Seite:Die Gartenlaube (1875) 816.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Mündel des Justitiars; sein Vermögen ist, denke ich, für seine Studien und zum Ankaufe eines Ersatzmannes, um sich vor dem Militärdienste zu retten, daraufgegangen. So muß er von seiner Praxis leben, und da die Leute hier zu Lande nicht eher zum Arzte laufen, als bis auch der Pfarrer zugleich nothwendig geworden ist, so bringt das bitterwenig ein. Eine Frau zu ernähren, daran kann er nicht denken, eine Frau, die noch obendrein ein adeliges Fräulein ist; Herr von Mansdorf wird sich hüten, ihm seine Tochter zu geben – wahrhaftig, von der Seite haben Sie Nichts zu befürchten.“

„Und ich fürchte doch von der Seite,“ sagte still für sich hin und wieder in seine Gedanken versinkend Herr von Uffeln. „Ich bin zu wenig der Mann,“ hub er nach einer Weile wieder an, „der ein junges Mädchen zu gewinnen verstände. Mein Leben ist bis heute nicht derart gewesen, um darin Erfahrungen sammeln oder Uebung gewinnen zu können,“ setzte er mit einem bittern Lächeln hinzu.

„Ich meine,“ versetzte Herr Fäustelmann, „Sie hätten mir gesagt, Sie seien bis über die Ohren verliebt in Fräulein Adelheid – Fräulein Adelheid scheine Ihnen ein Engel? Wenn Sie einem jungen Mädchen zu zeigen wissen, daß sie Ihnen ein Engel scheint, so bedürfen Sie weiter keiner Erfahrungen und keiner Uebung. Damit ist die Hauptsache gethan. Im Ganzen sind doch alle diese blühenden rosigen Wesen eben Blumen, die Dem gehören, der sie pflückt.“

Herr von Uffeln schüttelte schwermüthig den Kopf zu dieser Hagestolzenansicht. Aber er antwortete nicht und schien einem weitern Gespräche über Gegenstände dieser Art mit Herrn Fäustelmann das eigene Sinnen vorzuziehen, in das er, weiter schreitend, versank. –

Herr Fäustelmann ging vorauf, seine lange Gestalt vornübergebeugt, die Hände, die einen starken Rohrstock hielten, auf dem Rücken. Als man aus den Büschen und Kämpen herauskam in ein sumpfiges, mit kleinen Wasserlachen und Erlengebüsch bedecktes Terrain, begann er von Zeit zu Zeit aufzuschauen und prüfend nach allen Seiten die Blicke zu werfen, wie wenn er beobachten wollte, ob irgend ein Menschenauge seinen Gang wahrnehme. Aber Niemand, schien es, war in der Nähe dieses verlassenen Erdflecks. Einsam hinter Erlengruppen erhob sich „die Kropp“, der verfallene Burgmannshof, der einst hier hinter breiten Wassergräben eine so gesicherte Lage gefunden hatte und dann wohl von seinen Bewohnern verlassen worden war, als es die Zeiten nicht mehr nöthig machten, um einer gesicherten Lage willen dem Wechselfieber und dem Typhus in einer solchen wasserreichen Niederung Trotz zu bieten.

„Und wozu,“ fragte Herr von Uffeln, „dient das Gebäude jetzt? Es scheint doch noch bewohnbar, und wenn man einige Gräben und Abzüge für das Wasser herstellte, ließe sich doch auch das Terrain hier nutzbar machen, wenn auch nur zu Wiesen.“

„Das Gebäude,“ versetzte Fäustelmann, „dient dazu, der hochfürstlichen Kammer die Hoffnung aufrecht zu erhalten. daß sich am Ende irgend Jemand finden werde, der durch Anmiethung desselben ihr Budget um einige Thaler bereichern werde. Und was die Gräben und die Wasserabzüge angeht, so kosten solche Anlagen Geld. Wer aber hat Geld in unseren Zeiten? Am wenigsten die hochfürstliche Domainen- und Rentkammer. Aber nehmen Sie sich in Acht! Halten Sie sich dicht hinter mir, um nicht in irgend einen Sumpf zu gerathen, der Ihre hoffähige Erscheinung bei der Prinzessin Elisabeth in Frage stellte.“

Uffeln folgte ihm behutsam auf dem sich windenden festen und trockenen Fußwege, der von dieser Seite her auf das alte Bauwerk zuführte und den Herr Fäustelmann vortrefflich zu kennen schien. So kamen sie in einen wüst und melancholisch aussehenden verlassenen Garten, in welchem noch eine Anzahl moosbedeckter Obstbäume ihr morsches Dasein wider Sturm und Wetter behaupteten. Die Brücke über den Hausgraben war auch hier durch einen Erdwall ersetzt, und dieser führte auf ein schmales Stück fester und trockener Erde, das am Fuße des Gebäudes herlief. Herr Fäustelmann schritt darauf der nächsten Ecke zu und sich um sie wendend sagte er:

„Hier ist eine Thür, die uns hoffentlich einläßt – wenn sie anders gegen uns nicht boshafter gesinnt ist, als gegen andere Leute, denen sie sich offenbar gastlich geöffnet hat. Sehen Sie?“

Er deutete dabei auf den Boden, welcher in dem feuchtweichen Erdreich die Spuren von mehreren Männerschritten zeigte, die vor nicht zu langer Zeit hier hin und her gegangen sein mußten.

„In der That,“ meinte Uffeln, „wenn auch nicht bewohnt, besucht wird das Gebäude – es waren das am Ende die Träger Ihrer – was sagten Sie? – Kindersärge?“

Fäustelmann hatte unterdeß die kleine gewölbte Thür erreicht. Er wollte sie aufstoßen, aber sie war verschlossen.

„Für Wesen von Fleisch und Blut, wie wir, nicht zugänglich,“ rief Uffeln aus – „das ist verdrießlich.“

„Wir werden sehen,“ antwortete Fäustelmann gleichgültig und zog aus seiner Rocktasche eine Hand voll kurzer, aber starker Schlüssel heraus.

„Ah – Sie haben Dietriche?“

„Man muß sich eben vorsehen … Dietriche und Korkzieher sind eine praktische Erfindung.“

Die, welche Herr Fäustelmann bei sich führte, waren es in der That. Schon bei dem zweiten, den er versuchte, öffnete sich die Thür.

Sie traten ein, und Fäustelmann schloß die Thür behutsam hinter sich. Dann schritten sie eine staubige alte Holztreppe hinauf, die auf einen kleinen nackten Vorplatz und durch eine unverschlossene dunkle Thür in einen ebenso nackten Wohnraum, in dahinterliegende wüste Kammern führte, in denen allen nichts bemerkbar war als der Graus der Zerstörung und der Wust des Verfalles; hier und da ein wurmstichiger Tisch, ein alter Stuhl mit herabhängenden Fetzen des Strohgeflechtes – das war alles, was an einstige Bewohner erinnerte, und dichte Spinnengewebe alles, was von noch lebenden sprach.

Nach einem raschen Durchwandern der Gemächer kehrte Fäustelmann in den größeren Wohnraum zurück, in welchen nur ein sehr dürftiges Licht einfiel, da sich vor den Fenstern Holzläden befanden. Fäustelmann öffnete eines der Fenster und stieß die Läden auf. Dann wandte er sich in den Raum zurück und musterte genau den Fußboden, stieß auch hier und da, wie um die Resonanz zu prüfen, mit dem Absatze seines Stiefels darauf.

„Hier ist es,“ sagte er endlich. „Die Fallthür, die ich suche – da haben wir sie.“

„Ah, Sie suchten eine Fallthür?“ rief Uffeln, während Fäustelmann lächelnd mit der Spitze seines Fußes auf eine Ritze im Boden stieß.

„Freilich suchte ich eine Fallthür, eine Oeffnung im Boden, durch die ein Mann so mit dem Kopfe schauen kann, daß ein betrunkener Oberförster in den Glauben gerathen kann, er sähe einen auf dem Boden stehenden abgeschlagenen Kopf vor sich. Und nun lassen Sie uns die Sache weiter ergründen!“

Herr Fäustelmann zog ein Taschenmesser hervor, dessen starke Klinge er in die Ritze schob; ein kräftiger Druck noch, und die Klappe hob sich. Mit ein wenig Nachhülfe, die Uffeln leistete, ließ sie sich geräuschlos an die benachbarte Wand legen.

„Alles wohl geölt und in gutem Stande erhalten,“ bemerkte der Rentmeister spöttisch, und dann stieg er die schmale unter seinen Tritten ächzende Treppe hinab, die sich unter der Fallthür gezeigt hatte.

Uffeln folgte ihm, bald aber wurde die Finsterniß der Unterwelt, in welche sie hineingeriethen, so stark, daß Herr Fäustelmann einen abermaligen Beweis ablegen konnte, mit welcher Fürsicht er an Alles gedacht, und wie wohl gerüstet er diese Untersuchungsfahrt angetreten. Er zog nämlich, am Fuße der Treppe stehen bleibend, einen Wachsstock und ein Feuerzeug hervor und hatte nach kurzer Zeit durch Stein, Stahl, Schwamm und Schwefelspahn eine kleine Flamme gewonnen, an welcher er den Wachsstock entzündete.

Das Licht zeigte ein mäßig großes Kellergewölbe; wahrscheinlich war es ein besonderer, höher liegender und deshalb trocknerer Keller, als die übrigen, tiefer unter dem Wasserspiegel der Gräben angelegten Kellerräume des Gebäudes sein mochten.

Herr Fäustelmann machte, sein Wachsflämmchen erhebend, ein paar Schritte vorwärts in den Raum hinein, während Uffeln an den Fuß der Treppe gelangte.

„Sieh, sieh!“ rief er dann triumphirend aus, „da hätten wir sie ja!“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_816.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)