Seite:Die Gartenlaube (1875) 623.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

rasche und feindselige Trennung eines Paares, das sie vor nicht vielen Monaten in der Ueberschwänglichkeit seines Liebesglücks gesehen und belächelt hatte, einen tiefen Eindruck auf sie hervorbrachte: der Baum, der in strotzender Fülle von Blüten und Fruchtknospen gestanden, eine seltene Zierde des Gartens, war von einem plötzlichen Hagelwetter getroffen worden – Blüthen, Blätter und Früchte lagen abgestreift und zerschlagen auf dem Boden umher, und der kahle Stamm streckte traurig die geknickten Aeste empor, dem sicheren Verdorren entgegen. Kuni saß ruhig neben dem Vater und hörte, mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigt, nur mit halbem Ohre auf die vielerlei Erörterungen, Auslegungen und Beurtheilungen, welchen das Vorgefallene an den Tischen der Nachbarn und an ihrem eigenen unterlag, bald jedoch war der Gegenstand erschöpft, und es war allseitig willkommen, daß ein später kommender Gast sich noch in die Nähe gesellte und einen neuen Stoff der Unterhaltung mitbrachte.

Der Mann erzählte, daß er soeben vom Landgerichte, wo er zu thun gehabt, hergefahren komme und dort mit Buchmair Sylvest, mit dem Hulanen, der so lange in Griechenland gewesen, zusammengetroffen und ihn mitgenommen habe; derselbe sei ebenfalls zum Herrn Landrichter gerufen worden, und habe ihm derselbe eröffnet, daß er nicht mehr nöthig habe, sich zu verstecken, denn da der König den Hauptschuldigen begnadigt, habe auch er als Mitschuldiger nichts mehr zu besorgen. Der König hatte sich sogar ausführlich berichten lassen, wie es mit der Befreiung des Verfolgten zugegangen war, und hatte darüber gelacht, daß er auf dem Pferde seines Verfolgers entkommen sei, „der Ulane aber,“ hatte er hinzugefügt, „das müßte ein tüchtiger Bursche sein, und es sei schade, daß er nicht beim Regimente geblieben; er hätte es wohl bis zum Wachtmeister bringen können.“ Erstaunt, aber mit Beifall vernahmen die Anwesenden den Bericht, und Alle waren darüber einig, daß der Sylvest in Wahrheit ein tüchtiger Bursche sei.

„Und ein sauberer obendrein,“ fuhr der Erzähler fort. „Er hat heut’, weil er zum Gericht gemußt hat, seine Hulanenuniform angezogen und steigt daher, wie nochmal ein General.“

Schon die erste Erwähnung Sylvest’s hatte den Schlösselbauer veranlaßt, nach Kuni hinüber zu schielen und zu beobachten, welchen Eindruck die Nachricht von seiner Ankunft bei ihr hervorbringen werde; sie saß halb abgewendet und gab sich den Anschein, als habe sie nicht auf das Gespräch gehört; dennoch kam es dem Vater vor, als ob es ihr um Ohr und Wange heiß aufsteige, und er hätte ihr vielleicht ein beruhigendes Wort zugeflüstert, hätte nicht das Gespräch der Nachbarn eine neue Wendung genommen, die seine ganze Aufmerksamkeit fesselte.

Die Wirthin kam eben vorüber und fing an, Kuni über den Schaden vorzulamentiren, welcher ihr durch das Ausfallen der Mahlzeit entstehe; das Mädchen vernahm nur das Wenigste davon, auch sie wurde mit jedem Worte mehr von dem Gespräche der Anderen angezogen, und mit jedem Worte stieg die Gluth ihres Angesichts, so daß es die Wirthin gewahrte und diensteifrig forteilte, um ihr zur Abkühlung in der heißen Stube ein frisches Glas Wasser zu bringen. Das Gespräch bewegte sich um eine andere That, durch welche Sylvest seine Tüchtigkeit erprobt hatte und die den damit vertrauten Landleuten geradezu als ein Heldenstück erschien; es war die Rettung des großen Scheerenflosses, der sich losgerissen hatte und, wie man glauben mußte, durch seinen Muth und seine Geschicklichkeit an’s Land gebracht worden war; die abgetrennten Scheiter konnte ohne Schwierigkeit wieder aufgefangen werden und den Eigenthümern war ein höchst empfindlicher Schaden erspart.

Mit angehaltenem Athem und brennenden Wangen hörte Kuni den mancherlei Vermuthungen zu, wie es bei dem Ereignisse zugegangen sein möge und was es für ein Entsetzen sein müsse, auf einem so wackligen Fahrzeuge in finsterer Sturmnacht zwischen Eisschollen und haushohen Wellen herumgeschleudert zu werden; wußte doch Niemand besser als sie, wie Alles gekommen und wie gräßlich nahe der Rachen des Abgrundes sich vor dem Flosse geöffnet hatte.

Daß außer Sylvest noch Jemand sich auf demselben befunden habe, ward mit keiner Silbe erwähnt, es war klar, er hatte unverbrüchlich davon geschwiegen.

Kuni ahnte und fühlte, daß der Blick des Vaters sie fortwährend von der Seite streifte; sie wandte sich, um ihm nicht zu begegnen, noch mehr ab, sodaß sie gerade die Thür im Auge hatte. Dieselbe ging auf, und der Besprochene trat ein: der Erzähler hatte Recht gehabt, er sah aus wie ein angehender General, und vom Tische begrüßte ihn der laute Zuruf der Gäste, die dem Gegenstande ihrer Bewunderung die Krüge zum Bescheidtrunk entgegenbrachten und zusammenrückend ihn einluden, neben ihnen Platz zu nehmen.

Obwohl die Aufmerksamkeit Aller sich auf den Eintretenden richtete, waren doch seine und Kuni’s Augen die ersten, die sich begegneten. Das Mädchen regte sich nicht; es war unnöthig, daß der Vater unter’m Tischrande nach ihr langte, um sie am Gewande festzuhalten; Sylvest nahm, ebenfalls unverwandten Blickes, den Kalpak vom Kopfe, daß seine Stirn sichtbar wurde und auf ihr eine breite noch blutrothe Narbe. Dann zog er ein Tuch aus dem Helme und fuhr sich damit über die Stirn, um den Schweiß abzutrocknen, der gar nicht vorhanden war. Sie schlug die Augen nieder; es war das Tuch, mit dem sie ihn in der Schreckensnacht verbunden hatte. Darüber gewahrte sie kaum, was er weiter that, aber es war ihr vorgekommen, als habe er das Tuch, eh’ er es verbarg, leicht an den Mund gedrückt.

Unbeweglich und mit gesenkten Augen saß sie, auch als der Ulane, der Einladung folgend, sich an den Tisch gesetzt und alle Anwesenden gegrüßt hatte, als ob Niemand darunter sei, mit dem er irgend je in anderer als freundlicher Weise zusammengerathen war. Der Schlösselhofbauer stieß einen brummenden Laut aus, der eine Erwiderung auf den Gruß sein sollte; erst jetzt wurde in Einzelnen das Andenken an das laut, was man von der Feindschaft, die zwischen Sylvest und Kuni obwalte, gehört hatte, und manch neugieriger Blick flog ihnen zu, des Schauspiels eines neuen Ausbruches gewärtig.

Man erzählte Sylvest, was geschehen war und wie nun zum allgemeinen Leidwesen aller Aufwand zur Hochzeitfeier so gut wie in’s Wasser geworfen war. „Je nun,“ rief er lachend, „da könnte leicht geholfen werden; es braucht ja nichts Anderes, als daß statt des auseinander gelaufenen Brautpaares geschwind ein anderes Hochzeit macht.“

„Als wenn das so leicht wäre!“ rief Einer der Gäste. „Als wenn die Hochzeiten so an der Hecke wachsen thäten, wie die Brombeer’! Mir scheint, es wird heuer kein guter Jahrgang für die Hochzeitleut’.“

„Na, wenn’s nicht gleich eine Hochzeit sein kann, müßte man halt mit einem Stuhlfest vorlieb nehmen; was meinst denn Du dazu, Schlösselbauer?“

Der Angeredete schrak förmlich empor; er sah es kommen, daß der Uebermüthige das zufällige Zusammentreffen zu einem abermaligen ärgerlichen Auftritte benutzen werde, er war kirschroth im Gesichte geworden, während Kuni zur Weiße eines Linnentuches erblich.

„Was willst, übermüthiger Bursch?“ rief er erregt und wie kampfbereit. „Kommst schon wieder mit Deinen spöttischen Reden?“

Sylvest hatte sich erhoben und den Kalpak zierlich auf den linken Arm genommen; so stand er jetzt in stattlicher soldatischer Haltung, als stünde er vor seinem Rittmeister, dem Zürnenden gegenüber. „Hört mich nur an, Schlösselbauer!“ sagte er ruhig, „ich will nicht spotten, aber ich will’s gut machen, daß ich das einmal gethan hab’. Ich hab’ Dir und Deiner Tochter vor vielen Leuten Unrecht gethan. Jetzt bitte ich Dich und sie vor gerad’ so viel Leuten um Verzeihung, und hab’ eine Bitt’ an Dich.“

Der Bauer war wie aus den Wolken gefallen; er bewegte einen Augenblick die Lippen lautlos, ehe er eine Antwort fand.

„Eine Bitt’ – und was sollt’ das nachher sein?“

„Du hast es gehört, was in dem Haus für eine große Verlegenheit ist,“ erwiderte Sylvest launig, „sie brauchen ein paar neue Hochzeitleut’ für die ausgesprungenen. Ich hab’ einmal so ’was läuten hören, daß Du einen Schwiegersohn brauchst, und da will ich Dich fragen, ob Du nit mich annehmen willst dafür?“

Sylvest hatte absichtlich so laut gesprochen, daß alle Anwesenden

es hören mußten, sie drängten von allen Seiten herzu; der Schlösselbauer war unfähig zu sprechen; noch war ihm nicht

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_623.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)