Seite:Die Gartenlaube (1875) 749.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 45.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Der Doppelgänger.
Erzählung von Levin Schücking.
1.

„Ihr habt Euch doch durch all die böse Zeit Eure wunderschönen Eichen gerettet, Meyer Jochmaring; es ist eine Pracht, wie weit sie mit den alten Aesten ausgreifen, bis über den Wasserspiegel hinaus.“

Diese Worte sprach eine schlanke und zierlich gewachsene, einfach gekleidete junge Dame, deren Züge eine auffallende aristokratische Schönheit zeigten, zu einem reckenhaften alten Bauern, der in einer grauen Zwillichjacke und dunkeln manchesternen Kniehosen mit Zinnschnallen neben ihr auf einer Bank unter den gerühmten Eichen saß.

Sie hatte Recht; diese Eichen waren von merkwürdiger, malerischer Schönheit; sie standen auf dem Baumanger hinter einem sehr langen strohgedeckten Bauernhause, das ganz pittoresk auf einer Art breiten Halbinsel lag. Ein schmaler Fluß umgab nämlich das Gehöft mit seinen fünf oder sechs verschiedenen Gebäulichkeiten und trat ziemlich dicht an die Rückseite des Wohnhauses heran.

„Mein Vater,“ fuhr die Dame fort, „gäbe viel darum, wenn er eine solche Baumgruppe in seinem Parke hätte.“

Der Bauer sah mit einem zufriedenen Blicke zu dem dichtbelaubten Geäste auf und sagte dann lächelnd: „Es ist wahr, die Bäume sind schön. Und was Euer Vater in seinem Parke hat, das sind auch schöne Bäume; aber es ist meist um des schnellen Wachsens willen gepflanzt und ist kein solches Eichenholz. Und was Eure Wälder angeht, nun ja, damit kann sich Unsereins nicht messen; ich hab’ mir sagen lassen, daß vierzig- bis fünfzigtausend Morgen Wald zum Fürstenthume gehören, aber solche Eichen sind jetzt auch da nicht mehr zu finden. Waren schon da, waren viele da, zu Eueres Großvaters Zeiten; seitdem aber …“

„Seitdem,“ sagte mit einem Seufzer das junge Mädchen, „hat der Sturm der Zeit sie mit fortgenommen.“

Der Bauer nickte. „An diese da,“ fuhr er dann fort, „kommt mir der Sturm der Zeit nicht. Nur wenn ein Meyer stirbt auf dem Jochmaringhofe, dann geht eine von ihnen mit ihm zu Grabe, dann wird eine von ihnen gefällt, daß er in seinem eigenen Holze weggetragen werden kann; wenn eine Axt wider Eichenholz klingt auf dem Hofe des Meyer’s von Jochmaring, dann ist’s ein Zeichen, daß der Meyer todt ist.“

„Ich weiß es,“ sagte die Dame. „Ihr haltet die alten Bräuche in Ehren. Und ein alter Brauch ist’s auch, denke ich, daß der Meyer Jochmaring zu seinem Fürsten steht und ihm hilft, wo er vermag, und so wieder der Fürst dem Meyer; Ihr wäret damals von den Franzosen nicht losgekommen, als Euer Sohn sich vor der Conscription verborgen hatte; wäre der Fürst nicht selbst hingereist, um den General Dusaillant zu bewegen, daß sie Euch losließen.“

„Ja,“ sagte der Bauer, „der Fürst ist selber darum hingereist und hat’s gutzumachen gewußt. – Ich habe ihm die Reisekosten ersetzt,“ setzte er dann hinzu.

Ueber die Züge der Dame legte sich ein Ausdruck von Unwillen; sie mochte Undank, vielleicht auch einen Ton von Sarkasmus heraushören aus dieser Antwort. Doch sprach sie nicht aus, was sie leicht erröthen machte; sie fuhr nur fort:

„Er hat das wohl schwerlich verlangt, denn der alte Brauch ist, daß Einer zum Andern steht, ohne darüber abzurechnen.“

„Und Ihr beginnt doch zu rechnen,“ sagte der Bauer mit verschmitztem Lächeln.

„Ich wollte es Euch nicht vorrechnen, sondern nur daran erinnern, weil ich mich gern erinnere, und es nichts Geringes ist, solch uralter Zusammenhang der Dinge und der Menschen. Sind doch nun schon tausend Jahre vergangen, seitdem die Enkel Wittekind’s auf der Stelle sitzen, auf der wir noch heute wohnen und die wir seitdem als unser Erbgut inne gehabt haben, und ebenso lange ist’s her, daß die Enkel Dessen, der mit Wittekind als seinem Gefolgsherrn in die Schlacht zog, auf diesem Hofe sitzen und daß Beider Blut getreulich zusammengehalten hat.“

„Das ist an Dem, Prinzeß, das ist wahr,“ sagte der Bauer kopfnickend; dann aber die Brauen zusammenziehend, setzte er hinzu: „Aber Ihr Leute vom Schlosse da drüben erinnert Euch immer dessen am lebhaftesten, wenn Meyer Jochmaring den Beutel aufthun soll. Nehmt’s nicht ungütig, Durchlaucht!“

„Ihr seid boshaft,“ versetzte die Durchlaucht leicht erblassend und die Lippen beißend; „glaubt Ihr, der Gang zu Euch sei mir leicht geworden? Ihr solltet mir ihn nicht erschweren!“

Eine Pause folgte. Der Bauer räusperte sich, zog eine kurze Pfeife aus der Seitentasche, und dann wie in Gedanken, daß er sie doch in Gegenwart der Durchlaucht wohl nicht anzünden dürfe, steckte er sie rasch wieder ein und sagte: „Für Euren Bruder, den Prinzen Adolf, also?“

„Für ihn, wie ich Euch sagte, da die Franzosen ihn trotz der Militärfreiheit, die ihm als einem deutschen Fürstensohne gebührt, zum Dienste zwingen, zu ihrer Garde d’Honneur, wie sie es nennen, worin sie die Söhne der angesehensten Leute im Lande aufnehmen, damit, wie sie sagen, ihr Kaiser eine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_749.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)