Seite:Die Gartenlaube (1875) 829.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 50.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Der Doppelgänger.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Herr von Uffeln wich einen Schritt zurück. „Was haben Sie, Fäustelmann?“ fragte er.

„Die Kindersärge. Da stehen sie.“

„Ah – unmöglich!“

„Sehen Sie her! Da sind sie - alle zusammen und in schönster Ordnung aufgestellt – fünf unten und drei oben auf den andern.“

Uffeln war herzugekommen und blickte überrascht auf die unheimlichen Kisten, zu denen Herr Fäustelmann niederleuchtete.

„Wahrhaftig!“ rief er aus. „Aber ich bitte Sie, Herr Fäustelmann, sind denn das auch Särge?“

Herr Fäustelmann antwortete nicht. Er gab seinem Begleiter das Licht zum Halten, und dann faßte er mit beiden Händen in eine der starken ledernen Handhaben, welche vorn an den Kisten befestigt waren. Er hob damit eine der letzteren in die Höhe und ließ sie dann plötzlich stoßweise wieder fallen.

Man hörte etwas wie Klirren von Eisen.

„Nein,“ sagte der Rentmeister, „das sind keine Särge, obwohl sie beinahe so aussehen; es sind Kisten, in denen Gewehre verpackt sind.“

„Gewehre?“

Fäustelmann nickte lächelnd.

„Aber erklären Sie mir …“

„Was ist da viel zu erklären? Wenn man sich die Mühe gegeben hat, hier einen kleinen Waffenvorrath anzulegen so muß man auch die Absicht haben, ihn zu benutzen, und wenn man ihn, wie der Oberförster ja durch Zufall inne geworden ist, hier des Nachts unterbringt und im Keller dieses alten menschenverlassenen Gebäudes verbirgt, so muß eben die Zeit und Stunde, zu diesen Waffen zu greifen, noch nicht gekommen sein – das ist doch klar?“

„Gewiß ist es klar, aber ich begreife nicht, wer die Leute sein können, die …“

„Was Sie desto leichter begreifen werden, Herr von Uffeln, das ist,“ antwortete Herr Fäustelmann, sich auf den Rückweg aus dem dunkeln Raume begebend, „daß, wenn uns französische Gendarmen oder Beamte hier anträfen, sie uns für diese Leute halten würden und daß sie sehr kurzen Proceß mit uns machen würden. Die alte Kropp hat immer für einen ungesunden Aufenthalt gegolten – durch diese Kistlein da ist er nicht gesünder geworden, noch auch durch die zwei Tönnchen dort im Hintergrunde, die wohl, um sie trockener zu halten, auf einen Haufen Reisigbündel gestellt sind; sie machen mir ganz den Eindruck, als ob sie, was Meyer Jochmaring ‚Kraut‘ nennt, enthalten könnten, darum kommen Sie! Treten wir schleunig unseren Rückzug aus der Nähe so gefährlicher Gegenstände an! Was ich wissen wollte, weiß ich ja jetzt.“

Herr Fäustelmann stapfte gebückt die Treppe wieder hinauf und löschte seinen Wachsstock; dann, nachdem Uffeln ihm gefolgt, ließ er die Fallthür wieder nieder, stieß mit dem Fuße einen Theil des herabgefallenen Kalkbewurfs darauf und schloß die Fensterklappen.

„Sie haben nichts fallen lassen, nichts verloren?“ fragte er, sich umschauend, „nein? So machen wir, daß wir fortkommen!“

Sie gingen, und nachdem sie das Gebäude verlassen und wieder verschlossen hatten, auch nach einigen spähenden Blicken in die Umgebung sicher sein konnten, daß Niemand sie beobachtet, wandte sich Fäustelmann dem Wege zu, den sie gekommen waren.

„Ihr Weg,“ sagte er dabei, „läuft jetzt dort hinaus. Gehen Sie nur auf diesem schmalen Streifen Erde um das Gebäude herum, und Sie gelangen von der Vorderseite bald auf den Fahrweg, der nach Idar führt. Daß wir über unsere Entdeckung schweigen müssen, begreifen Sie.“

„Natürlich,“ versetzte Herr von Uffeln aufrichtig, „es ist nicht unsere Sache zu verrathen was für seltsame Kellervorräthe dieses alte Haus birgt.“

„Nein,“ versetzte Fäustelmann, „und so lange dies unser Geheimniß ist, haben wir das Vergnügen uns zu denken, daß wir im Stande sind, durch eine kleine Denunciation eine Pulvermine loszubrennen, die gewisse nichts ahnende Leute curios in die Luft sprengte.“

„Ah, das wäre aber doch ein teuflisches Vergnügen!“

„Eben darum,“ versetzte Fäustelmann sarkastisch lächelnd, „machen wir uns dieses Vergnügen ja auch nicht, so lange es nur ein Vergnügen wäre – und nicht ein Vortheil, eine Vertheidigung, eine Nothwehr.“

„Eine Nothwehr – wie das?“

„Ich habe eben so meine Zukunftsgesichte,“ versetzte Herr Fäustelmann, still mit dem Kopfe nickend, und dann sich abwendend setzte er hinzu:

„Nun aber treten wir beide unseren Weg an; es ist nicht nöthig, daß wir uns lange hier im Schatten der alten Kropp aufhalten. Auf Wiedersehen, Herr von Uffeln!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_829.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)