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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Zu den ersteren gehört die eben besprochene Wanderheuschrecke, zur zweiten Art unsere große grüne Buschheuschrecke, zur dritten die Hausgrille oder das Heimchen, der Rietwurm oder die Maulwurfsgrille etc.

Die Feldheuschrecken sind die bedeutendsten Springer der ganzen Familie; sie schnellen sich ungefähr das Zweihundertfache der eigenen Länge fort. Die Färbung dieser größten europäischen Art ist nicht bei allen ausgebildeten Individuen die gleiche und scheint dunkler zu werden, je weiter die Jahreszeit vorrückt. Im Allgemeinen herrscht auf der Oberseite Graugrün vor, es kommt indeß auch häufig Grasgrün und bräunliches Grün, unten dagegen mehr röthliche oder gelbliche Fleischfarbe vor; die Flügeldecken und dunkel gefleckt; eben aus dem Ei geschlüpft, sind die Thiere ganz schwarz; später bis zur vierten Häutung werden sie meist dunkel okergelb und oben schwarz. Die Fühler sind kurz, fadenförmig, nicht zugespitzt. Das größere Weibchen hat keine hervorragende Legröhren, legt im Herbste zwei Eierklümpchen mit je sechszig bis hundert Eiern in lockere Erde und stirbt alsdann. Ein warmer trockener Herbst und ein eben solches Frühjahr sind dem Gedeihen auch dieses Ungeziefers besonders günstig. Das eigentliche Vaterland dieser Thiere soll die Tatarei sein, obgleich sie sich überall fortpflanzen, wo sie vorkommen.

Th. Nietner.




Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin.
Von Otto Glagau.
9. Die „große Zeit“ und die „großen Dinge“.

Nicht nur, daß die Gründer bei Beginn ihrer Thätigkeit von der Presse in jeder Weise unterstützt und gefeiert wurden: selbst heute, wo ihr Treiben gerichtet ist und ihre Werke zum Himmel schreien, selbst heute finden sie hie und da noch muthige Vertheidiger und begeisterte Lobredner. So lasen wir neulich in einem Berliner Blatte folgende Verherrlichung: „Trotz aller Uebergriffe und Auswüchse, die alle großen Zeiten mit sich bringen, war es doch eine erhebende Sache, als sich endlich das Capital der Industrie zuwandte, als endlich das Gefühl der deutschen Nationalität und des Weltstädters große Dinge erdachte und in solcher Weise ausführte, daß sie bestehen werden für lange Zeit.“

Dieses Dictum soll heute unser Thema bilden. Wir wollen reden von der „großen Zeit“, und von den „großen Dingen“, die „das Gefühl der deutschen Nationalität und des Weltstädters erdachte“; wir wollen betrachten eine Reihe von Gründerwerken, die ausschließlich den Interessen des Publicums dienen sollten, und zunächst auch allgemein angesehen und begrüßt wurden als verdienstliche Thaten und gemeinnützige Schöpfungen; und wir wollen untersuchen, ob diese „großen Dinge“ „bestehen werden für lange Zeit“, oder ob sie nicht bereits schon wieder verfallen und zerbröckeln, sich vor unsern Augen auflösen in eitel Dunst.

Ein chronisches Uebel, an dem Berlin seit Menschengedenken leidet und das sich auch dem Fremden sofort fühlbar macht, sind die mangelhaften Verkehrsmittel im Innern der Stadt, ist namentlich das altehrwürdige Institut der Droschke. Wagen, Pferd und Kutscher ringen mit einander um den Preis. Der Wagen ist ein unförmlicher, enger, unsauberer Marterkasten, das Pferd ein lebensmüder, traurig stimmender Invalide, der Kutscher der geborene Feind des Fahrgastes, mit dem er fast regelmäßig Händel anbindet. Da hatten die Gründer ein Einsehen und sprachen: Diese Droschke ist der Hauptstadt des neuen deutschen Reiches unwürdig, und überdies ist sie nicht einmal in genügender Anzahl vorhanden. Auf, laßt uns ein Gefährte schaffen, das der Kaiserstadt zur Ehre und dem Publicum zur Wollust gereiche!

Heinrich Quistorp, allezeit voran, verwandelte im Juni 1872, mit Hülfe des Banquiers Moritz Goldstein und des Betriebsdirectors Julius Lestmann, das Fuhrgeschäft der Gebrüder Ernst und Wilhelm Besckow in eine Actiengesellschaft und nannte sie – höre es und staune, Europa! – Central-Bazar für Fuhrwesen. Dieses Fuhrgeschäft nebst Firma(!) kostete den Actionären circa 550,000 Thaler. Trotzdem wurden die Actien wie eine Gunst gegeben und empfangen: auf 5 Actien der Vereinbank Quistorp gewährte man 1 Actie des „Central-Bazar“. Mit 105 kam das Papier an die Börse; heute steht es circa 20.

Allein Quistorp und der „Central-Bazar“, die es beide mit ihren Versprechungen nicht so genau nahmen, machten die Droschken nicht besser, eher schlechter und theurer. Die Droschkenkutscher, welche gleichfalls den Geist der „großen Zeit“ verspürten und die Gründer immer fetter und schwerer werden sahen, erhöhten täglich die Taxe und die Trinkgelder, und verfuhren mit dem Publicum nach dem Wahlspruch der französischen Könige: car tel est notre plaisir. Die Polizei ließ ein neues Reglement erscheinen, und die Droschkenkutscher antworteten mit einer Revolution. Am 1. März 1873 stiegen an 3000 Rosselenker vom Bocke und gingen, wie der Berliner sagt, „zu Muttern“, setzten sich auf die Ofenbank und überließen sich den Freuden der Häuslichkeit und der Familie, indem sie ihre Kinder im Striken unterrichteten und in den Busen der unschuldigen Kleinen glühenden Haß ergossen gegen Madai, den neuen Polizeipräsidenten. Verschiedene Tage war Berlin ohne Droschken, und an allen Straßenecken hörte man Rufen und Jammern. Ein großer Theil der Feiernden suchte das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und meldete sich zur Verbüßung der Polizeistrafen, von denen der Berliner Droschkenkutscher jeder Zeit ein halbes Dutzend auf dem Kerbholz hat. In jenen Tagen waren die Gefängnisse mit strikenden Rosselenkern vollgestopft, die hinter ihren Gitterfenstern hohnlachend auf die in Schaaren vorbeipilgernden Fußgänger blickten.

Da traten als rettende Engel wieder die Gründer auf. Inmitten des Droschkenstrikes erließen die Herren Gustav Thölde, Karl Stöter, Ferdinand Strahl, Directoren der „Centralbank für Genossenschaften“, Kaufmann Gustav Röhll, Director Wilhelm Horn und Rechtsanwalt Ewald Hecker den Prospect der Actiengesellschaft für öffentliches Fuhrwesen“, worin sie erklärten: „Eine radicale Reform ist auf dem Wege der polizeilichen Intervention nicht erreichbar; hierzu bedarf es anderer Mittel. Es muß der Betrieb des öffentlichen Fuhrwesens in die Hände der Großindustrie gelegt werden, die allein befähigt ist, wirklich bedeutende Resultate zu erzielen.“ Der Prospect verhieß 1200 neue Droschken und forderte dafür ein Actiencapital von – zwei Millionen Thaler, das heißt viermal mehr als „Central-Bazar“. Da man an Dividende mindestens 15½ Procent heraus rechnete, „mit Sicherheit“ aber „einen weit höheren Ertrag“ erwartete, war es nur in der Ordnung, wenn der 40procentige Interimsschein mit 50 aufgelegt wurde, was einem Course von 125 entspricht. Leider hat sich diese Rentabilitätsberechnung als nichtig erwiesen. Zu einer Dividende kam es nicht, vielmehr schloß das erste Geschäftsjahr mit einem Deficit von 73,000 Thalern. Aber der „Aufsichtsrath“ weiß sich zu helfen. Um die Unterbilanz aus der Welt zu schaffen, beschloß er, die Actien zusammenzulegen und so das Capital zu reduciren – ein nach dem „Krach“ sehr beliebtes und in der That auch ganz probates Verfahren. Es wird einfach so und so vielen Actien der Hals umgedreht. Trotz dieser sinnreichen Manipulation gilt der einst mit 50 bezahlte Interimsschein nur noch circa 10.

Die Gesellschaft eröffnete ihren Betrieb erst im Juni 1873, kam also für den Strike viel zu spät, und statt der verheißenen 1200 Droschken stellte sie etwa 200, die sie zu hohen Preisen angeschafft hatte, und die sie nun auch zu hohen Preisen wieder vermiethen wollte. Die Pächter fanden ihre Rechnung nicht, kündigten in Masse, oder sie fahren die Pferde erbarmungslos zu Schanden. Abgesehen von den großen Verlusten, die dadurch die Gesellschaft erleidet – jeder Kutscher bestellt nur eine Caution von 25 Thalern – müßte hier der Verein gegen Thierquälerei einschreiten, und die Herren Aufsichtsräthe sollten sich einmal die Lehre von der Seelenwanderung erklären lassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_586.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)