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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

selbst häufig genug der Sitz mannigfacher Uebel ist. Durch diese neue, directe Untersuchung, die alle Theile des Halses für den Arzt genau sichtbar macht, vervollkommnete sich die Kenntniß der Krankheiten ganz wesentlich; besonders gewann die Diagnose einen sicheren Boden, und auch die Therapie, die Lehre von der Heilung, wurde eine fast völlig neue und erfolgreichere. An die Stelle der früheren inneren Behandlung mit Medicin trat auf Grund der directen Besichtigung die örtliche, indem die Heilmittel-Stoffe unmittelbar mit Pinsel oder Instrument in den erkrankten Kehlkopf eingeführt werden. Auf diese Weise gelingt es jetzt, Krankheiten des Halses zu heilen, denen früher nur unvollkommen oder gar nicht beizukommen war, und es ist daher wohl erklärlich, wenn die neue Behandlungsweise rasch das Vertrauen der Aerzte sowie der Kranken gewonnen hat.

Fig. 1. Künstliche Beleuchtung des Kehlkopfes.

Zum besseren Verständnisse hier einige Bemerkungen über die Halskrankheiten selbst. Wenn wir zunächst von denen des Kindesalters (Bräune, Diphtheritis) und den selteneren der Erwachsenen (Lähmungen, Polypen, Krebs) absehen, so sind besonders drei Arten wegen ihrer Häufigkeit und Hartnäckigkeit wichtig.

Fig. 2. Das Innere des Kehlkopfes, im Spiegel besehen.
a. Aufgeklappter Kehldeckel. b. Rechtes Stimmband, der Zwischenraum zwischen beiden: die Stimmritze. c. Raum unter den Stimmbändern: die Luftröhre. d.Seitenwand der Kehlkopfhöhle.

I. Der chronische Katarrh (oder Entzündung), chronische Heiserkeit. Er ist fast immer begleitet von Hustenreiz und Abgang eines zähen, schleimigen oder schleimig-eitrigen Auswurfs, ferner von Schling- und Athembeschwerden (Kurzathmigkeit). Bei geringeren Graden ist die Stimme nur wenig heiser oder belegt, aber immer unrein, rauh und klanglos, und der Kranke leidet an zu reichlichem Schleime im Halse sowie an Beschwerden beim Sprechen; in schwereren Fällen ist dagegen die Stimme dauernd heiser, dabei besteht oft starke Verschleimung sowie schmerzhafte Empfindung, und das Uebel ist dann schwer heilbar. Sein Entstehen verdankt er fast immer einem nicht rein abgeheilten acuten Katarrh. Jeder weiß, wie häufig im Winter und Frühjahr Erkältungen des Halses mit Heiserkeit, Husten etc. sind. Sie werden oft zu wenig beachtet und verschleppen sich deshalb leicht über Wochen und Monate, das heißt sie werden chronisch. Während nun die acuten (frischen) sich bei gehöriger Schonung und Warmhalten rasch verlieren und ohne Gefahr sind, ist der chronisch gewordene Katarrh (Heiserkeit) fast immer ein hartnäckiges Leiden, das im besten Falle leicht Rückfälle macht und nicht selten zu bleibenden Störungen des Stimmorgans (Geschwür, Anschwellung, Lähmung der Stimmbänder) führt. Die Hauptgefahr derselben liegt aber darin, daß sich der chronische Entzündungsproceß des Kehlkopfes längs der Luftwege nach unten fortsetzt und endlich in der Lunge zur chronischen Entzündung, der Lungenschwindsucht, führen kann, welche dann den Schlußact eines vernachlässigten Halskatarrhs bildet. Hierin liegt der Grund, weshalb die Halskatarrhe vom Laien sehr gefürchtet werden; und wenn der Zusammenhang beider Uebel nicht immer augenfällig ist, so trägt daran nur der Umstand die Schuld, daß oft Jahre bis zur Ausbildung der Lungenkrankheit vergehen, und weil das Weitergreifen nach den Lungen nicht von sehr auffälligen Symptomen begleitet ist. Nur zu oft wird der Kranke erst zu spät aufmerksam, wenn nämlich bereits Abmagerung, Entkräftung, eitriger Auswurf oder Blutspucken eingetreten sind und keine Hülfe mehr möglich ist.

II. Die Kehlkopfschwindsucht entsteht meist nur bei gleichzeitiger Lungenkrankheit und ist die gefährlichste Halskrankheit. Wo nämlich Lungenschwindsucht vorhanden, tritt oft Heiserkeit, Stechen und Hustenreiz im Halse, Schmerz beim Schlucken etc. ein, weil sich der gleiche Proceß wie in der Lunge auch im Kehlkopfe entwickelt hat und bald zu eiterigem Katarrh, bald zu Geschwüren und Substanzverlusten führt. Zum Glück tritt dieses so gefürchtete und oft unheilbare Leiden nur selten bei einem sonst gesunden Menschen ein, sondern fast immer nur im Gefolge der vorher vorhandenen Lungenkrankheit. Daß sich aber auch hin und wieder bei ganz Gesunden aus chronischen Katarrhen des Kehlkopfes die schwereren Formen der Kehlkopfschwindsucht entwickeln können, so daß also die Schwindsucht (Geschwürsbildung) im Kehlkopfe zuerst auftritt und sich dann auf die Lungen ausbreitet, wurde bereits oben erwähnt und davor gewarnt.

Hier kann sich der Kranke vor den Schädlichkeiten des Klimas und der Luft nicht genug schützen, und besonders müssen sich Brustkranke sorgfältig vor Rauch, Staub und Zugluft hüten, wenn sie sich vor einem Kehlkopfleiden bewahren wollen. Vor Allem ist aber auch vor dem zu reichlichen Gennß des Lagerbieres und anderer erhitzender Getränke zu warnen, wegen der damit verbundenen Aufregung des Nervensystems und der Herabsetzung der Ernährung. Der Respirator bleibt aber im Winter das beste Schutzmittel, besonders wenn er bei Zeiten und dauernd in Anwendung kommt.

III. Die letzte Kategorie der Halsleiden endlich sind die nervösen, meist hartnäckige, doch nicht gefährliche Uebel. Sie sind ebenfalls charakterisirt durch Beeinträchtigung der Stimme, welche leicht rauh, klanglos, heiser wird, sowie durch Neigung zum Hüsteln und ein Gefühl von Drücken oder von Trockenheit im Halse. Hier liegt weniger ein katarrhalischer Proceß, als eine Erschlaffung der Stimmbänder und ihrer Muskeln zu Grunde; man trifft daher diese „Schwäche“ oder Reizbarkeit der Stimme häufig bei Sängern, Geistlichen und Lehrern, welche die Stimme anstrengen. In Folge dieser Ursachen oder klimatischer Einflüsse, besonders in der rauhen Jahreszeit, treten diese nervösen Uebel bald als Ueberschnappen und Versagen der Stimme auf, wobei oft allerhand schmerzhafte Empfindungen beim Sprechen vorhanden sind, bald als Klanglosigkeit, Heiserkeit der Stimme, oft mit dem Gefühle eines fremden Körpers im Halse verbunden. Hier helfen in der Regel nur Curen mittelst des galvanischen Stromes, sowie eine zweckmäßige Kaltwasserbehandlung, oder auch Selters- und andere Mineralwässer mit heißer Milch getrunken. Von gutem Erfolge sind auch klimatische Curen bei gewissenhafter Schonung der Stimme.

Fig. 3. Kehlkopfspiegel in natürlicher Größe.

Die Technik der Kehlkopfuntersuchung ist nun im Wesentlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_633.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2019)