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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Plaudereien aus Rom.
Von Hermann Oelschläger.
IV.
(Schluß.)
Die Herrschaft der Blumen. – Die Kronprinzessin Margherita. – Das Fest der Moccoli. – Licht-Effecte. – Der Carneval in den Gärten Roms. – Der Corso. – Ein neuer Carneval.

Die römische Presse zeigt im Allgemeinen ein sehr lobenswerthes Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit der Aeußerung, die wirklich radicale geht darin gelegentlich sogar bis an die Grenze dessen, was einem ruhigen und besonnenen Staatsbürger noch für erlaubt und anständig gelten mag; aber auch sonst wird der Leser leicht der Neigung begegnen, sich namentlich den Anordnungen und Entschlüssen der Regierung gegenüber in einer Weise kritisch und skeptisch zu verhalten, die bei einem ohnedies noch nicht ganz in sich gefestigten Staatswesen vielleicht doch nicht immer am Platze sein dürfte.

So mußte denn auch der allgemeine Unwille, welchen die brutalen Ausartungen des diesjährigen römischen Carnevals in seinem Anbeginn hervorriefen, in der römischen Presse sein Echo finden; die allgemeinen Klagen kamen dort in einstimmiger und energischer Weise zum Ausdruck, freilich nur, um als Heil- und Schutzmittel gegen die geschilderten Brutalitäten den einzigen Rath finden zu können, überhaupt während des Carnevals den Corso nicht mehr zu betreten. War es doch an einzelnen Stellen mit der lieben Straßenjugend sogar zu Conflicten gekommen, die ohne das Dazwischentreten der überall vertheilten Polizeisoldaten leicht zu ernsthafteren Händeln hätten führen können.

Da schaffte denn – mitten in dieser Calamität – der Syndicus von Rom rasch entschlossen auf seine Weise Rath und verbot für die letzten Tage des Carnevals kurzweg und überhaupt jeden Verkauf und Gebrauch der Confetti.

Neuer Nothschrei in der Presse. Ein römischer Carneval ohne Confetti? zeterten die Zeitungen; das heißt ihn todtmachen, heißt ihn vernichten.

Aber siehe da, der Syndicus, als ein weiser Mann, kümmerte sich um die reichlichen Vorwürfe, mit denen er überschüttet wurde, nicht im Mindesten, nahm den in erster Reihe betroffenen Fabrikanten sämmtliche Vorräthe an Confetti auf Kosten der Stadt ab, und in der That entfaltete der Carneval noch einmal kurz vor seinem Verscheiden jene ganze Liebenswürdigkeit, die man bisher so vergeblich bei ihm gesucht.

Von allen Seiten strömten die Equipagen herbei; zu vielen Tausenden und unter betäubendem Lärmen drängte sich die Menge, drängten sich die Masken durch die enge Häuserzeile des Corso, dessen Fenster mit rothen Teppichen behängt, dessen Balcone und Bogen festlich verziert waren, und aus allen Logen, von allen Balconen grüßten schöne Frauen, lachten schöne Mädchen, nickten reizende Masken, daß denn die Freude bald allgemein war und nun Blumensträuße, Confect, Orangen ebenso durch die Straßen, von Wagen zu Wagen, von Fenster zu Fenster flogen wie noch Tags zuvor die abscheulichen Confetti. Namentlich die Blumensträuße, oft von kostbarster Art, wurden wahrhaft verschwenderisch ausgeworfen – aber freilich, man kann auch nichts Schöneres sehen, als diese lächelnde Anmuth, mit welcher eine Römerin im Wagen oder vom Fenster aus für eine solche Aufmerksamkeit zu danken weiß.

Ein freundlicher Zufall führte uns in dem Augenblicke an dem Balcon vorbei, den die Kronprinzessin Margherita für sich und ihr Gefolge gemiethet hatte, als diese den Balcon betrat. Wie sehr die Kronprinzessin, eine zarte, anmuthige Blondine, bei den Römern beliebt ist, zeigte sich auch hier. Ein unendlicher Applaus, tausendfaches Evviva! und Händeklatschen begrüßte sie – schon aber flogen auch die Blumensträuße in ungezählter Menge zu ihr empor und einer war illoyal genug, ihr den breitkrämpigen Hut fast vom Kopfe mit fortzunehmen. Die Kronprinzessin lachte, schob den Hut rasch wieder zurecht, griff dann in den hochgefüllten Korb, den Lakaien ihr nachgetragen hatten, und rächte sich für die ihr angethane Unbill, indem sie mit derselben Lebhaftigkeit, wie Tags zuvor die kleine Griechin auf dem Balcon neben mir ihre Mehlkugeln, nach allen Seiten Sträuße unter das Volk warf, das mit hundert Händen danach haschte.

Der nächste und letzte Abend brachte das in seiner Art einzige Fest der Moccoli. Es ist schon oft genug beschrieben worden. Ich meinerseits gestehe gerne, den Standpunkt der Kindlichkeit nicht mehr gefunden zu haben, von welchem aus man ein bis zwei Stunden lang Andern die Lichter ausbläst und sich selbst ausblasen läßt. Unbekümmert um das mir allgemein im Chore mit tiefer Grabesstimme zugerufene: Senza moccoli, fuhr ich deshalb im dunkeln Wagen dahin; aber die malerischen Effecte, welche die tausend brennenden, immer beweglichen Kerzen auf der Straße, in den Wagen, auf den Balconen, in den Fenstern, ja auf den Dächern hervorriefen, erregten in hohem Grade meine Bewunderung; dazu flammten bald da, bald dort, bald in der Höhe, bald in der Tiefe, bald nah, bald fern rothe, grüne, weiße Feuer auf, die das lärmende Volk, die teppichgeschmückte Häuserreihe gegenüber, die Masken an den Fenstern plötzlich aus der dunkeln Nacht hoben und mit ihrem blendenden Lichtscheine übergossen; an einzelnen Stellen warfen Pechfackeln ihre rothen Gluthen über das ganze seltsame Schauspiel, daß man denn, wie gesagt, des im Grunde kindischen Anlasses bald gern vergaß und sich nur der malerischen Lichtwirkung freute, die es oft so überraschend und in so hohem Grade bot.

Während in den Straßen Roms der Carneval lärmend dahin rauschte, hatte sich in den grünen Gärten und in den Osterien vor der Porta del Popolo bis zum Ponte molle ein anderes Leben ganz eigener Art entwickelt: Burschen und Mädchen, meist in der Tracht der Albanerin oder der Ciociara, hatten sich vor dem beengenden Gewühle der Straßen hierher in die behaglichere Einsamkeit geflüchtet und tanzten nun hier, im leuchtenden Sonnenschein, umdrängt von bewundernden Zuschauern, beim Klange des Tamburin und der Castagnette, unermüdlich und in leidenschaftlicher Bewegung, bis spät in den Abend hinein den Saltarello. Zur Seite, im Schatten des schlichten Binsendaches, saßen verliebte Paare; der Fiasco kreiste um den schlichten Holztisch, und aus allen Büschen des Gartens, aus allen Ecken scholl fröhliches Lachen und munteres Schwätzen.

Vielleicht war gerade dies das beste Bild, das ich vom römischen Carneval mitnahm: hier war die Freude am reichsten und doch vollsten entwickelt, und jene bewundernswürdige Fähigkeit des römischen Volkes, mit Wenigem zufrieden, der Freude nur ihrer selbst wegen nachzugehen und sich ihr mit heiterem Anstande voll und ganz hinzugeben, ist mir nie liebenswürdiger entgegengetreten, als hier in den Gärten vor den Thoren Roms. Freilich, Himmel und Sonne haben an dieser schönen Entfaltung echten Volkslebens ihren besten Theil: dunkle Kneipen und qualmige Wirthsstuben sind hier unbekannt; unter dem freien Himmel aber, in leuchtender Sonne, blüht die wahre Fröhlichkeit, hält die Stirn frei, die Herzen gesund und läßt darum alle Erscheinungen schön und gefällig in’s Leben treten.

Aber wahrhaftig, trotz allem Schönen allem Anmuthigen, das man im Laufe der eben geschilderten Tage – ich möchte jetzt beifügen: Goethe zum Trotz – zu sehen bekommt, Goethe hat dennoch Recht, und man athmet förmlich befreit auf, wenn das letzte Licht auf dem Corso verlöscht ist, wenn der Aschermittwoch all der Raserei ein Ende gemacht hat, und dankt Gott und der Kirche für die Fasten. Nun ist ja auch die Ruhe der Nächte – soweit man überhaupt von einer solchen in Italien sprechen kann – garantirt, und man riskirt weniger mehr, denn sonst, allstündlich bis zum frühen Morgen hinein durch Gesang und Gelächter, Flöten und Geigen, Tamburin und Guitarre aus dem süßen Schlummer aufgeweckt zu werden. – Der Corso wird wieder stiller, nimmt wieder sein gewohntes Aussehen an, jedoch nur um schon nach wenigen Wochen mit dem nahenden Frühling ein desto reicheres, bunteres und in gewisser Beziehung noch interessanteres Leben zu entfalten.

Die Veilchen sind schon verblüht, die den weitgedehnten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_572.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)