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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

gewiß viel Geplagte ein freundliches Wort. Als ich ihn zu Hut und Stock greifen sah, um in Begleitung seiner Gattin einen Spaziergang über den Festplatz und durch den Wald zu machen, trat auch ich auf ihn zu, grüßte ihn und bat um die Erlaubniß, mich ihm bei seinem Gange anschließen zu dürfen, was er freundlich gewährte. Die mannigfachen Ausschmückungen des Festplatzes schienen nicht gerade den besondern Beifall des alten Herrn zu besitzen, welcher wohl der Ansicht sein mochte, daß der rings den Festplatz umrahmende Wald den besten Schmuck abgebe; und in der That nahmen sich denn auch schon jetzt die theilweise noch von dem vergangenen Tage herrührenden und allmählich welkenden Kränze und Guirlanden seltsam genug neben dem frischen Laubgrün des Eichwaldes, dem sie entnommen waren, aus. Bald verließ ich den Gefeierten, der von immer neuen Andringlingen in Anspruch genommen ward.

Je weiter der Tag fortschritt, um so bunter wurde das Bild des sich hier oben entwickelnden Lebens, und erst der nahe Abend führte die fremden Gäste wieder zu der freundlichen mit Fahnen, Kränzen und Laubgewinden festlich geschmückten Lippe’schen Residenz hinab, wo man jetzt die Ankunft des Kaisers erwartete.

Gegen seine Gewohnheit ließ der Kaiser diesmal ziemlich lange auf sich warten. Endlich, es war etwa sieben Uhr, da dröhnte der erste Kanonenschuß durch die Luft; mit feierlichem Klange fielen die Glocken ein und donnernder Jubelruf brauste durch die menschengefüllten Straßen. Wenige Minuten später erschien der Kaiser, welcher zuvor am Thore von den Vertretern der Stadt und einer Schaar weißgekleideter Jungfrauen begrüßt worden war, in einem von vier prächtigen Isabellen gezogenen Wagen in der Biegung der Straße, neben ihm der Fürst zur Lippe. Auf’s Neue brach der Jubel los, welcher sich gleich einem Echo beim Erscheinen des im zweiten Wagen sitzenden Kronprinzen wiederholte und die hohen Gäste bis zu ihrer Einfahrt in den Schloßhof begleitete. Mit dem Eintritte der Nacht stiegen rings von den Höhen mächtige Feuergarben empor, den morgenden Festtag weithin über das Land verkündend.

Lange noch tönte der Jubel der Menge um das alte Schloß, und wiederholt trat der Kaiser, für die ihm geltenden Zurufe freundlich dankend, an das Fenster, so daß endlich ein altes lippisches Bauernmütterchen, in großer Entrüstung darüber, daß man den Kaiser immer von Neuem störte, ärgerlich ausrief: „Nee, nu is et genaug, de oole Mann möt sin’ Ruh häbben, hei kann ja kaum en Bieeten eeten! Loatet doch nu mal den Jungen kommen!“

Endlich ist der Jubel verrauscht, und nächtliche Stille ruht über dem Städtchen.

Der Festtagmorgen brach an, die Straßen wachten auf und lange vor dem Abmarsche des officiellen Festzuges begann der Zug des Volkes zum Berge. Wo der Weg am Fuße des Teutberges in den Wald einbiegt, erhob sich ein stattlicher Ehrenbogen, mit welchem dort die Söhne des Waldes den Kaiser beim Eintritte in ihr Reich empfangen. Dunkles Tannengezweig bildete das Material zu dem Bogen, der mit prächtigen Geweihen und einer interessanten Sammlung von Jagdwaffen, von der Saufeder und dem mittelalterlichen Radschloßgewehre bis zu dem modernen Hinterlader geschmackvoll decorirt war. Einen originellen und wirklich höchst malerischen Schmuck des Bogens aber bildeten vier kräftige Jägergestalten, welche je rechts und links, hüben und drüben, das Gewehr im Arme und den Schweißhund am Leitriemen, als lebende Statuetten in den mit braunem Haidekraute drapirten Nischen aufgestellt waren. Damit nichts an dem Bogen sei, was nicht dem Walde entstammte, hatte man sogar das in mächtigen Lettern über dem Bogen prangende „Willkommen im Teutoburger Walde“ aus Birkenrinde gefertigt, deren schneeiges Weiß sich wirksam gegen das dunkle Tannengrün abhob. Dieser wirklich prächtige Bogen, an welchem der Kaiser bei Fahrt zum Denkmale von achtzig lippischen Forstbeamten unter Führung ihres Chefs, des Forstmeisters Feye, mit dem klangvollen Waidmannsrufe „Ho-rü-do!“ empfangen wurde, erregte dessen lebhaftes Interesse, so daß er einige Zeit vor demselben halten ließ.

Nun aber hieß es für uns sich eilen; um noch vor dem Kaiser zur Höhe des Berges zu gelangen. Wir schlossen uns einer Schaar frischer, junger Forstleute an, und mit ihnen ging’s „auf wildverwachsenen Wegen, die noch kein Fuß betrat“, steil hinauf. Wohl zwanzig Minuten waren wir, ohne aufzublicken, bergan gestiegen; da lichtete sich der Tann – wie Wetterstrahl leuchtet es durch die Wipfel: das Erzbild Armin’s vom Glanze der Morgensonne umstrahlt. Noch wenige Schritte, und wir sind auf der Höhe. Wie das dort vor uns lebt und wogt! „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?“

Auch ohne daß wir nach der engeren Heimat fragen, verräth uns der Laut der Sprache die Manigfaltigkeit der Landsmannschaft. Jedes Eckchen des großen deutschen Vaterlandes zählte seine Söhne hier; und daß auch das neue deutsche Reichsland nicht fehlte, zeigte uns das dort drüben luftig im Winde flatternde Turnerbanner von Straßburg, dem der unter dem Jubelrufe der Menge dort angelangte Kaiser seinen Gruß zuwinkte. Es war ein wahrer Wald von Bannern, die dort mit lustigem Wehen den Kaiser grüßten. Das wallte und flatterte in allen Formen, Farben und Zeichen: die meist schlichternste Fahne des Kriegers neben dem reichgestickten Banner des Sängers und Turners. Selbst von jenseits des Meeres waren sie herübergekommen, die Söhne Deutschlands; und wenn sie auch jetzt das Sternenbanner der neuen Heimath zum Gruße an das alte Vaterland flattern lassen – die Herzen sind deutsch geblieben!

Das Bild, welches sich jetzt dem Auge bot, bedürfte des Malers, um es in seiner bunten Mannigfaltigkeit und großartigen Eigenthümlichkeit wieder zu geben: Dort, gegenüber dem Bandelhäuschen, unter dessen blumengeschmückter Veranda der „Alte vom Berge“ neben seiner greisen Gattin, von seinen Kindern und Freunden umgeben, steht und mit freudig-bewegtem Blicke auf sein vollendetes Werk hinsieht, gewahren wir auf der mit Laubgewinden und Fahnen geschmückten Hoftribüne den Kaiser mit seinem Sohne, umgeben von einem Kranze fürstlicher Herren und Damen, so wie den Vertretern der Regenten von Sachsen, Bayern, Hessen und Baden; dahinter ein zahlreicher im Glanze von Orden und reichen Uniformen strahlender Hofstaat. Hüben und drüben, zu beiden Seiten, dichtgefüllte Tribünen. Den Raum zwischen der Kaisertribüne und der Bandelhütte nimmt der Festzug ein, dessen Vorhut, die sechszehn Horn’schen-Schlachtschwertirer in ihrer romantisch-mittelalterlichen Tracht, mit Panzerhemden und sechs Fuß langen Schlachtschwertern, gleichzeitig die Ehrenwache des Kaisers bildete. Der Ursprung dieser seltsamen Schaar reicht bis weit in das Mittelalter zurück, wo der Sage nach die Bürger des unweit Detmold gelegenen Städtchens Horn einst ihren Edelherrn, einen Vorfahren des jetzigen Fürsten, mit bewaffneter Hand aus der Gefangenschaft befreiten. Zur Erinnerung daran sind die bei dieser That gebrauchten Waffen und Rüstungen aufbewahrt und auf Kind und Kindeskinder vererbt; sie bilden bei feierlicher Gelegenheiten noch heute den Ehrenschmuck der dazu berechtigten Bürger. Neben diesen ernsten Gestalten, meist älteren Männern, zeigen sich die jugendlichen Gestalten der Turner und Studenten, letztere in vollem Wichse, mit Schläger und Federbarett; neben und hinter diesen die übrigen Mitglieder des Festzuges, und weiter hinaus, Kopf an Kopf gedrängt, die bunte, fröhliche Menge, welche bis hinauf zum Denkmal den weiten Raum füllt und noch auf den Stufen des Unterbaues Platz gefunden hat, während Der, dem alles dieses gilt, unbekümmert um das Treiben zu seinen Füßen, ruhig von seiner Höhe hernieder schaut. Den Rahmen zu diesem farben- und gestaltenreichen Gemälde bildet der das Ganze umschließende prächtige Eichwald, in dessen Wipfeln, wie auf dem Dache des Bandelhäuschens, eine Schaar kühner Kletterer ihren Platz gewählt hat; und über dem Allen wölbt sich der von goldigem Sonnenlichte durchstrahlte Himmel, an welchem lichte Wölkchen dahinsegeln.

Die ihrem Inhalte nach wirklich schwungvolle und von patriotischer Wärme getragene Festrede vermochte, da sie leider nur von Wenigen verstanden wurde und deshalb mehrfach zu Aeußerungen der Ungeduld Anlaß gab, die Feststimmung allerdings nicht zu erhöhen; doch bedurfte es dessen auch nicht, denn als nun der Weiheact selbst durch Entfalten der Reichsfahne und Kanonendonner unter Jubelrufe der Menge vollzogen war, hätte Nichts die Weihe des nun folgenden Augenblicks überragen können. Von dem Adjutanten des Kaisers geführt und auf den Arm seines Sohnes gestützt, schreitet dort der ehrwürdige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_639.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)