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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

daraus entstehen. Da ist das einzige Gescheidte, das Nächstliegende, das ganz Natürliche, daß Uffeln in die Familie eintritt, daß er Adelheid heirathet. Damit ist Alles geschlichtet, jedem möglichen Conflicte der beiderseitigen Interessen für die Zukunft vorgebeugt. Und für Adelheid selbst ist es doch auch ein Glück, heirathen zu können, ohne darum das Elternhaus verlassen zu müssen …“

„Heirathen – einen fremden Menschen, den sie nicht mag, nicht will … ich bitte Dich, Oheim, sprich das Wort nicht aus, ruf’ mir diese Vorstellung nicht wach, oder Du machst mich rasend.“

„Deine Raserei wird sich legen müssen – und am ersten, denk’ ich, legt sie sich, wenn Du bedenkst, daß solch eine standesmäßige Heirath mit ihrem Vetter eine viel dauerhaftere Bürgschaft für Adelheid’s Glück ist, als wenn sie Dich nähme und aus ihrem schönen alten Schlosse zu Dir in Dein bescheidenes Bürgerhaus zöge – es gehört zu den besten, wohleingerichtetsten, Vermögen hast Du auch, ich weiß, ich weiß – aber solch einem adeligen Gemüthe genügt auf die Dauer die solideste und respectabelste Bürgerlichkeit nicht, und …“

„Ach, das ist ja Alles keine Vernunft, was Du da redest, Oheim, sondern das lautere destillirte Philisterthum,“ fiel Adolf ihm in’s Wort. „Ich bin Adelheid’s Neigung sicher; sie hat mir gestanden, daß sie kein größeres Lebensglück verlange, als ein Leben an meiner Seite, und Bürgerlichkeit oder Adel haben damit Nichts zu schaffen. Was aber damit zu schaffen hat, das ist Adelheid’s Gesundheit; diese ist angegriffen, und wenn man sie zwingt, sich gegen ihre Neigung zu verbinden, wenn man ihrem Gefühle, ihrem Herzen, ihrem innersten Leben Gewalt anthun will, so schleudert man sie dem Tode in die Arme. Das muß ich als Arzt wissen.“

Der Justitiar schwieg eine Weile.

„Freilich,“ sagte er dann, „wenn Gott Aesculap sich als Vermittler in die Sache mischt, muß ich schweigen. Dem Herrn Neffen habe ich als Mittel gegen seine Verzweiflung Vernunft angerathen – gegen Frauenkrankheiten ist dieses Mittel nicht wirksam. Uebrigens kommt mir Deine Prognose ein wenig mehr leidenschaftlich als wissenschaftlich vor.“

„Nein, nein, das ist sie nicht,“ rief Adolf aus, „ich weiß, welch zartes Wesen Adelheid ist, wie tief sie empfindet und wie sehr ihr Wohlsein von einer ungetrübten Seelenruhe abhängt. Hat sie sich nicht in den letzten Monaten ganz außerordentlich wohl befunden? Waren nicht alle krankhaften Symptome der Anämie bei ihr verschwunden? Nun wohl, das trat ein mit dem Augenblicke, wo wir Beide uns gegen einander ausgesprochen hatten, wo ich ihr meine Leidenschaft für sie bekannte, wo der Zustand von peinigender Seelenunruhe aufhörte, der immer …“

„Bald ‚himmelaufjauchzend‘, bald ‚zum Tode betrübt‘ macht,“ fiel der Justitiar ein. „Nun ja, ich beuge mich, wenn Du’s so auf empirisch wissenschaftlichem Wege festgestellt hast, kann Dir dann aber nicht den geringsten Rath geben. Frau von Mansdorf bringst Du von ihrem Plan und Beschluß nicht ab, wenn es Dir auch gelingen könnte, ihren Gatten zu erweichen. Er ist nur leider nicht das bestimmende Princip im Hause, und sie ist sonst auch eine brave Frau; nur übt auf ihren Willen fremder Widerstand eine chemische Wirkung aus; wenn Beide zusammen kommen, so entwickelt sich eine böse Säure in ihr, und die krystallisirt sich dann zur störrigen Hartnäckigkeit eines Maulesels. Im Grunde werden Beide, der Mann wie die Frau, von Herrn Fäustelmann gelenkt, dieser lebendigen Beschämung unserer Philosophie, die sich von gewissen Dingen bekanntlich nichts träumen läßt, welche Herr Fäustelmann doch ganz klar leibhaftig mit seinen Schelmenaugen sehen kann; er braucht nur ein wenig Mondschein zu haben – und ganz allein zu sein. Was aber diesen frommen Herrn Fäustelmann angeht, der keinem Kinde etwas zu Leide thut, keinem Pferde auf den Huf und Keinem, der stärker ist als er, zu nahe tritt, so haßt er uns, weil wir uns seinen Vorgeschichten gegenüber ein wenig skeptisch verhalten. Er wird sicherlich gegen Dich sein. So bliebe Dir freilich nichts übrig, als es bei diesem Uffeln selbst zu versuchen und ihn mit der Lage der Dinge bekannt zu machen. Er scheint ja ein weicher, gutmüthiger Mensch, und wenn Du Deine Beredsamkeit bei ihm versuchst, verzichtet er vielleicht auf die Hand Adelheid’s und gelobt Dir dabei, ewig als ein unbeweibter Vetter auf Wilstorp zu privatisiren, um der Familie Mansdorf nicht ihre Plätze am Herdfeuer zu beschränken.“

Adolf Günther schüttelte den Kopf.

„Er mag gutmüthig und anspruchslos genug sein,“ sagte er. „Aber er macht mir auch den Eindruck eines charakterlosen Gesellen, der thun wird, was Frau von Mansdorf und sein – Eigennutz ihm sagen.“

„Hm, ja,“ versetzte der Justitiar, „ich denke auch, daß ein Schritt bei ihm so aussichtslos für Dich wäre, wie ein Proceß um eine holländische Erbschaft.“

Es folgte eine Pause. Der Justitiar Plümer stand endlich auf, putzte seine Brille, ging seine Pfeife zu stopfen und wandte sich dann zu einem seiner Repositorien, um ein Actenstück zu suchen. Er war offenbar ermüdet von der Besprechung einer Sache, die ihm so aussichtslos schien.

„Höre,“ sagte er, indem er eines der Actenbündel hervorzog, „da ein guter Jurist seinen Clienten doch nicht ganz ohne einen Rath fortsenden darf, so will ich Dir einen geben. Vertraue Dich der Prinzessin Elisabeth an. Sie ist ja Deine große Gönnerin, dieses weise Huhn, und auch voll Freundschaft für Fräulein Adelheid. Wenn irgend Jemand hier helfen kann, so ist sie es, die im Stande, Mittel und Wege zu erdenken. Allen Respect vor ihr! Ich versichere Dich, es kommt öfter in der Burg zu Idar vor, daß Knoten, über die Keiner hinwegzukommen weiß, von ihren feinen hochfürstlichen Fingern gelöst werden.“

„Du hast Recht, Oheim,“ versetzte nach einer Pause der junge Arzt, „ich habe schon selbst daran gedacht.“

„Hat sie diesen Uffeln gesehen?“

„Ja, er hat einen Besuch im Schlosse gemacht.“

„Nun, so kennt sie ihn also. Solch’ einen Menschen durchschaut sie mit einem einzigen Blicke. Darin ist sie groß. Ich bin oft erstaunt gewesen, wenn ich mit ihr geredet habe, wie sie ihre Menschen weg hat. Geh’ zu ihr und vertrau’ ihr Deinen Kummer an!“

Adolf stand auf und griff nach seinem Hute.

„Du willst mich los sein, Oheim,“ sagte er. „Ich gehe auch; ich habe im Schloß einen Kranken – vielleicht treffe ich die Prinzessin bei ihm; sie ist immer voll Sorge für alle diese Leute. Also auf Wiedersehen!“

Der Justitiar entließ ihn mit einem freundlichen Nicken des Kopfes, und der junge Doctor ging und begab sich raschen und festen Schrittes durch die Straßen der kleinen Stadt zum Schlosse. Als er vor diesem angekommen war, wandte er sich links durch ein offen stehendes Gitterthor in den Park, und hier, die Arme über die Brust verschlingend, den Kopf gesenkt und die Blicke auf den Boden heftend, wandelte er langsam unter den hohen alten Bäumen auf und ab, denen Meyer Jochmaring seine Anerkennung versagt hatte, weil sie nicht seinen Eichen gleich kamen.

(Fortsetzung folgt.)




Aus dem Leben eines deutschen Vorkämpfers.
(Schluß.)


Man ersieht aus den zuletzt angeführten Aeußerungen zum Jubiläum des „Leben Jesu“, daß es Strauß nicht gleichgültig war, die Rolle des „Verfehmten“ zu spielen, welche die Jämmerlichkeit der Zustände ihm auferlegte. Der ganze Mann spricht aus jenen Worten, sein tiefes Leid, aber auch der jubelnde Triumph, mit dem er in der stolzen Vornehmheit seines Selbstgefühls über das ihm angethane Unrecht sich erheben konnte. Es gehört nicht in das Ehrenbuch der deutschen Hochschulen und Facultäten, daß sie eine so imponirend sich bekundende, hoch über das Mittelmaß hinausragende Kraft unbeachtet am

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_800.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2016)