schlecht zu sprechen; ihnen – ich weiß nicht, mit welchem Rechte – schrieben sie die Erfindung jener abscheulichen, ungeheuren Blechschaufeln zu, die man mit vielen Hunderten von Confetti füllt, um diese dann mit Einem Male vom Fenster aus dem Vorübergehenden nachdrücklichst auf den Kopf zu schleudern. Die Confetti aber sind, wie allgemein bekannt, Kügelchen aus Gyps oder Porcellanerde, und da ist denn über die eindringliche Wirkung, die sie auf den so schmählich Betroffenen üben, kein Wort weiter zu sagen. Bald ist das Pflaster der Straße wie mit Schnee bedeckt; zuletzt ist auch der Gassenjunge bei solchem guten Beispiele, das man ihm giebt, nicht müßig, hebt die daliegende Munition ohne Besinnen vom Boden und wirft sie dem Nächsten Besten sammt dem Straßenschmutze, den er mit aufgelesen, in’s Gesicht.

In nächster Nähe meines Fensters, von dem aus ich ziemlich mißvergnügt das Treiben mit ansah, beobachtete ich auf einem Balcon eine junge Römerin von auffallender Schönheit und im geschmackvollen Costüme einer Griechin. Ich war erstaunt über die Leidenschaftlichkeit, mit welcher dieses Mädchen dem Confettiwerfen oblag; unermüdet schwang sie ihre Blechschaufel; Ladung um Ladung schleuderte sie voll und kräftig in das Gedränge da unten, und ich habe nicht einmal eine Ahnung, wie viel Munition dieses holde Geschöpf im Laufe eines Nachmittags verschossen haben mag, die ein Diener in kleinen Kisten immer neu herbeischleppte. Zuletzt entdeckte sie in der Parterreloge des gegenüberliegenden Hauses eine kleine Gesellschaft von Masken, die sich dort gleichfalls auf ihre Art amüsirte. Flugs hatte meine kleine Griechin ihre Begleitung, mehrere Herren und Damen, darauf aufmerksam gemacht, und mit deren thätiger Mithülfe begann nun ein so gewaltiges, andauerndes und nachdrückliches Bombardement der Loge da unten, daß deren Inhaber, über und über beschüttet, nach einer halben Stunde das Feld gänzlich räumen mußten. Die Luft war mit Wolken weißen Staubes erfüllt, und bis in die Höhe des ersten Stockes herauf hatten die Angegriffenen nicht zu antworten vermocht.

Wie hier, so mochte wohl der Carneval überall auf dem langgestreckten Corso seinen Verlauf haben, daß denn den Wagen nichts übrig blieb, als dem Beispiele der Masken zu folgen und sich in die benachbarte Via di Ripetta zu retten, wo die Fahrt eine gemüthlichere und gefahrlosere gewesen sein soll. Dem Eifer der jungen Griechin freilich setzte auch diese allgemeine Fahnenflucht noch immer keine Grenzen. Mit derselben Verschwendung wie früher warf sie ihre Confetti nun den Soldaten, alten Weibern und Gassenjungen an den Kopf, die sich allein noch über die Straße wagten – seltsames Vergnügen!

(Schluß folgt.)




Durch Chloroform in’s Irrenhaus.


Die hohe Stellung, welche die Medicin im Kreise der exacten Wissenschaften erlangt hat, verdankt dieselbe nicht allein dem forschenden Auge des Mikroskopikers und dem eindringenden Messer des Anatomen, sondern vornehmlich sind es neben der Physik die Errungenschaften der Chemie, welche die moderne Heilkunde zu dem heutigen Standpunkte geführt haben. Mit dem theoretischen Erforschen des menschlichen Körperbaues im gesunden und kranken Zustande allein ist der leidenden Menschheit wenig genützt, wenn nicht der Wissenschaft des Erkennens die Kunst des Heilens auf dem Fuße folgt. Die erste Klage, welche dem Arzte zu Ohren kommt, ist nie objectiv; sie bezieht sich gewöhnlich nicht auf das Leiden des Patienten, sondern vornehmlich auf den Schmerz, der in den meisten Fällen durch das Leiden bedingt wird. Aber selbst der Schmerz, jener empfindliche Beweis der Unvollkommenheit unseres Daseins, jenes unangenehme Wahrzeichen unserer irdischen Existenz, hat sich in erfreulich vielen Fällen vor den Errungenschaften der Neuzeit, vor der Macht des menschlichen Geistes beugen müssen. Mannigfache Mittel, den Schmerz zu bannen, sind in dem Arzneischatze der neueren Heilmittellehre aufgenommen und durch die wunderbarsten Erfolge zu einem vor dreißig Jahren noch ungeahnten Glücke für die leidende Menschheit geworden. Aber die fast augenblicklich erzielte Empfindungslosigkeit mittelst der Methode der örtlichen Anwendung des verdunstenden Schwefeläthers, die allgemeine Ruhe, welche selbst nach den rasendsten Schmerzen durch das sogenannte subcutane Einspritzen einer Morphiumlösung unter die Haut erfolgt, der behagliche Schlaf, welcher auf den Genuß des in den jüngsten Jahren entdeckten Chloralhydrates erfolgt – die Bedeutung aller dieser Wirkungen wird in hohem Grade verdunkelt durch die Erfolge der Einführung des Chloroforms in die ärztliche und chirurgische Praxis.

Während jene Medicamente den vorhandenen Schmerz zu bannen vermögen, ist in dem Chloroform ein Zaubermittel gegen erst zu erwartende Leiden gefunden worden. Die Furcht vor den Schmerzen einer bevorstehenden Operation nahm in früheren Zeiten manchem Unglücklichen die letzten Lebenskräfte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_557.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)