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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

die folgende. Das Licht einer großen Flamme wird entweder direct mittelst eines großen Hohlspiegels oder, nachdem es durch ein Linsensystem und einen kleinen Hohlspiegel (Tobold’sche Lampe[1], Figur 1) concentrirt worden ist, in die weitgeöffnete Mundhöhle des zu untersuchenden Kranken geworfen, so daß dessen Rachen (Schlundkopf) von den concentrirten Strahlen hell erleuchtet wird. Der Arzt hält nun einen kleinen runden Planspiegel (Figur 3), der an einem längeren Griffe befestigt ist, so an die hintere Rachenwand, daß das in die Mundhöhle fallende Licht herab in die Kehlkopfhöhle geworfen wird, sobald der Kehldeckel durch Aussprechen des Lautes „Ae“ sich geöffnet hat. Dadurch wird dieselbe völlig erleuchtet und der Beobachter kann in dem kleinen Spiegel alle Theile bis herab in die Luftröhre genau abgespiegelt sehen. (In Figur 2 ist das so gewonnene Bild eines gesunden Kehlkopfes dargestellt, unter Beseitigung der aus der schrägen Lage des Spiegels hervorgehenden Verkürzung.) Noch günstiger ist das Sonnenlicht, das man entweder direct oder mittelst eines Planspiegels in den Hals fallen läßt.

Auf diese Weise gelingt es ohne Schwierigkeit, nicht blos die Krankheitserscheinungen (Entzündung, Anschwellung, Geschwür, Neubildung etc.) genau nach Sitz und Ausbreitung zu erkennen, sondern auch die Heilung durch unmittelbar dahin eingeführte Substanzen (vermittelst Einpinselung) zu bewerkstelligen. Am meisten hat sich diese Behandlung bisher bei der chronischen Heiserkeit, in Folge von Katarrh, wenn es noch nicht zu Geschwüren an den Stimmbändern etc. gekommen, bewährt, und hier übertrifft diese Behandlung jede andere an Sicherheit, weil durch das Einpinseln zusammenziehender Stoffe die Auflockerung und Absonderung der Schleimhaut am besten beseitigt wird. Durch die Beleuchtung des Kehlkopfes ist es ferner möglich, schneidende und kneipende Instrumente in denselben einzuführen, um kleine Geschwülste (Polypen) etc. auszurotten oder einen dahin verirrten Gegenstand (Gräte, Knöchelchen etc.) herauszuholen, oder endlich Geschwüre, die in Folge gewisser sexueller Leiden entstehen, mit ätzenden Mitteln zur Verheilung zu bringen. Nicht minder erleichtert der Kehlkopfspiegel die Behandlung mittelst des galvanischen Stromes, welcher bei Lähmung der Stimmbänder, wie sie nach Diphtheritis oder nach großer Anstrengung der Stimme nicht selten zurückbleibt, sowie bei nervöser Heiserkeit, angewandt wird. Noch ist freilich viel zu thun übrig: die schlimmsten Erkrankungsformen, besonders die mit Geschwürsbildung verbundenen und von Lungenkrankheiten begleiteten, sind zur Zeit noch meist unheilbar. Ihre Beseitigung glückt nur im Beginne der Krankheit, und darin liegt die ernste Mahnung bei verdächtigen Beschwerden, möglichst bald Hülfe zu suchen und vor Allem einen Respirator zu tragen sowie auch rauch- und staubgefüllte Räume unbedingt zu meiden.

Besonders ist aber die arbeitende Classe vor dieser schlimmsten Geißel der Menschheit zu warnen, weil sie unter ihr die meisten Opfer sucht. Der Grund davon liegt nicht blos darin, daß diese den Ursachen der Lungenkrankheit am meisten ausgesetzt ist, sondern gewiß auch in der großen Gleichgültigkeit, mit der man beginnende Leiden behandelt, und zum nicht geringen Theile ist auch die Abneigung schuld, welche jetzt Viele der unteren Stände gegen die wissenschaftliche Heilkunde erfüllt, sowie die Eitelkeit, Alles besser wissen zu wollen als der Arzt. Erst nachdem die für die Heilung günstige Zeit mit unnützen Quacksalbereien verloren worden ist, und die Krankheit das Leben bedroht, wird ärztliche Hülfe gesucht; so erklärt sich die traurige Wahrnehmung, die auch ich leider nur zu häufig in meiner Klinik für Halskranke gemacht habe, daß die Kranken erst dann zur Behandlung kommen, wenn sie unheilbar sind. –

Da nun die Heilung im entwickelten Stadium so schwierig ist, kommt Alles auf vorbauende Maßregeln an. Als wirksam haben sich im Anfange sowohl bei der Schwindsucht der Lungen wie des Kehlkopfes, im Uebrigen richtige Diät und Schonung vorausgesetzt, Einathmungen von Tannin, Salmiak- oder Kochsalz erwiesen, und neuere Erfahrungen haben gezeigt, daß vor diesen Stoffen die wegen ihrer desinficirenden Kraft jetzt viel angewendete Carbol- und Salicylsäure noch den Vorzug verdienen, welche, gehörig mit Wasser verdünnt, als Inhalation aus einem Einathmungsapparate mit bestem Erfolge im ersten Stadium dieser Krankheiten angewendet werden. Sind sie auch in vorgeschrittenen Fällen kein Heilmittel, so doch bei Beginn des Leidens das beste Schutzmittel, da sie die krankhafte (eiterige) Absonderung der Schleimhaut beseitigen und so den Husten und Auswurf am rationellsten bekämpfen. Jedenfalls ist von ihnen mehr zu erwarten, als von den sonst üblichen innerlich zu nehmenden Arzneistoffen, die den Hustenreiz nur zu lindern vermögen.

Selbstverständlich müssen diese Einathmungen unter Leitung eines Arztes und längere Zeit hindurch angewendet werden; ich bemerke ausdrücklich, daß sie nicht dann noch Wunder thun können, wenn bereits Geschwürszerstörungen im Kehlkopfe und in den Lungen eingetreten sind und der Organismus durch Fieber und Nachtschweiße zerrüttet ist. Am besten wirken sie im Beginne der Krankheit, wo die Kräfte noch gut erhalten sind, vorausgesetzt, daß der Kranke sonst vernünftig lebt und sich gehörig schont. Ich empfehle übrigens damit keineswegs eine neue Behandlungsweise, da sie schon längst und von vielen Aerzten gehandhabt wird; wohl aber ist ihre Anwendung insofern eine beschränkte geblieben, weil sie unbequemer ist als das Einnehmen von Medicin, und weil die Apparate nicht überall zu haben sind.

Auch gehört ja die Anwendung der Carbolsäure und besonders der Salicylsäure erst der jüngsten Vergangenheit an, da man erst seit kurzer Zeit ihre bedeutende antiseptische (fäulnißwidrige) Kraft zur Heilung zahlreicher Krankheitsprocesse verwerthen gelernt hat, und es ist begründete Aussicht, daß die Heilkunde mit dieser neuen Behandlungsweise, welche ihren Erfinder, Professor Lister, zunächst durch die Behandlung der Wunden so rasch berühmt gemacht, noch manchen schönen Sieg in der Heilkunde feiern wird.

Noch auf einen Hauptfehler in der Lebensweise der Brustkranken möchte ich aufmerksam machen: Die Kranken suchen den Ausfall der Kräfte und den Verlust des Appetites durch Reizmittel (scharfe, pikante, sehr gesalzene Speisen, in den niederen Classen durch Spirituosen) zu decken; das ist verkehrt und sehr nachtheilig. Die Reizmittel vermehren den Magenkatarrh, und die Nahrung geht dem Körper nicht zu Gute. Kräftige Kost ist wohl nöthig, aber leicht verdaulich muß sie sein, denn die Erhaltung des Appetits geschieht am besten durch passende Diät. Diät leben heißt aber freilich oft den liebsten Genüssen entsagen, und dazu will sich Arm und Reich nur schwer verstehen.

Dr. Klemm.



Die Kreuzesschule in Oberammergau.

Ein seltsamer Zug war’s, der sich vor einigen Wochen die Landstraße am Starnberger See dem Gebirge zu bewegte und überall eine verwunderte Menschenmenge an sich lockte, als da waren: Bauern, die Mund und Nase aufsperrten, elegante Sommergäste, der Herr Pfarrer und die Schuljugend bis zum kleinsten Kinde herunter, kurz Alles, was eine halbe Stunde weit laufen konnte, um dem riesigen Ungethüme, der eigens zu diesem Zwecke gebauten Massei’schen Straßenlocomotive, ein Stück Weges das Geleit zu geben. Sie schleppte keuchend einen zehn Fuß breiten eisernen Wagen nach, dessen dreihundert Centner schwere Last, in ein kolossales Balkengerüst eingeklammert und von Blumenkränzen und wehenden Fahnen bedeckt, fremdartig genug durch die Landschaft zog.

Es war der große Christus, die Mittelfigur zur Kreuzesgruppe, die König Ludwig der Zweite der Gemeinde Oberammergau als Anerkennung für das Passionsspiel von 1871 geschenkt hat und die solchergestalt aus des bekannten Meister Helbig’s Atelier in München über Berg und Thal den schwierigen Weg nach ihrem

Bestimmungsorte nahm. Die letzte Strecke, besonders der bekannte entsetzlich steile Ettaler Berg, wo sämmtliche Passionsspiel-Reisende

  1. Vergleiche die Abbildung, die mit gütiger Erlaubniß der Verlagshandlung dem „Lehrbuche der Laryngoskopie“ von Dr. A. Tobold (Berlin, Hirschwald) entlehnt ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_634.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)