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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Zuschauer zu werfen aber der „unverfrorene“ Berliner fing diesen mit der Hand auf. Jacob Nielson, ein etwas blasser Jüngling, ist noch in der Entwickelung seiner Fähigkeiten, denn das Lassowerfen versteht er z. B. noch lange nicht so meisterhaft wie sein Vater. Sie haben mir übrigens alle als Modell gesessen.

Sehr tactvoll benahm sich Frau Rasti beim Empfange des oben erwähnten Markstückes. Da sie gesehen, daß ich einige Geräthschaften gemalt hatte, holte sie jetzt unaufgefordert aus einer verschließbaren Kiste eine kupferne Kanne in der Form eines Theekessels und ein Geräth zum Reinigen der Innenseite der Rennthierfelle und legte mir beides zum Malen vor. Ihr Mann hatte, als sie ihm das empfangene Geld reichte, keinen Blick, kein Wort für mich; er drehte das Geldstück in der Hand herum, bis ihm die Gattin dasselbe weg und an sich nahm. Jacob aber belohnte mich für seinen Vermögenszuwachs mit einem deutlichen, bereits gelernten „Danke!“, Lars als der fortgeschrittenste sogar außerdem mit einem freundschaftlichen Händedrucke.

In Hamburg wurden die Lappländer vierzehn Tage lang von ihrer Ankunft an gezeigt, und der Zudrang war so ungeheuer, daß an einem Sonntage Schutzmannschaft mußte zu Hülfe genommen werden, um denselben abzuwehren. Jetzt, bei Abfassung dieser Zeilen sind unsere nordischen Gäste in Berlin. Wie schon erwähnt, hat Herr Hagenbeck die Rennthiere und das sämmtliche Geräth, sowie viele Kleidungsstücke käuflich erworben, und wenn die Leute noch länger zu halten sind, wird er Alles auch in einigen anderen Städten Deutschlands zur Schau stellen.

L.



Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin.
Von Otto Glagau.
11. „General-Entreprise“.


„Generalentreprise“ und „in Regie bauen“ sind Gegensätze. Eine Bahn wird „in Regie“ gebaut, wenn sie die betreffende Gesellschaft selber und mit baarem Gelde baut. Bei der „Generalentreprise“ dagegen wird nicht nur die ganze Ausführung des Baues, sondern auch die Beschaffung des Bahnkörpers, der Ankauf des Terrains einem General-Unternehmer überlassen, und die Gesellschaft bezahlt ihn mit Papier, mit ihren Actien, die er nun verwerthen mag. Er kann sie nur verwerten an der Börse, mit Hülfe von Banken und Bankhäusern, die sie ihm entweder lombardiren (beleihen), oder zu einem bestimmten Course, natürlich stets unter Pari (100), abnehmen, und die nun das Publicum damit beglücken. Der General-Unternehmer erleidet bei Versilberung der Actien einen Verlust, der sich auf 20, 30, ja 50 und mehr Procent stellt; ferner muß er die Gründer der Bahn abfinden, denen er „Provisionen“ von Hunderttausenden oder gar Millionen zahlt, und endlich hat er den Actionären jahrelang „Bauzinsen“ zu gewähren. Selbstverständlich wird mit Rücksicht auf diese Ausfälle und Abzüge das Actiencapital möglichst hoch gegriffen, so hoch die Regierung es irgend gestattet. Die Gründer dingen und feilschen förmlich mit der Regierung und wissen sie durch eine Menge von Pfiffen und Kniffen regelmäßig zu täuschen, oder sie setzen eine nachträgliche Erhöhung des Actiencapitals durch. Eine Bahn, die in „Generalentreprise“ gegeben wird, kostet den Actionären gewöhnlich noch einmal so viel wie eine solche, die „in Regie“ gebaut wird, und ihre Ausführung ist weit unsolider. Der Generalunternehmer sucht bei den Materialien wie bei den Arbeiten nach Möglichkeit zu sparen, und da er seine Agenten, Lieferanten, Handwerker etc., wenigstens zum Theil, auch mit Actien bezahlt, stellen diese die höchsten Preise und leisten dafür das Allernothdürftigste.

Die „Generalentreprise“, wie man sieht, ein ebenso unreelles wie unmoralisches Verfahren, wurde von Strousberg erfunden; oder eigentlich, da sie in England und Frankreich schon früher bestand, von ihm nach Deutschland verpflanzt. Strousberg war lange Jahre der Günstling des preußischen Handelsministers, des arglosen Grafen Itzenplitz; als dieser aber das wahre Wesen der „Generalentreprise“ endlich errieth, wurde der „Eisenbahnkönig“ ihm unangenehm, und es ist nun fast komisch zu sehen, wie der Minister bei späteren Eisenbahn-Concessionen sich den großen „Doctor“ ausdrücklich verbittet, wie aber trotzdem hinterher fast immer wieder Strousberg oder doch die „Generalentreprise“ zum Vorschein kommen. Denn im Laufe der Zeit hatte sich das „System Strousberg“ zu einer Schule ausgebildet, und der „Culturheros“ fand Nachahmer und Concurrenten.

Ein solcher Generalunternehmer war auch der Baumeister Ferdinand Pleßner, der im Wege der „Generalentreprise“ eine Reihe von Bahnen baute, sich im März 1870 von Löb Eltzbacher, Mendelssohn-Bartholdy, Albert Borsig, Adalbert Delbrück, Ferd. Güterbock, Jul. Alexander, Theodor Hertel und Genossen in eine „Commanditgesellschaft auf Actien“ verwandeln ließ, und damit den Titel „Bau-Director“ annahm. Das Unternehmen galt für solide und vielverheißend; die Actien stiegen bis 180, wurden von den Banquiers in gutem Glauben ihren Kunden empfohlen und vom Publicum mit Vorliebe genommen. Man erhöhte das Actiencapital von ursprünglich 1½ auf 3 und dann auf 4½ Millionen Thaler und vertheilte in den Jahren 1870 bis 1872: 5, 11 und respective 14 Procent Dividende. Nach dieser Glanzperiode schied der zweite Gesellschafter Landrath a. D. Schubarth aus, und es traten für ihn ein: Rechtsanwalt Krönig aus Herford und Baumeister Gottheiner. Mit den Dividenden war es vorbei, und im Januar 1875 mußte der Concurs eröffnet werden. Die Activa der Masse betragen circa 500,000 Thaler, die Passiva circa 7,000,000 Thaler. Von den Passivis oder Schulden sind aber durch Pfänder gedeckt 4 Millionen Thaler, und zu diesen glücklichen Pfandgläubigern gehören auch die Mitgründer Mendelssohn und Comp., Delbrück, Leo und Comp. Die andern Gläubiger haben etwa 10 Procent, unter Umständen auch nur 3½ Procent zu erwarten. Der Concurs ist wahrscheinlich viel zu spät angemeldet; jedenfalls hätte die Gesellschaft längst liquidiren müssen, und sie ist zu diesem Schritte auch schon vor Jahr und Tag sowohl von Gläubigern wie von Actionären gedrängt worden. Die im Mai 1874 veröffentlichte Bilanz ergab noch einen Vermögensrest von 45 Procent! Nun ist das ganze Actiencapital von 4½ Millionen Thaler verschwunden; die Actien sind Maculatur, aber sie werden, wie erwähnt, an der Börse noch immer gehandelt.

In einer hiesigen Börsenzeitung erschien vor Kurzem ein Inserat, welches an die Gründer Mendelssohn, Delbrück, Borsig etc. die Frage richtete, ob sie es der Ehre halber nicht für geboten erachteten, jetzt, nach Ausbruch des Concurses, folgende von der Gesellschaft bezogene Posten zurückzuerstatten: a) ihren Gründergewinn, b) die bei der zweiten Emission zu 120 eingesteckten 20 Procent Agio, c) das Agio bei der dritten Emission, d) die pro 1872 eingesteckten 88,000 Thaler Gratification an Verwaltungsrath und Direction. – Antwort ist nicht erfolgt.

Nach dem „Krach“ fing Herr Pleßner an, sich fast überall und immer zu seinem Nachtheile zu „verrechnen“. Er verrechnete sich bei Erfurt–Hof–Eger, bei Oels–Gnesen, Altenburg–Zeitz und bei vielen anderen Bahnen. Die an Zahlungsstatt übernommenen Actien sanken fortwährend im Course und waren zum Theil gar nicht mehr zu versilbern. Ein Vertrag nach dem andern mußte mit schmerzlichen Opfern gelöst, große Posten Actien mußten zurückgeliefert und hohe Cautionen im Stiche gelassen werden. Die Jahre des Börsen- und Gründungsschwindels hatten die „Generalentreprise“ groß gezogen wie den Kürbis des Propheten Jona – wir beziehen, wenn wir von der Börse sprechen, unsere Gleichnisse gern aus dem Alten Testament – aber der „Krach“ stach ihr in’s Haupt und ließ sie in einer einzigen Nacht verdorren.

Zu den Bahnen, gegen welche der Abgeordnete Lasker seine Angriffe richtete, gehört auch Berlin–Dresden, und die Special-Untersuchungscommission hat sich auch mit ihr beschäftigt. Sie wurde 1872 von folgenden Herren gegründet:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_744.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)